Eine lange und lehrreiche Saison liegt hinter Sandro Cortese und dem Dynavolt-Intact-GP-Team, das vor gut einem Jahr neu gegründet wurde, um mit dem Moto3-Weltmeister von 2012 das Abenteuer Moto2 in Angriff zu nehmen. Bei seinem Einstand in die höhere Kategorie, in seinem ersten Rennen in Katar, sicherte er sich gleich den 13. Startplatz. Drei Rennen später holte er in Le Mans seine ersten WM-Punkte. Sieben Mal konnte der 23-Jährige in den insgesamt 17 Saison-Rennen in die Punkte fahren und im spanischen Aragon sammelte er mit Platz zehn sein bestes Ergebnis des Jahres. Zwei elfte Plätze in Australien und Japan folgten.

Wann kam die Idee auf, ein eigenes Team zu gründen und wie hat sich alles entwickelt?
Jürgen Lingg: Man muss ja sagen, dass es den Plan schon länger gab. Konkret haben wir eigentlich schon vor fast zwei Jahren begonnen, das Projekt zu organisieren. Vor eineinhalb Jahren haben wir richtig Gas gegeben, damit wir, nachdem Sandro seinen Titel geholt hat, im November loslegen konnten. Es war natürlich viel Aufwand, aber es hat sich auf jeden Fall gelohnt und es hat auch Spaß gemacht. Wir haben alles getan dafür und nichts dem Zufall überlassen. Deshalb hat es auch vom Ablauf her gut schon gut funktioniert, gleich im ersten Jahr.

Wie zufrieden sind Sie als Teamchef mit der Saison 2013?
Jürgen Lingg: Von den Ergebnissen her und auch was die Erfolge betrifft, muss ich schon sagen, dass alles eigentlich genauso eingetroffen ist, wie ich es erwartet habe. Die Moto2 ist einfach eine brutale Klasse, und das erste Jahr sowieso. Die Umstellung ist gewaltig für den Fahrer. Man hat aber auch gesehen, zum Beispiel in Brünn, welchen Sprung Sandro nach der Sommerpause gemacht hat. Leider hat uns die Verletzung zurückgeworfen. Aber das gehört dazu, das muss man wegstecken. Es war ein Lehrjahr und wir wissen jetzt alle wo wir uns verbessern müssen und auch können.

Der Start als neues Team schien sehr rund und perfekt. Wie sah es hinter den Kulissen aus?
Jürgen Lingg: Klar, als Außenstehender bekommt man nicht jedes kleine Detail mit. Natürlich ist nicht immer alles so rund und perfekt gelaufen wie es vielleicht aussah. Aber es hat schon von Anfang an sehr gut geklappt. Man muss aber auch dazu sagen, dass ich diese Dinge ja auch schon in anderen Teams vorher gemacht habe. Die Arbeit an sich, das war für mich nichts Neues. Nur zuvor habe ich immer im Hintergrund agiert. Darum gab es nichts, was wir uns jetzt nicht zugetraut hätten. Wir wussten wie es geht. Unsere Gesellschafter Stefan Keckeisen und Wolfgang Kuhn gaben uns natürlich auch die nötige Sicherheit und viel Rückhalt. Wir konnten uns voll auf unsere eigentliche Arbeit konzentrieren.

Wie hat das ganze Team als Einheit funktioniert?
Jürgen Lingg: Es ist eine super Truppe und wir kennen uns ja schon lange. Mit einigen davon habe ich schon vor über zehn Jahren zusammengearbeitet. Die Saison ist lang und sehr anstrengend, nicht nur für den Piloten. Man muss immer unter Druck Hand in Hand agieren und sich gegenseitig sehr respektieren und Rücksicht aufeinander nehmen, da man immer zusammen ist, selbst nach Feierabend. Es hat aber immer super harmoniert im ganzen Team. Das war schon echt eine beachtliche Leistung von allen, gleich im ersten Jahr. Was speziell meine Person betrifft, musste ich lernen, dass ich jetzt einfach in einer anderen Position bin. Zuvor habe ich mich immer vor meine Mechaniker gestellt, habe ihre und unsere gemeinsamen Interessen vertreten, in allen Dingen, und versucht für die Jungs das Maximale bei der Teamleitung rauszuholen. Jetzt geht das natürlich nicht mehr so einfach, denn jetzt bin ich Chefmechaniker und gleichzeitig Teilhaber. Da musste ich in mancher Hinsicht anders agieren. Das war wiederum auch für die Jungs eine neue Situation und teilweise schwer zu verstehen für sie. Das war nicht immer einfach für mich und hat viel Energie gekostet. Im Enddefekt hat es dann aber jeder akzeptiert und die Burschen haben einen tollen Job gemacht.

