Für Motorradfans ist es das heiligste Rennen des Jahres. Die letzte große Herausforderung für echte Kerle. Hier brauchst du wirklich "dicke Eier", was jeder TT-Fahrer bestätigen wird. Vor der Rückkehr auf die Insel stellte sich das Motorsport-Magazin einigen Runden auf dem Mountain Circuit.

Heiliger Rennsportboden., Foto: adrivo Sportpresse
Heiliger Rennsportboden., Foto: adrivo Sportpresse

Ein kalter Schauer läuft den Rücken herunter. Gänsehaut. Unbeschreibliche Gefühle und Gedanken schießen mir durch Kopf und Körper. Soeben bin ich auf der Isle of Man gelandet, dem wohl heiligsten Ort für Motorradsport-Fans. Hier wird in wenigen Wochen die TT stattfinden. Die Stars sind schon heute hier. Und ich mitten unter ihnen. Und nicht nur das. Nur noch wenige Stunden trennen mich von meiner ersten Fahrt mit einem Motorrad auf dem legendären Mountain Circuit, jener Rennstrecke, auf der 1949 die GP-Geschichte begann. Die Piste, die bereits über 100 Jahre an aktivem Rennsport gesehen hat.

Die letzten Male als ich hier war, war ich gerade einmal zehn und zwölf Jahre alt. Seitdem sind viele Jahre vergangen und jetzt stehe ich wieder hier. Alte Erinnerungen kommen hoch. Weniger an den Hafen, weniger an die Landstraßen und Häuser. Doch als wir am Grandstand, der Start-und-Ziel-Gerade stehen, da ist sie plötzlich wieder da. Diese Erinnerung. Der Duft von Racing-Benzin von damals, als auch Zweitakt-Klassen noch zur TT gehörten. Der Jubel der Leute, die Begeisterung, die Leidenschaft. Das hier ist anders, als alles, was es sonst an Motorsport gibt. Das hier ist das heiligste unter dem Heiligen, die Isle of Man.

Am Grandstand geht es los. Den Berg runter. Bray Hill. In der Senke stoppen wir an einer Ampel. Rot. Klarer Fall. Für uns heißt es warten. Doch das werden die Racer Ende Mai, Anfang Juni definitiv nicht tun. John McGuinness, Steve Plater, Bruce Anstey, Michael Dunlop und wie sie alle heißen. Sie werden hier nicht im Traum daran denken, das Gas auch nur einen Millimeter zurückzudrehen. Wie Angst einflößend dieser erste Streckenabschnitt ist, lässt sich kaum in Worte fassen. Es geht nahezu senkrecht den Berg hinunter. "Sechster Gang, Vollgas", beschreibt es Richard "Milky" Quayle. "Nur in der Senke musst du aufpassen und die Linie richtig treffen. Sonst zerbricht dir der Trog." Alles klar. In der Senke, eben Bray Hill, hat man um die 300 km/h drauf, wenn man's richtig macht. Dann geht es sofort wieder Bergauf. Agos Leap. Benannt nach Giacomo Agostini. Hier hebt fast jedes Bike ab, ohne Wheelie kommt hier keiner drüber - es sei denn er ist ein Schisser.

Es geht weiter Richtung Quarterbridge. "Hier willst du nicht stürzen", sagt Quayle, der uns alle Abschnitte der Strecke genau erklärt. "Nicht, weil es hier besonders gefährlich ist, sondern weil hier so viele Leute sitzen. Das wäre peinlich." Weiter geht die Hatz. Hier und da erinnere ich mich nach zehn Jahren Isle of Man-Abstinenz doch noch an die eine oder andere Hausmauer. Manch eine Hecke ist auch noch wie damals - maximal wurde sie in den Jahren etwas gestutzt. Tut aber nichts zur Sache. Das Erscheinungsbild bleibt.

Dann kommt dieser 90-Grad-Rechtsknick. Eine Kurve, die sich jeder TT-Besucher gleich von Anfang an merkt. Ballacraine Corner. Hier muss man so dermaßen in die Eisen steigen wie an nur wenige Stellen des Mountain Circuit. Doch hier muss man auch auf den Kurvenausgang aufpassen. Einen Highsider willst du hier nicht haben. Sonst landest du entweder auf dem Balkon oder im Schlafzimmer der dortigen Manx-Familie. Ob sich das mit dem Schlafzimmer lohnen würde, dazu bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Denn du musst das Gas wieder voll aufreißen, wenn du in Ballacraine abgebogen bist.

