Timo Glock ist momentan nicht zu beneiden. Statt eine holde Jungfrau aus den Klauen eines Feuer speienden Drachen zu befreien und auf dem Monstrum in den Sonnenuntergang zu fliegen, muss er aufpassen, dass ihm die virtuelle Dame nicht mit den eigenen Frontflügelteilen erschlägt - sollte sie denn überhaupt einmal die Lust verspüren, ihr Heim, also die warme und gut ausgestattete Virgin Racing Box, für ein paar Minuten zu verlassen...

Vielleicht liegt es am schlechten Wetter, Regen am Mittwoch, kühle Temperaturen am Donnerstag, aber der komplett am Computer entwickelte VR-01 traut sich bei seinem ersten offiziellen Auftritt in Jerez nur sehr selten in die Öffentlichkeit. Das scheue Wesen mit der schwarz-roten Lackierung schaffte am ersten Testtag gerade einmal fünf Runden. Am zweiten Testtag war nach elf Runden Schluss.

Der Frontflügel wollte fliegen

"Wir hatten heute Morgen ein Problem mit der Aufhängung des Frontflügels, was dafür sorgte, dass der Flügel zu Beginn eines Runs wegflog", erklärte Technikchef Nick Wirth, der den VR-01 mittels CFD und ohne Windkanal entwickelte. Spötter mögen nun sagen, dass Virgin das Auto vielleicht doch vor dem Streckendebüt mal vom Wind hätte anblasen lassen sollen, um zu überprüfen, ob sich bestimmte Teile dadurch lösen könnten...

Die Ursache des Problems wurde von Wirth schon ausfindig gemacht. "Leider fehlen uns ein oder zwei Ersatzteile, die wir hoffentlich heute Abend erhalten." Der zweite Testtag ist für Virgin Racing aber gelaufen. Schon am ersten Testtag konnte das Team erst am Nachmittag hinausfahren, weil Teile, die in der Nacht eingetroffen waren, erst ins Auto eingebaut werden mussten. Timo Glock fühlte sich bei Virgin an seine GP2-Zeit mit iSport erinnert: Ein britisches Team, das aus echten Racern besteht. Mittlerweile fühlt er sich vielleicht auch an seine GP2-Zeit bei BCN erinnert - oder die britischen Bastelbuden längst vergangener Tage...

Vorsichtig tastet sich das scheue Geschöpf aus der Box., Foto: Sutton
Vorsichtig tastet sich das scheue Geschöpf aus der Box., Foto: Sutton

Die bisherigen Testergebnisse, sollte man diese denn nach insgesamt 16 Runden an zwei Tagen so nennen dürfen, stimmen Glock und Wirth jedoch positiv. "In der kurzen Zeit, die wir fahren konnten, waren wir sehr ermutigt von dem, was wir gesehen haben und wir haben entscheidende Aero-Daten gesammelt, die sich in dem Bereich bewegten, den wir vorausgesagt hatten."

Schon nach seinen fünf Ründchen vom Mittwoch hatte Glock gesagt: "Es ist noch früh, aber ich bin von dem ermutigt, was ich bislang erlebt habe - vor allem von der Tatsache, dass wir am ersten Tag bei einem richtigen Test keine Zuverlässigkeitsprobleme hatten." Allerdings gab Virgin dem Defektteufel auch nicht gerade viel Zeit, um sich einen Streich auszudenken...

Glock lässt sich von der Situation nicht entmutigen. Er weiß: Bei Toyota gab es immer genügend Ersatzteile, zwei verpasste Testtage, weil Teile zu spät ankamen oder gar nicht vorhanden waren, hätte es dort nie gegeben. "Es ist anders, es macht aber keinen Sinn, dazusitzen und sich zu denken: 'Verdammt, ich will fahren.'", gibt sich der Kampfdackel kämpferisch. "Die Situation wird sich dadurch nicht ändern. Man muss sich da einfach ein wenig zurücknehmen, normal bleiben und dem Team helfen - ihnen Vertrauen schenken, bei dem, was sie tun."

Hoffentlich wissen sie auch, warum die CFD-Computer sie das tun lassen. Ansonsten ist es verständlich, warum die verängstigte Jungfrau mit Teilen um sich wirft - immerhin möchte niemand vor einem Feuer speienden, geflügelten Schuppentier fliehen, wenn das Fluchtfahrzeug sich schon vorher in Einzelteile auflöst und maximal fünf Runden am Stück zurücklegen kann.