Wir beginnen mit einem Blick in den Rückspiegel. Die Saison 2011 war ein sehr bewegtes Jahr für dich...
Dario Giuseppetti: Das könnte man so sagen, es gibt Positives, aber auch Negatives aus der vergangenen Saison mitzunehmen. Der erste Gedanke beim Stichwort 2011 werden vermutlich immer meine zwei schweren Stürze in Oschersleben und in Schleiz sein, die schließlich meine Saison maßgeblich beeinflusst haben. Positiv zu sehen ist das Gesamtpaket, das mein Team und ich an den Rennwochenenden schnüren konnten. Es war uns bis auf das Wochenende am Salzburgring, einer brutalen High-Speed Strecke, immer möglich, das Tempo der Top-Leute mitzugehen. Dabei sticht vor allem das Meeting am Sachsenring heraus, welches ich mit der Pole Position und einem Doppelsieg nicht besser hätte bestreiten können. Diese positiven Ansätze, also die Entwicklung des Motorrads und der gesamten Teamstruktur, müssen wir für die kommenden Aufgaben mitnehmen.

Deine Saison war am 7. August durch den Sturz in Schleiz beendet. Einige Operationen und ein Reha-Programm waren dann dein Tagesgeschäft...
Dario Giuseppetti: Meine Saison endete wirklich sehr abrupt. Ich hatte am Buchhübel die Kontrolle über meine Ducati verloren, was dann mit einem heftigen Abflug endete. Nachdem ich im Sturz vom Motorrad getroffen wurde und mir die Luft weg blieb, fand ich mich im Acker neben der Strecke wieder. Ich realisierte relativ schnell, was passiert war und entdeckte dann mein abgeknicktes Bein. Glücklicherweise befanden sich gleich in der Nähe der Unfallstelle mehrere Streckenposten und Mediziner, so dass die Bergung eigentlich sehr schnell erfolgte. Die erste Versorgung fand sofort an der Strecke statt. Danach wurde ich in das örtliche Krankenhaus gefahren, geröntgt und sofort operiert. Bei der Operation wurden mir dann ein Marknagel, eine Platte sowie insgesamt zwölf Schrauben in mein Bein eingepflanzt. Die folgenden Operationen sowie die anschließende Rehabilitation sind auch Dinge, die ein Racer-Herz nicht unbedingt höher schlagen lassen.

Stürze sind an solchen Naturrennstrecken ja nicht ganz unproblematisch...
Dario Giuseppetti: Naturrennstrecken sind natürlich immer etwas gefährlicher als eine permanente Rennstrecke wie der Sachsenring, Nürburgring oder Oschersleben. Durch die teilweise nicht vorhandenen Kiesbetten können sich solche Stürze wesentlich schwerwiegender darstellen. Wichtig ist ein schnelles Handeln der Rennleitung, da man ja auch keine asphaltierten Rettungswege hat und dementsprechend alle Bergungsaktionen über die Strecke abwickeln muss.

In den darauffolgenden Tagen wurdest du an deinem Krankenbett fürsorglich betreut...
Dario Giuseppetti: Das stimmt. Mein Freund und Fahrerkollege Manuel Hernandez hat mir am Krankenhausbett sozusagen Händchen gehalten. Uns verbindet schon etwas länger eine Freundschaft. Manuel fuhr zum Beispiel in Schleiz mit einer von mir geliehenen Kombi, da eine etwas preiswertere Fluggesellschaft sein Gepäck weggezaubert hatte. Er hatte sich nach dem Rennen sofort dazu bereit erklärt, sich um mein Wohnmobil zu kümmern und es in der folgenden Woche an das Krankenhaus gefahren, in dem ich lag und praktischerweise in dieser Zeit drinnen gewohnt. Im Nachhinein bin ich sehr froh und dankbar darüber, da er mir auch etwas die Zeit vertrieben hat und mein Aufenthalt nicht ganz so langweilig war.

Die Freude auf die Rückkehr in den Sattel war das Wichtigste in der Verletzungspause, Foto: Toni Börner
Die Freude auf die Rückkehr in den Sattel war das Wichtigste in der Verletzungspause, Foto: Toni Börner

Wie erlangt man nach so einem schweren Sturz seinen Speed wieder und bekommt den Kopf frei?
Dario Giuseppetti: Der Sturz war für mich eigentlich kein psychisches Problem, sondern eher rein medizinischer Natur. Was die körperlichen Leiden betrifft hatte ich in meiner Karriere schon schwerere Stürze. Man sollte sich als Fahrer danach nicht irgendwelche Fragen stellen nach dem Wieso, Weshalb und Warum. Es sollte vielmehr die Freude auf den Moment im Kopf sein, das erste Mal wieder auf dem Motorrad zu sitzen, als der Gedanke an den Sturz. Geärgert habe ich mich natürlich schon, wir lagen in der Gesamtwertung an einer aussichtsreichen Position und in Schleiz war ein gutes Ergebnis in Reichweite...

