Langsam schleicht er sich an. Er braucht keine Deckung, steuert direkt auf seine Opfer zu und rollt gemächlich über sie hinweg. Die Sonne brennt auf die Grashalme, aber kaum ein Luftzug erfrischt sie vor dem Unvermeidlichen; bevor sie von dem spanischen Gärtner auf seinem Rasenmäher erfasst werden. Hilfeschreie gibt es keine. Es ist totenstill auf dem Circuit Ricardo Tormo. Nur ein Kartmotor heult immer mal in der Ferne kurz auf, verstummt aber sogleich wieder.

In Aktion: mit 140 PS über den Circuit Ricardo Tormo., Foto: BMW
In Aktion: mit 140 PS über den Circuit Ricardo Tormo., Foto: BMW

Das ist also der Tag an dem ich sterben werde. Natürlich nicht aus Langeweile, der Anblick des Rasenmähermanns ist sogar beruhigend. Immerhin soll ich gleich in entgegen gesetzter Richtung zum Rasenmäher mit einem Formel BMW über die Strecke brausen. Gemächliches Tuckern in Schrittgeschwindigkeit ist dann vorbei; der Rasenmäher, der Mann, ja sogar der Rasen werden zur Nebensache. "Als ich Formel BMW gefahren bin, habe ich wegen des Adrenalinschubs erst im Flugzeug gemerkt, dass ich mich kaum vor Schmerzen bewegen konnte", hatte mir unser Redakteur Juha Päätalo aufbauende Worte mit auf den Weg nach Valencia gegeben. Genau dafür hat man Kollegen, die das Erlebnis schon hinter sich haben - aber der soll bloß den nächsten Redaktionsplan abwarten; wenn ich denn je dazu kommen sollte, ihn zu schreiben...

Angst vor einem Unfall habe ich nicht, schließlich hat unser Theorielehrmeister am Morgen noch davon geschwärmt, dass der FB02, so heißt der Formel BMW-Bolide, den höchsten Sicherheitsstandards entspricht. Die bange Frage ist eher: welchen Kopf stutzt der Rasenmähermann als nächstes, wenn ich ein 56.750 Euro teures Auto (ohne Umsatzsteuer und Extras) in der ersten Runde unter dem Reifenstapel parke? Direkt hinter der frisch gemähten Wiese... Die Strecke von oben lernen, sagt man wohl dazu, jedenfalls wenn man sieben WM-Titel auf dem Konto hat. Nach der Rasenmäherbehandlung wäre ich wahrscheinlich auf Augenhöhe mit dem Stammfahrer des Schwesterautos vom Typ F1.07 oder der weißhaarigen Eminenz der Königsklasse.

Seatfitting im Liegen: noch viel weiter runter rutschen..., Foto: BMW
Seatfitting im Liegen: noch viel weiter runter rutschen..., Foto: BMW

Mein FB02 mit der Startnummer 6 steht schon jetzt eine Etage tiefer in der Box, bereit loszudüsen - übrigens standesgemäß in Weiß und Blau. Mit dem ganzen Flügelwerk erinnert er durchaus an sein Vorbild. Ob schon mal jemand die Flexibilität der Flügel getestet hat? Der Heckflügel fühlt sich jedenfalls sehr stabil und überraschend fest an. Aber wie viel Druck muss man wohl mit dem Fuß auf den Frontflügel ausüben, um die FIA-Tests exakt zu simulieren? Dieses Experiment verschiebe ich lieber auf einen anderen Tag, sofern das geht, Kopf kürzer und so...

Rennanzug, Rennhandschuhe, Rennschuhe, Sturmhaube, Helm - noch passt mir alles. Auch im Auto durfte ich beim Seatfitting am Vortag schon einmal Platz nehmen. "Rutsch weiter runter, weiter runter, ruhig noch weiter runter", wiederholte Instruktur Duncan Huisman. Von Sitzposition konnte schon lange nicht mehr die Rede sein, es ging nur noch darum, einigermaßen "bequem" im Cockpit zu liegen, so dass die Laufflächen der abgefahrenen, leicht verschmutzten Michelins kaum mehr zu sehen waren. Das war die perfekte Lage und gleichzeitig hatte ich die perfekte Ausrede für langsame Rundenzeiten am nächsten Tag entdeckt: Diese Reifen konnten ja gar keinen Grip haben...

Komfortabler Arbeitsplatz: bequem, viel Bewegungsspielraum, reichlich Luft zum Atmen..., Foto: BMW
Komfortabler Arbeitsplatz: bequem, viel Bewegungsspielraum, reichlich Luft zum Atmen..., Foto: BMW

Eines hatte mein Auto zu diesem Zeitpunkt tatsächlich nicht: genügend Saft. Die Batterie war leer. Grund zur Sorge? Ein schlechtes Omen? Erst als Duncan anfing bei der Erklärung des Lenkraddisplays alle Fehlermeldungen zu erklären, kamen ernsthaft ein paar Zweifel auf. Das war wie beim heimischen Betriebssystem, nur dass man bei einem Bluescreen erst gar nicht verstehen würde, dass es ein Problem mit der Wasser- oder Öltemperatur gibt.

Mit solchen Problemen muss ich mich im Moment aber nicht herumplagen. Das Seatfitting war gestern. Jetzt heißt es den Helm aufziehen, mit vereinten Kräften den Verschluss verknoten und zum ersten Mal in voller Montur ins Cockpit gleiten. Am Kopfschutz ist es etwas eng, aber kaum sind die Schultern ganz im Cockpit verschwunden, bereitet das keine Probleme mehr. Die Mechaniker ziehen die Gurte an, erst an den Beinen, dann über der Brust; immer fester - mir bleibt kurz die Luft weg. Das kann doch so nicht gehen, das halte ich nicht aus, wie soll man so eingeschnürt fahren? Aber der Moment vergeht, der Druck verfliegt von allein, schon nach ein paar hundert Metern spüre ich ihn nicht mehr. Die Konzentration, die Sinne liegen ganz woanders.

Auf geht's: die Strecke ist frei., Foto: BMW
Auf geht's: die Strecke ist frei., Foto: BMW

Denken, lenken, bremsen, kuppeln, Zwischengas, am Ganghebel reißen, Kupplung loslassen und wieder von vorne - und das innerhalb weniger Sekundenbruchteile; vom ersten bis in den sechsten Gang. Die erste Ausfahrt ist eine Lehrstunde im gleichzeitigen Bedienen von drei Pedalen, des Schalthebels und des Lenkrads. Auf der Geraden kann ich erstmals voll beschleunigen, die Drehzahl steigt, der Motor heult, der Fahrtwind rauscht unter dem leicht geöffneten Visier. Die Zahlen auf dem dunklen Display nehme ich schon gar nicht mehr bewusst wahr, Flaggen und Ampeln verkommen zu Bildrauschen, ich bemerke nur noch die Drehzahlleuchten am oberen Rand des Lenkrads, und selbst die verschwimmen zu grünen, gelben und roten Punkten. 300 m bis zur Kurve, 200 m, 150 m - ich trete, wie ich meine, hart auf das Bremspedal, das kann niemals gut gehen. Das Auto beginnt zu verzögern, ich bremse immer stärker, trete immer härter aufs Pedal, die Kurve und das Kiesbett dahinter kommen immer näher, allerdings immer langsamer. Das Auto ist mittlerweile fast schon zu langsam für die Kurve. Beim nächsten Mal kann ich den Bremspunkt getrost noch viel später setzen, noch viel härter auf das Pedal treten.

Mit Vollgas weg vom Gras., Foto: BMW
Mit Vollgas weg vom Gras., Foto: BMW

Plötzlich passiert es: Übersteuern in Kurve 2, das Heck kommt. Der Dreher scheint unvermeidlich, ich denke schon daran, wie es weitergeht. Wie wenden? Wie den Motor am Leben halten oder gar neu anlassen? Gleichzeitig lenke ich instinktiv gegen, das Auto wird langsamer, beruhigt sich wieder. Die Kurve ist gerettet. Wie? Keine Zeit darüber nachzudenken, die nächsten Kurven sind schon da. Erst einmal langsam durch Kurve 3, auch in Kurve 4 halte ich mich noch zurück. Dann hoch schalten, dritter Gang, vierter Gang, Kurve 5, beschleunigen bis zu Kurve 6, kurz abbremsen, links einlenken und früh wieder aufs Gas. Kurve 7 ist nur ein leichter Linksknick, mit Vollgas hindurch und dann anbremsen für Kurve 8, die eigentliche Linkskurve. Zu schnell! Viel zu schnell. Die Räder blockieren, ein Sprung über die Kerbs und schon wirbeln Steinchen durch die Luft. Die Michelins nehmen eine noch sandigere Farbe an als ihre Pendants vom Vortag. Langsam hopple ich durch ein paar Meter Kiesbett, die Geräuschkulisse hat fast etwas von Kinoatmosphäre. Rascheln trifft Unterbodenkratzen. Es folgt ein kurzes Stück Wiese. Da sind sie wieder: die Gedanken an den Rasenmähermann. Vor einer guten halben Stunde ist er noch durch die grüne Wiese gepflügt, jetzt nehme ich ihm die Arbeit ab. Einige Grashalme bleiben direkt an den Reifen kleben, andere werden von den Aerodynamikteilen geköpft. Verglichen mit der lächerlichen Geschwindigkeit des Rasenmähers verpasse ich dem Gras aber einen Haarschnitt im Turbotempo.

Verkehr auf der schnellen Runde., Foto: BMW
Verkehr auf der schnellen Runde., Foto: BMW

Genauso geht es auf der Strecke weiter. Einmal an das Auto gewöhnt, mit den gleichzeitigen Schalt- und Bremsvorgängen angefreundet, komme ich immer besser in Fahrt. Vor mir taucht ein anderes Auto auf. Ich folge ihm eine halbe Runde, schließe immer weiter auf. Jetzt wird es Zeit für das erste Überholmanöver. Ich bin nah dran, komme immer näher. Ich überlege schon, wo und wie ich vorbeigehen soll. Dann bleiben die Räder für eine Sekunde stehen, der Abstand ist wieder angewachsen. Was ist passiert? Dirty Air, ist der Luftfluss abgerissen? Nein, wohl eher ein winziger Verbremser hinter dem Vordermann. Umso mehr will ich mich wieder herankämpfen, fahre an meinem Limit durch die Kurven, hänge dem Vordermann wieder im Getriebe. Jetzt muss es klappen. Die Zielkurve rechtzeitig anbremsen, früh wieder aufs Gas, beschleunigen, die Gänge ausfahren, hoch schalten. Der Motor dreht immer höher, der Speed nimmt zu, die Schaltleuchten verschwimmen wieder zu bunten Lichtern. Ich lenke leicht nach links und ziehe auf die Überholspur; bin schon am Heck des anderen Autos vorbei... nur noch eine halbe Wagenlänge... auf Cockpithöhe. Wir fliegen nebeneinander auf die Ziellinie zu; ich bin fast vorbei - da rechts im Augenwinkel ein schwarz-weißes Etwas. Jemand schwenkt die Zielflagge. Das Training ist beendet.

Ein produktiver Testtag., Foto: BMW
Ein produktiver Testtag., Foto: BMW

Beim Losschnallen in der Box verschwende ich keine Millisekunde mehr an das beklemmende Gefühl beim Anschnallen. Wieso eigentlich aussteigen? Eigentlich könnte ich gleich weiter fahren. Der blaue Fleck am rechten Bein, die verschwitzten Rennklamotten, all das wäre kein Hindernis. Kaum ausgestiegen, wird die BMW-Kappe aufgesetzt und wie von selbst schießen mir die übelsten PR-Phrasen in den Kopf. 1.000 mal gehört, 1.000 mal gelesen, 1.000 mal nicht verwendet - und doch erscheinen sie mir in diesem Moment die richtige Wahl zu sein, und ich höre mich sagen: "Es ist gut gelaufen. Am Anfang hatte ich leichtes Übersteuern, aber wir haben daran gearbeitet und eine gute Lösung gefunden. Auf der letzten Runde bin ich im Verkehr aufgehalten worden, sonst wäre eine bessere Zeit drin gewesen. Aber es war dennoch ein sehr produktiver Tag für uns. Wir haben viele wertvolle Daten gesammelt, die wir jetzt analysieren werden. Wir sind auf dem richtigen Weg und haben definitiv Fortschritte erzielt. Dank an das Team, es hat einen super Job gemacht..."

Dann sterbe ich eben an einem anderen Tag.