Wenn von den acht vordersten Fahrern im Grid gleich sieben einen Frühstart hinlegen, ist die Rennleitung gefordert. Die Offiziellen um Mike Webb stehen oft in der Kritik, manchmal auch zu Unrecht. Spätestens seit dem Sepang-Clash sind ihre Entscheidungen nicht immer populär, auch in Katar kritisierte Valentino Rossi die Rennleitung dafür, dass sie zwei gleiche Vergehen unterschiedlich behandelt habe. Zumindest, was die Moto2 betrifft, hat der Yamaha-Star damit auch Recht.

Im Detail: Die Regeln bei Frühstarts

Die Regeln für einen Frühstart sind eigentlich eindeutig und im aktuellen Regelbuch der FIM unter 1.18.14 und 1.19 zu finden. Laut dieser Regeln muss jeder Fahrer, der einen Frühstart macht, eine Ride-Through-Strafe absolvieren. Wenn sich ein Fahrer nur eine kleinere Bewegung leistet und danach noch einmal komplett zum Stehen kommt, entscheiden die Offiziellen, ob er dadurch einen Vorteil hatte. Wird eine Strafe verhängt, so muss die Rennleitung dem Fahrer diese Strafe vor dem Ende der vierten Runde mitteilen.

Zur Ride-Through-Strafe gibt es die zusätzliche Regelung, dass für den Fall, dass die Rennorganisatoren die Strafe nicht vor dem Rennende ausführen lassen können, der entsprechende Fahrer eine Zeitstrafe von 20 Sekunden erhält. Da allerdings eigentlich eine Strafe für einen Frühstart bis zur vierten Runde kommuniziert werden muss und der Fahrer denn fünf Runden für das Ausführen der Boxendurchfahrt hat, sollte es, zumindest bei Start-Vergehen, nie zu diesem Fall kommen können.

Die Ereignisse in Katar

Schon am Start war in Katar klar, dass dies kein gewöhnliches Moto2-Rennen würde. Selbst mit bloßem Auge war zu erkennen, dass in den vorderen Reihen mehrere Fahrer deutlich zu früh losrasten. Was aber folgte, war eine Farce. Sehr schnell verkündete die Rennleitung Durchfahrtsstrafen für Lowes, Rins, Zarco und Schrötter, einige Runden später erwischte es auch Nakagami und Mulhauser. Lowes, Rins und Zarco hatten zuvor alle in der Spitzengruppe mitgekämpft und mussten sich nun mühen, um noch Punkte mitzunehmen. An der Spitze entspann sich ein Duell zwischen Lüthi und Morbidelli, dahinter balgten sich Corsi und Cortese - bis die Rennleitung informierte, dass auch Morbidelli und Cortese wegen Frühstarts untersucht würden. Mitgeteilt wurde ihnen das aber nicht, sie blieben weiter im teilweise ziemlich robusten Fight um vermeintliche Podiumsplätze. Kurz vor Rennende verkündete die Rennleitung eine 20-Sekunden-Zeitstrafe gegen beide, von der sie erst nach dem Zieleinlauf erfuhren.

Was genau die Vielzahl an Jump Starts in den vorderen Reihen verursachte, ist völlig unklar. Einen Frühstart kann sich ein Fahrer natürlich immer einmal leisten, auch vorstellbar, dass sein Nachbar das Zucken aus dem Augenwinkel sieht und ebenfalls minimal zu früh losfährt. Aber sieben der besten Acht im Grid? Möglich, dass im Flutlicht von Katar irgendeine Lichtspiegelung die Fahrer irritierte. Dazu würde auch die Aussage von Alex Marquez, selbst nicht betroffen, nach dem Rennen passen, dass das Rotlicht der Ampel irgendwie zu flackern schien. Die Dauer des Rotlichts vor dem Start ist im Reglement unter Punkt 1.18.14 mit zwei bis fünf Sekunden geregelt. Mit etwa 3,5 Sekunden war die Rotphase beim Start also absolut im Rahmen und nicht ungewöhnlich lang.

Gleiches Vergehen, unterschiedliche Strafen - ist das fair?

Der Fall, der laut Regelbuch also gar nicht eintreten sollte, ist nun eben doch passiert. Acht Fahrer wurden für das gleiche Vergehen unterschiedlich bestraft, das Rennen war ein unübersichtliches Chaos. Morbidelli glaubte bis zum Ende, dass er um den Sieg kämpfte, und ließ sich zu einigen riskanten Manövern hinreißen. Hätte er von seiner Strafe gewusst, wäre er den Kampf mit Lüthi wohl anders angegangen. Auch Lüthi hätte sicher weniger riskiert, wenn er gewusst hätte, dass ihm Morbidelli den Sieg nicht streitig machen kann. Gleiches gilt für den Kampf um Rang drei zwischen Corsi und Cortese, wo sich letztlich sogar noch Salom einmischte.

Tom Lüthi ging aus dem Chaos als Sieger hervor, Foto: Derendinger Racing
Tom Lüthi ging aus dem Chaos als Sieger hervor, Foto: Derendinger Racing

Abgesehen davon hatten die unterschiedlichen Strafen dramatische Auswirkungen auf das Klassement. Rins brauchte für seine Ride-Through dreiundzwanzig Sekunden, Lowes sogar fünfundzwanzig. Nachdem auf Morbidellis Zeit zwanzig Sekunden addiert waren, fehlte Rins noch etwas über ein Hundertstel auf ihn, Lowes war keine zwei Sekunden dahinter. Davon, wie sehr eine Boxendurchfahrt den Rhythmus zerstört und die Reifen abkühlen lässt, gar nicht erst zu sprechen. Es darf also angenommen werden, dass bei gleicher Bestrafung Rins und Lowes deutlich vor Morbidelli gelandet wären. Am Ende könnten derartige Kleinigkeiten immerhin über den Ausgang der WM entscheiden.

Redaktions-Kommentar: Mit dieser Inkonsistenz hat sich die Rennleitung wirklich keinen Gefallen getan. Klar, bei so vielen Fehlstarts ist es sicherlich schwierig, vor der vierten Runde alle Missetäter eindeutig zu identifizieren, aber es gibt diese Regel aus einem guten Grund. Diese ungleiche Bestrafung hat zu einem Chaos geführt und kostet die Rennleitung viel Glaubwürdigkeit. Entweder, man bessert im Regelwerk nach oder beschäftigt so viele Offizielle, dass Entscheidungen über Strafen schnell genug und im Rahmen des Regelwerks getroffen werden können, egal, wie viele Fahrer sich nun einen Fehlstart leisten. Außerdem sollte dringend geprüft werden, ob das Rotlicht vielleicht wirklich geflackert hatte oder ob das Flutlicht die Fahrer irritiert haben könnte. Eine Farce wie in Katar will schließlich niemand noch einmal sehen. Andrea Blendl