Nicht nur im Bezug auf die Meisterschaft war der Zeitpunkt ungünstig, du wurdest im Sommer auch öfter im GP-Fahrerlager gesehen. Gab es Möglichkeiten, in die WM zurück zukehren?
Dario Giuseppetti: Optionen gab es zu diesem Zeitpunkt und die gibt es auch jetzt noch. Ich hatte in dieser Phase der Saison schon konkrete Kontakte und auch Gespräche. Sicherlich ist zu so einem Zeitpunkt eine Verletzung und das damit verbundene Saisonende nicht unbedingt zuträglich. Wichtig ist bei solchen Verhandlungen und Situationen immer ein stetiger Leistungsnachweis und entsprechende Resultate, um sich letztendlich im Gespräch zu halten. Durch diese schwere Verletzung war das dann schlichtweg nicht mehr möglich. Jetzt wurden diese Ziele erst einmal auf die berühmte lange Bank geschoben.

Wie wäre der finanzielle Rahmen abgesteckt gewesen?
Dario Giuseppetti: Sicherlich wären da einige Sponsorengelder nötig gewesen, da es sich in der heutigen Zeit bei fast 95 Prozent aller Aktiven um Bezahlfahrer handelt. Allerdings sind entsprechende Beträge im Großraum Berlin sehr schwer zu generieren, da die Region hier im Gegensatz zum Umland des Sachsenrings oder Bayern kein sonderlich großes Interesse am Motorradrennsport beherbergt. Für die Teams sind solche wirtschaftlich bedingte Entscheidungen allerdings unumgänglich. In den letzten Jahren spielten bei einigen personellen Veränderungen im WM-Fahrerlager nicht unbedingt sportliche Aspekte eine übergeordnete Rolle. Für die Teams muss eben auch ein greifbarer wirtschaftlicher Nutzen vorhanden sein.

Wäre die BSB auch eine Alternative?
Dario Giuseppetti: Prinzipiell ja, aber man muss schon deutlich sagen, dass die Fahrer in der britischen Meisterschaft extrem schmerzfrei sind. Wenn man solche Kurse am Limit befährt, wie sie auf der Insel alltäglich sind, sollte man schon mit sich selbst im Reinen sein. Da ist Einiges an Toleranz gefragt. Ein Traum wäre zum Beispiel auch ein Einstieg in die Superbike-WM auf Ducati, da mein Herz bekanntlich rot schlägt und ich mich auf diesem Motorrad sehr wohl fühle. Wir haben die letzten Jahre viel Entwicklungsarbeit geleistet und ein Aufstieg wäre da eventuell der nächste logische Schritt.

So bleibst du der IDM auch 2012 erhalten. Die Saisonvorbereitung war aber nicht unbedingt ideal...
Dario Giuseppetti: Das grüne Licht kam in Bezug auf alle Dinge erst sehr spät. Wie so oft im Leben kommen viele negative Dinge zusammen. Es sollten in dieser Zeit noch einige Operationen folgen, da das eingesetzte Metall wieder entfernt werden musste und ich auch die meiste Zeit mit Infektionen zu kämpfen hatte. Letztlich lassen sich bei einer so schweren Verletzung solche Dinge aber nicht umgehen. Beim ersten Pirelli-Test im Februar war es mir auch nicht möglich, mehr als vier bis fünf Runden zu drehen, da die Schrauben in meinem Bein im Stiefel extrem gedrückt haben und so ein vernünftiges Fahren kaum möglich war. Nachdem mein Fitnesslevel relativ schnell wieder hergestellt war und ich mich persönlich bereit fühlte, kamen einige schwierige organisatorische Dinge dazu. So wurde das Material für die neue Ducati sehr spät ausgeliefert und die technische Vorbereitungszeit war dadurch eher kurz. Der offizielle IDM-Test in der Lausitz fand ja bekanntlich auch bei eher winterlichen Bedingungen statt. Klar bin ich ein paar Runden gefahren, aber mehr als ein kurzer Funktionstest waren die wenigen Kilometer nicht, von wichtigen Einstellungen ganz zu schweigen.

