Er reist um die ganze Welt, besucht in neun Monaten fünfzehn verschiedene Länder, muss hart trainieren und fährt auf höchstem Niveau gegen die besten Motorradfahrer der Welt und dennoch gehört er zur ganz normalen jungen Generation. Er trifft sich mit Freunden, liebt und pflegt sein Auto, mag Facebook, hört Musik von Michael Jackson, Rihanna und Lena Meyer-Landrut und macht eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann. Aber keine Angst, Sandro Cortese bleibt hauptberuflich Motorradfahrer. Trotzdem wollte der Berkheimer mal etwas Anderes ausprobieren.

Willkommen bei Sandro Cortese, Foto: adrivo Sportpresse
Willkommen bei Sandro Cortese, Foto: adrivo Sportpresse

"Jeder muss etwas arbeiten, warum sollte ich dann zu Hause rumsitzen?", fragt er rhetorisch. Na klar, regelmäßiges Training und durch die ganze Welt jetten reichen ja nicht. Besonders nicht im 21. Jahrhundert, wo überall von einem zweiten Standbein gesprochen wird. Seit Januar sitzt der Motorradprofi regelmäßig im Büro, kümmert sich um den Warenverkehr bei Intact und drückt ab September auch wieder die Schulbank. Die nächsten zweieinhalb Jahre werden also eine Doppelbelastung, doch Cortese sieht das anders: "Für mich ist die Ausbildung eine richtig gute Ablenkung, dadurch denke ich nicht den ganzen Tag ans Motorradfahren und das macht mich locker."

To-Do-Listen

Locker macht den 21-Jährigen wohl auch das Konditions- und Aufbautraining am Nachmittag nach der Arbeit. Wozu hat der Tag schließlich 24 Stunden und das Jahr 365 Tage? Von denen verbringt er übrigens fast die Hälfte in fremden Ländern. Dabei ist es daheim doch am schönsten. Das beweist seine Freude darüber, dass er in diesem Jahr in einem deutschen Team unterwegs ist und von einer einheimischen Crew betreut wird, die ihre Augen ausschließlich auf ihn als alleinigen Fahrer richtet. "Das Team ist noch jung und es liegt noch viel Arbeit vor uns, aber die Basis und der Grundspeed sind schon gut", urteilte Cortese. Das bewies das Racing Team Germany bereits mit guten Tests vor der Saison und einem überaus gelungenen Auftaktrennen.

"Wir müssen hart am Ball bleiben und können uns nicht zurücklehnen. Mit diesem Arbeitsstil und ein bisschen Glück können wir in diesem Jahr gute Ergebnisse einfahren", weiß der Aprilia-Pilot, der von Jürgen Lingg auf technischer Seite bestens betreut wird. Diese Saison wird für Cortese die sechste und definitiv die allerletzte in der 125ccm-Klasse sein. Nicht weil die Zweitakt-Kategorie im nächsten Jahr abgeschafft wird, denn die Moto3 steht auch nicht auf seiner To-Do-Liste, sondern: "Ich will hoch in die Moto2!" Aber als Topfahrer, weil dann stehen die Karten für ein gutes Team und ein paar Sponsoren nicht allzu schlecht.

Das erklärte Ziel für 2011 ist also "so weit vorne wie möglich zu landen und dafür werde ich mein Bestes geben". Doch das wird kein Zuckerschlecken, denn nach den ersten Einblicken ist schon fast klar, dass Nico Terol das letzte Jahr der kleinen Klasse wohl dominieren wird, sollte nichts Schlimmes dazwischenkommen. "Auch Hector Faubel wird bestimmt von Rennen zu Rennen besser, Jonas Folger und Efren Vazquez könnten ebenso gefährlich werden", vermutet Cortese, der aber noch keine genauen Prognosen abgeben will.

Brünn erwies sich als gutes Pflaster, Foto: Milagro
Brünn erwies sich als gutes Pflaster, Foto: Milagro

Er selbst ist für einen starken Kampf um die besten Plätze in dieser Saison auf jeden Fall bestens gerüstet. "Ich habe im letzten Jahr so viel gelernt wie noch nie und durch die Ausbildung bin ich mit mir selbst konsequenter geworden. Mein Tag ist ausgefüllter und ich schätzte das Motorradfahren jetzt viel mehr. Erst so erkennst du, wie privilegiert du als Motorradfahrer eigentlich bist." So bleibt für Cortese also der Rennsport Fokus Nummer 1.

Doch wenn er gerade mal nicht auf einer der Rennstrecken dieser Welt unterwegs ist oder der Bürostuhlakrobatik nachgeht, fährt der stets gut gelaunte Schwabe besonders im Sommer gern einmal Motocross - aber noch ein weiteres motorisiertes Gefährt liegt ihm sehr am Herzen: "Mein BMW, das ist mein Baby!" Doch wird da nicht jemand eifersüchtig? Genau, Mischlingshündin Birba. Der Name kommt übrigens aus dem Italienischen und bedeutet 'schlau'. Birba wohnt allerdings noch bei den Eltern und auch die Pokalsammlung hat er in Papa Corteses Büro zurückgelassen. Sandro Cortese selbst ist mittlerweile ausgeflogen und genießt die Ruhe in der eigenen Wohnung, dabei unternimmt er so viel es geht mit seinen Freunden und ist ansonsten des Öfteren in Facebook anzutreffen.

Doch bekanntlich ist er nicht nur virtuell unterwegs und obwohl er in den letzten Jahren viele schöne Ecken dieser Welt gesehen hat, gefällt es Cortese im Moment zu Hause am besten. Mit Ausbildung, Freunden, Birba und ehrgeizigen Zielen in der Motorradelite bleibt nur Eines: "Ich habe gar keine Zeit über so etwas nachzudenken. Aber mal schauen, was die Zukunft bringt."

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