Mit Blick in die weitere Zukunft - möchten Sie irgendwann mit einem zweiten Fahrer antreten? Wenn ja, wie sollte das ablaufen?
Jürgen Lingg: Unser Fokus liegt komplett auf Sandro. Das ist der Anspruch des Teams. Wenn es sich in Zukunft irgendwie ergibt und die Sponsoren mitziehen, würden wir den Schritt eventuell machen, aber darüber denken wir momentan nicht nach.

Sandro, wie war dein Eindruck von der höheren Klasse? Worin lag der größte Unterschied zwischen den Bikes in der Moto3 und Moto2?
Sandro Cortese: Es war eine komplette Umstellung. Ich habe mir da am Anfang sehr, sehr schwer getan. Man kommt bis zu einem gewissen Level, aber um richtig schnell zu fahren, muss man viel umstellen. Man braucht extrem viel Kraft. Die musste ich über den Winter aufbauen. Das Moto2-Motorrad ist doppelt so schwer als die Moto3-Maschine. Es hat mehr als die doppelte Leistung und da muss man sich erst einmal daran gewöhnen, wenn man so lange in der kleinen Klasse war. Ich hab dazu ein paar Rennen gebraucht. Es war natürlich schade, dass ich in Brünn gestürzt war und mich verletzt habe. Dabei habe ich die Hand so unglücklich gebrochen, dass mich das teilweise noch bis zu den Tests, vor allem bei schlechtem Wetter stört. Darum werde ich am 19. Dezember ein weiteres Mal operiert, damit die Platte raus kann und ich schmerzfrei bin.

Es war schon eine sehr harte Saison. Nicht nur für mich als Rennfahrer, sondern für alle, also fürs Team, für die Sponsoren. Es ist immer schwierig, zu akzeptieren, dass wir jetzt nicht ganz vorne dabei sind. Ich denke, wir haben alle hart gearbeitet, aber es kommt nicht von heute auf morgen, dass man wieder um Top-5-Plätze, Podiumsplätze oder sogar Siege kämpft. Ich weiß jetzt, wo ich mich verbessern muss. Im letzten Jahr wusste ich nicht wirklich, was auf mich zukommt. Ich wusste, es wird hart, aber nicht wie sehr. Nach der Saison weiß ich wirklich haargenau, was ich angehen muss, um noch schneller zu sein.

Inwieweit musstest du nach acht Jahren in der leichten Klasse deinen Fahrstil anpassen?
Sandro Cortese: In der Moto3 muss man sehr rund fahren und sehr viel Speed mitnehmen, weil die Leistung nicht so da ist. In der Moto2 muss man sehr hart anbremsen, nicht mit so viel Kurvenspeed wie mit der kleinen Maschine, aber dann wieder stark herausbeschleunigen. Bis man das richtig verinnerlicht hat, auch das Driften aus den Kurven mit abbauenden Reifen, das dauert seine Zeit.

Gab es außer der Verletzung auch technische Probleme, die über die Saison aufgetreten sind?
Jürgen Lingg: Auf jeden Fall lief die ganze Saison besser als es die Ergebnisliste wiedergibt. Gegen Ende der Saison hatten wir viel Pech. In Australien bekamen wir im Warm-Up unerwartet ein Problem in der letzten Runde mit der Elektronik, was natürlich sehr knapp vor dem Rennen war und schwer zu lösen war, da es nur ein einziges Mal auftrat und wie gesagt logischerweise die Zeit sehr, sehr knapp war. Letztendlich konnten wir das Problem nicht rechtzeitig lösen, obwohl wir alles versucht hatten. Wir arbeiteten bis zur letzten Sekunde am Motorrad. In Japan ist der Schaltautomat nach ein paar Runden im Rennen kaputtgegangen. In Valencia hatten wir einen fehlerhaften Reifen fürs Rennen erwischt. Das war natürlich die letzten drei Rennen sehr unglücklich. Da kann man aber nichts machen, das ist einfach Pech. So ist das halt im Rennsport manchmal. Speziell in Phillip Island wäre sehr viel im Rennen möglich gewesen, da bin ich mir ganz sicher.

Eine Frage zum Abschlusstest in Almeria. Ihr habt den 2014er-Rahmen von Kalex mit neuen Schwingen getestet. Was hat sich noch am Bike geändert und wie sind eure Erkenntnisse vom Test?
Jürgen Lingg: Wir versuchen natürlich unentwegt, uns einen technischen Vorsprung zu erarbeiten. Kalex macht auch sehr gute Arbeit und entwickelt immer weiter. Wir haben neue Schwingen-Variationen und einen neuen Rahmen mit verschiedenen Steifigkeiten probiert, aber da wird sich mit Sicherheit nochmal etwas ändern. Das ist alles noch nicht zu 100 Prozent aussortiert. Von Öhlins werden sicherlich auch noch Updates kommen für die Federelemente. Von der elektronischen Seite her, kommen in der Klasse nächstes Jahr auch neue Sachen dazu. Die Moto2-Klasse nähert sich etwas mehr der MotoGP an - der Fahrer bekommt dann mehr Information im Dashboard zu sehen wie zum Beispiel Sektor-Zeiten und Flaggen-Signale. Wir arbeiten auch an einem neuen Schaltautomaten, der schnellere Schaltvorgänge erlaubt und vor allem zuverlässiger sein muss, um ein Problem wie in Motegi vorzubeugen.

Sandro Cortese: Mein Eindruck vom ganzen Motorrad ist sehr positiv. Die Entwicklungen von Kalex kommen mir sehr entgegen. Wir haben noch lang nicht alles aus dem Motorrad herausgeholt. Ich konnte mich auf der Strecke, wo ich Anfang der letzten Saison schon gefahren bin, bereits verbessern. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass ich jetzt eine Saison Erfahrung gesammelt habe. Aber im Großen und Ganzen bin ich sehr zufrieden mit dem Test und dem Bike. Ich hatte auch richtig Spaß beim Fahren und fühle mich wohl.

Welche Ziele habt ihr euch für 2014 gesteckt? Stehen Podiumsplatzierungen auf eurem Plan?
Sandro Cortese: Sagen wir es so - wir sind da, um irgendwann wieder zu gewinnen. Wir werden über den Winter alles in unserer Macht Stehende tun, um zunächst einmal wieder in die Reichweite des Podiums zu kommen. Aber wir wissen alle, wie hart das ist. Wir müssen erst einmal das bestätigen, was wir in den letzten paar Rennen angedeutet haben. Wir sind aber auch keine Träumer. Wir müssen einfach sehr hart arbeiten. Konditionell und technisch, denke ich, sind wir sehr gut aufgestellt. Die Jungs machen eine Top-Arbeit. Ich muss mich noch weiterentwickeln. Ich werde auch alles daran setzen, um mir später nicht vorwerfen zu müssen, dass ich über den Winter nicht gut gearbeitet hätte. Der Hunger, wieder auf dem Podest zu stehen, ist extrem groß. Es ist für einen Rennfahrer das schlimmste, gerade nach meinem Jahr davor, sich wieder hinten anzustellen. Man gibt trotzdem alles, aber es geht halt nicht, weil einfach die Erfahrung noch gefehlt hat. Jetzt weiß ich es besser und versuche auch, das auszuschöpfen. Alles ist möglich.

Neue Fahrer steigen ab 2014 aus der Moto3 auf - alte Rivalen - Vinales, Salom und Folger. Bist du ihnen einen Schritt voraus?
Sandro Cortese: Ich hoffe es. Ich denke, dass Maverick, wie man schon hier beim Test sehen konnte, sehr schnell sein wird. Jonas und Luis brauchen, denke ich, auch ihre Zeit. Im Endeffekt müssen wir abwarten, was in Doha passiert, denn Testen und Grand Prix sind immer zwei verschiedene Paar Schuhe.

Es steht eine längere Winterpause an. Das bedeutet nicht immer gleichzeitig, dass jetzt Ferien angesagt sind. Macht ihr trotzdem Urlaub?
Sandro Cortese: Ich denke, dass wir uns alle im Dezember etwas erholen werden. Die Jungs haben Anfang des Monats im Hauptquartier in Memmingen noch einige Arbeiten zu erledigen, um alles vorzubereiten. Aber ich denke, spätestens Mitte Dezember geht jeder in den wohlverdienten Urlaub. Ich fahre jetzt direkt nach diesem Test weg. Später habe ich noch eine OP vor mir, um die Platte zu entfernen. Nicht zu vergessen das Konditionstraining über den Winter.

Jürgen Lingg: Für mich wird es kaum Zeit zum Ausruhen geben. Ich muss die Vorbereitungen für die nächste Saison treffen und umso früher ich das tue, umso besser ist es. Damit natürlich auch das Material rechtzeitig für die nächsten Tests ab 6. Februar da ist. Anfang Februar sind wir schon wieder hier in Almeria. Deshalb kann ich da keine Zeit verschwenden und muss alles in die Wege leiten. Auch letztes Jahr wartete besonders im Dezember und Januar die meiste Arbeit auf mich.