Es folgen einige markante Stellen der Piste. "Hier bin ich gestürzt", sagt "Milky" Quayle und führt uns weiter. Er war die Hauptperson in einem berühmten Youtube-Video. Er ist es, dessen Onboard-Kamera aufzeichnete, wie er erst an einer Hauswand hängen blieb und wie er dann auf der anderen Seite in die Gartenmauer einschlug. Keine Zeit für Sentimentalitäten. Das Gas wird wieder aufgerissen. Vorbei an Glen Helen, Sarahs Cottage, Handleys Corner, Douglas Corner und durch Birkins Bends. Dann eine der berühmtesten Stellen der TT. Eine der berühmtesten Brücken dieser Welt. Zumindest im Rennsport.

Die Runde des Mountain Circuits., Foto: Isle of Man TT
Die Runde des Mountain Circuits., Foto: Isle of Man TT

An Ballaugh Bridge bremsen wir massiv herunter. Bis auf rund 20 Meilen. Vielleicht sogar nur 15. Und trotzdem hebst du leicht ab, wenn du über diese Brücke fährst. Im Rennen springen die Piloten hier alle. Es ist eigentlich nicht gewollt. Fahrwerk, Reifen, Rahmen - alles leidet eh schon unter den enormen Belastungen des Mountain Circuit. Und dann auch noch der Sprung über Ballaugh Bridge. Doch hier sammeln sich auch viele Zuschauer. Die Stelle ist berühmt, bekannt, beliebt. Hier musst du wirklich Stunden vor Straßensperrung da sein, um einen guten Platz zu erobern.

Jetzt geht es richtig los. Ballaugh liegt hinter einem und es folgen die schnellsten Abschnitte der über 60 Kilometer langen Strecke. Die Sulby-Passagen bis hin zu Ramsey. An dieser Stelle ist etwas mehr als die Hälfte zurückgelegt. Nun geht es in die Berge. Ramsey Hairpin ist noch einmal langsam, dann kommst du kaum noch bis vor dem Ziel in den vierten Gang runter. "Fünf und sechs, Vollgas", lautet die Ansage - Waterworks, Gooseneck, Verandah. Dann Bungalow und die Bahnschienen. Hier noch mal kurz vorsichtig und wieder auf den Hahn. Windy Corner ist noch einmal kompliziert. Hier herrscht immer böiger Wind, der dich vom Bike wippen kann. Doch die TT-Stars wissen das - und heizen voll durch.

Die Gerade runter zum berühmten Pub Greg-ny-Baa. "Hier weißt du dann, dass es nicht mehr weit bis zum Ziel ist", sagt Cameron Donald, der nur wenige Meter vor diesem Pub, an Keppel Gate, im letzten Jahr stürzte und sich an der Schulter verletzte. Zur Tourist Trophy 2010 greift er wieder an. "Wenn du hier in der letzten Runde vorbeikommst und die Leute bereits applaudieren, dann läuft es Dir eiskalt den Rücken runter." - "Besonders als Manxman", fügt Quayle an, der auf der Isle of Man geboren wurde, einen TT-Sieg feiern konnte, aber eben auch mit seinem berühmten Unfall in die Geschichte einging.

Foto: Isle of Man TT
Foto: Isle of Man TT

Nur wenige Kilometer später erreichen wir wieder den Grandstand. Start und Ziel zum berühmtesten Motorradrennen der Welt. Zur härtesten Schlacht, die auf zwei Rädern ausgefochten wird. Zur weltweit einzigen Start- und Ziel-Geraden hinter deren Rundenzeitenanzeigetafel ein Friedhof liegt.

Die Reportage stammt aus unserem Printmagazin Motorsport-Magazin. Mehr Technikhintergründe, Interviews und Reportagen lesen Sie im Motorsport-Magazin - im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder am besten direkt online zum Vorzugspreis bestellen: