Die Siegerfaust schnellt aus dem roten Cockpit. So kennen die Fans Michael Schumacher. Kaum im Parc Fermé angekommen, springt er aus dem Auto, umarmt innig seinen Teamkollegen Rubens Barrichello und Teamchef Jean Todt und ab geht's in das Meer aus Armen seiner Mechaniker, zwischendrin erhält auch Ehefrau Corinna ihr Siegerküsschen - nur: Michael hat das Rennen gar nicht gewonnen. Er belegt an diesem Sonntag in Suzuka "nur" den achten Platz. In einem seiner dramatischsten Titelkämpfe reicht Michael aber genau dieser achte Platz zum sechsten Titelgewinn. Erstmals darf er sich Rekordweltmeister nennen.

Die Statistik interessiert in diesem Moment niemanden, weder Michael noch die ausgelassenen Mechaniker. Auf Händen tragen sie ihren Champion durch die Gegend, werfen ihn in die Luft und duschen ihn gnadenlos mit Champagner und noch viel mehr Champagner. Fast drei Stunden nach Rennende springen Michael, seine Ingenieure und Mechaniker über die Boxenmauer, stürmen die Zielgerade und feiern vor der noch immer gut gefüllten Haupttribüne ihren Erfolg.

Michael Schumacher sicherte sich seinen sechsten WM-Titel., Foto: Sutton
Michael Schumacher sicherte sich seinen sechsten WM-Titel., Foto: Sutton

Diesen müssen sie sich in der Saison 2003 hart erarbeiten. Die Dominanz der vorangegangenen beiden Jahre ist verflogen. Neue Regeln und ein neues Punktesystem sollen die WM offener gestalten, länger spannend halten. Dabei legt Michael ohnehin keinen Traumstart hin. Vierter in Australien, Sechster in Malaysia und ein Abflug beim Regenchaos in Sao Paulo. Es ist das erste Mal seit Hockenheim 2001, dass Michael nicht ins Ziel kommt. Seine Konkurrenten heißen Kimi Räikkönen und BMW-Williams-Pilot Juan Pablo Montoya, beide sind auf Michelin-Reifen unterwegs, was im Laufe der Saison noch entscheidend sein wird.

In Imola gibt die rote Göttin, der so erfolgreiche F2002, ihren Abschied von der GP-Bühne, standesgemäß fährt Michael den ersten Saisonsieg ein, der allerdings von der Trauer über den Tod seiner Mutter Elisabeth überschattet wird. Zwei Wochen später debütiert der neue F2003-GA, der dem verstorbenen Gianni Agnelli gewidmet ist, bald aber wegen seiner Belüftungskiemen nur noch als roter Hai bekannt sein wird. Michael gewinnt das Debütrennen des neuen Ferrari ebenso wie jenes in Österreich, wo ihn selbst Flammen beim Boxenstopp nicht vom Siegen abhalten können.

Nach einem 3. Platz in Monaco liegt Michael in der WM vier Punkte hinter Räikkönen. Auf den nächsten Sieg in Kanada folgt ein Rückschlag am Nürburgring. Michael bleibt nach einem Zweikampf mit Montoya im Kiesbett stecken. Die Streckenposten schieben ihn an, aber mehr als Platz 5 ist nicht mehr zu holen; immerhin holt er damit wichtige Punkte für den engen WM-Kampf. Davon gibt es für die Plätze 3 und 4 in Frankreich und Großbritannien wieder ein bisschen mehr, in Deutschland allerdings viel weniger. In Folge eines Reifenschadens muss er sich mit Platz 7 begnügen.

Dann der Tiefpunkt der Saison: in Budapest wird Michael von Fernando Alonso überrundet, der Spanier gewinnt seinen ersten Grand Prix und setzt den Startschuss für eine F1-Euphorie in seiner Heimat, wie sie Michael einst in Deutschland auslöste. Michael betreibt mit Platz 8 Schadensbegrenzung, womit er die WM mit einem Punkt vor Montoya und zwei Punkten vor Räikkönen anführt.

Michael Schumacher musste für den Titel hart kämpfen., Foto: Sutton
Michael Schumacher musste für den Titel hart kämpfen., Foto: Sutton

Vor dem Großen Preis von Italien erreicht der Reifenkrieg seinen Höhepunkt. Die Lauffläche der Michelin-Reifen soll nicht unter allen Bedingungen dem Reglement entsprochen haben, die FIA verabschiedet in der Folge verschärfte Regeln. Ausgerechnet beim Ferrari-Heimspiel in Monza leitet Michael die Wende im Titelkampf ein. Er holt seinen ersten Sieg seit Kanada und gewinnt auch beim US Grand Prix in Indianapolis. Während Montoya sich aus dem Titelkampf verabschiedet, reist Michael mit neun Punkten Vorsprung zum Saisonfinale nach Japan. Ihm fehlt nur ein Punkt zum sechsten Titelgewinn, ein achter Platz reicht ihm zum Rekord.

So einfach das klingt, so schwierig fällt die Umsetzung. Schon das verregnete Einzelqualifying wird zum Krimi. Räikkönen schafft es auf Startplatz 8, Michael startet nur von Position 14. Auch das Rennen beginnt ohne Fortune. Auf dem Weg nach vorne kollidiert Michael mit Takuma Sato. Nach einem Notstopp an der Box, um sich einen neuen Frontflügel abzuholen, ist er Letzter. Eine neuerliche Aufholjagd beginnt. An der Spitze führt sein Teamkollege Barrichello vor Räikkönen, ein Fehler oder ein Defekt könnten dem Finnen den Sieg und damit den Titel bringen. "Also musste ich versuchen, irgendwie Achter zu werden."

Ab der 40. Runde liegt Michael auf dem alles entscheidenden 8. Platz, der ihm den einen notwendigen Punkt bescheren würde. Das Rennen und die Aufregung sind aber noch nicht vorbei. Als Michael vor der Schikane dem Toyota von Cristiano da Matta ausweicht, trifft ihn sein Bruder Ralf von hinten, beide rodeln über die Wiese, zum Glück bleibt der Ferrari fahrtüchtig. "Allerdings hatte ich danach einen gewaltigen Bremsplatten", erzählt Michael. "Das hat sich im Auto angefühlt, als würde ich über Kopfsteinpflaster fahren. Ich habe kaum noch etwas gesehen."

Sein sechster Titelgewinn wird zu einem der spektakulärsten und am meisten umkämpften. "Ich bin glücklich, aber auch völlig leer und erschöpft", sagt er hinterher. "Ich habe momentan überhaupt keine Gefühle für den Titel, nur für mein Team. Ich bin stolz darauf, was wir alles zusammen geleistet haben." Entsprechend wild fällt die WM-Party aus, bei der sogar ein Gabelstapler eine Rolle spielt.

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