Dario Giuseppetti hat harte Konkurrenz, Foto: Toni Börner
Dario Giuseppetti hat harte Konkurrenz, Foto: Toni Börner

Bekommst du Werksunterstützung von Ducati? Schließlich bist du der Einzige, der die neue Panigale in einer Meisterschaft auf Top-Niveau einsetzt...
Dario Giuseppetti: Nein, eine Werksunterstützung gibt es aufgrund organisatorischer Unstimmigkeiten nicht. Ich werde mit meinem Team in Eigenregie versuchen, das Beste aus dem Bike herauszuholen. Ich denke, wir sind in der derzeitigen Konstellation bestens aufgestellt. Die IDM besitzt mit Fahrern wie Ranseder, Teuchert oder Matej Smrz ein sehr starkes Fahrerfeld, aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir das Motorrad weiterhin in Richtung Spitze weiterentwickeln können.

Der Absprung vom Hauptsponsor Technogym riss ja auch ein nicht unerhebliches Loch ins Budget...
Dario Giuseppetti: Wichtige und große Sponsoren zu verlieren, ist nie unproblematisch. Wir haben versucht, uns durch gute Ergebnisse in der letzten Saison weiterzuempfehlen. Allerdings kam für 2012 kein neuer Vertrag zustande, mehr kann ich zu diesem Thema leider nicht sagen.

Nicht nur die Teams haben unter der derzeit schwierigen Situation zu leiden. Die Serie hat ebenfalls zu kämpfen...
Dario Giuseppetti: Durch die derzeitige wirtschaftliche Lage stehen für den Motorradsport kaum Mittel durch die Industrie bereit. Die Plattform für unseren Sport ist sicherlich vorhanden, aber ohne Sponsoren im Format eines internationalen Konzerns ist es sicherlich sehr schwierig, in gewisse Dinge eine Bewegung zu bekommen. Positiv ist natürlich die TV-Präsenz, die seit ein paar Jahren gegeben ist. Natürlich könnte man die Berichterstattung ausweiten, aber mit in Zukunft einer Stunde Sendezeit für jedes Event können wir zufrieden sein und bei der Sponsorensuche so auf bessere Argumente zurückgreifen.

Die Fahrerfelder werden aber immer kleiner...
Dario Giuseppetti: Es gab ja für die Sasion 2012 mehrere Änderungen. Aus finanzieller Sicht fallen da zuerst die Nenngelderhöhung und das Streichen der Preisgelder ins Auge. Wie sich diese zusätzliche Belastung für die kleineren Teams auswirkt, kann ich natürlich nicht beurteilen, aber ich denke, die Höhe der Ausgaben wird da schon deutlich gestiegen sein. Diverse Reglementänderungen wiegen in der Superbike-Klasse da schon schwerer im Budget.

Du meinst die Freigabe bestimmter Bereiche, wie zum Beispiel das Tunen der Motoren?
Dario Giuseppetti: Ja, diese sehr kostenintensiven Maßnahmen wiegen weit schwerer als die eben genannten Nenngelderhöhungen. Das Thema wurde in der Vergangenheit sehr stark diskutiert. Dabei stellt sich die Frage, ob sich der Aufwand überhaupt lohnt. Interessiert es jemand, ob wir auf der Geraden 20 km/h schneller fahren? Ich glaube nicht. Speziell für die Privatfahrer ist der damit verbundene Mehrbedarf am Budget nicht zu stemmen. Ein Peter Preussler investiert jede Saison 50.000 bis 60.000 Euro, um an der IDM Superbike teilzunehmen. Sollten dann selbst solche Summen nicht ausreichen, macht es wenig Sinn, sich weiter zu engagieren, um letztendlich unregelmäßig mal einen oder zwei Punkte einzufahren. Die IDM lebte allerdings in den vergangenen Jahren auch von der Präsenz solcher Privatfahrer und der Kämpfe im Mittelfeld. Diese Fahrer haben die Besucher an der Strecke genauso unterhalten wie die Piloten an der Spitze.

Eine weitere Verkleinerung der Starterfelder wäre die logische Konsequenz?
Dario Giuseppetti: Nicht nur die Quantität des Feldes würde leiden, sondern auch die Qualität. Letztendlich stehen dann die kleineren Teams den großen Teams von BMW oder Yamaha chancenlos gegenüber, was sich in den Rundenzeiten und letztendlich auch in der Charakteristik des Rennens niederschlägt.

Da stellt man sich die Frage: Was treibt euch an, diesen Sport weiter zu betreiben?
Dario Giuseppetti: Ich denke, wir Fahrer haben da sprichwörtlich einen Nagel im Kopf. Ein wirtschaftlich sinnvolles Denken ist im Bezug auf unseren Beruf oder unsere Leidenschaft sozusagen nicht vorhanden. Es ist einfach die Liebe zum Motorradfahren und wer sich schon mal in einer Startaufstellung bewegt hat, merkt schnell, dass das Leben eines Rennfahrers nicht nur Schattenseiten hat. Für die Zukunft bleibt die Hoffnung, dass sich die IDM weiterentwickelt und eine der stärksten nationalen Meisterschaften bleibt.