Formel-1-Rennfahrer sind langweilig, dreschen nur PR-Phrasen und haben keine eigene Meinung. Nach dem Deutschland GP sah Andi Gröbl in seiner Motorsport-Magazin.com Kolumne Grund zur Hoffnung: Fahrer ohne Blatt vorm Mund - das Ende der Worthülsen könnte endgültig anbrechen.

Andi Gröbl: Die können ja sogar sprechen!

War das nicht herrlich, wie sich Rubens Barrichello nach dem Grand Prix auf dem Nürburgring Luft verschaffte? "Das war heute ein Musterbeispiel, wie man einen Sieg vergeigt", beschuldigte er das Brawn-Team. "Ich habe alles richtig gemacht. Ich will jetzt am liebsten in den Flieger und heim. Ich will mit niemandem mehr im Team reden. Das ist ohnehin nur bla bla und bringt nichts." Starker Tobak!

Vor allem von einem, der im Rennen die elftschnellste Runde gedreht hat. Gerade dieser Ausbruch verdeutlicht aber, dass ein neuer Spirit in die Formel 1 eingezogen ist. Die ewigen Worthülsen und Stehsätze ("Es war ein gutes Rennen, aber wir haben noch viel Arbeit vor uns.") haben in den letzten zwei bis drei Jahren deutlich abgenommen. Willkommen in der Welt des Showbiz!

Villeneuves Kapitulation

Jacques Villeneuve wünscht sich mehr Krieger in der Formel 1., Foto: Sutton
Jacques Villeneuve wünscht sich mehr Krieger in der Formel 1., Foto: Sutton

Jacques Villeneuve, der in den letzten Wochen ja mehrere Inserate in eigener Sache geschaltet hat, hat es auf den Punkt gebracht: die Formel 1 ist für Fahrer wieder attraktiv. Sie ist wieder "menschlich" geworden. So gut das halt in so einem Business geht. Der Kanadier trug Zeit seiner Karriere (eine Verlängerung halte ich übrigens für so wahrscheinlich wie ein weiteres Comeback von Niki Lauda) immer sein Herz auf der Zunge. Zumindest solange man ihn ließ.

Irgendwann hat er vor dem schön geschriebenen PR-Heißluftballon kapituliert und fortan gar nichts mehr von sich gegeben. Unvergessen, wie alle Fahrer einst den Hockenheim-Umbau durch Hermann Tilke kommentierten. Von "interessant" bis "ein bisschen schade um die Geraden" ging das Spektrum. Nur Villeneuve sagte als einziger, was viele dachten: "Da steht eine Mauer nah an der Strecke. Wenn du da neben Sato oder Massa kämpfst, kannst du tot sein." Wenn Jacques dann mit dem zweiten Vertreter seiner Spezies - einem leicht durchgeknallten Kolumbianer - aneinander geriet, dann flogen hinter verschlossenen Türen auch schon mal die Fäuste. Ich behaupte: Montoya, ein Jahrhunderttalent hat man mit diesen Maulkörben systematisch aus der Formel 1 vertrieben. Solche Typen waren zu dieser Zeit out.

KGB & CIA

Ich erzähle manchmal gerne eine Geschichte aus meiner Anfangszeit als Boxenreporter. Beim Österreich-Grand Prix 1998 hatte Eddie Irvine kurz vor Schluss rätselhafte Bremsprobleme bekommen. Sein Teamkollege Michael Schumacher - oh Wunder - erbte dadurch den dritten Platz. Blauäugig und voll guten journalistischen Willens stellte ich den Nordiren zur Rede. Als ich es nach der zweiten Standardantwort ("gutes Rennen... noch viel Arbeit...") immer noch nicht kapiert hatte und nochmals nachfragte, ob das nicht elend sei, so besch*** zu werden, passierte das Unglaubliche: Eddie Irvine drehte sich einfach um und ging. Wortlos. Live auf Sendung. Da war mir klar: OK, das hat hier irgendwie was von KGB und CIA.

Selbst Eddie Irvine wurde vom System verbogen., Foto: Sutton
Selbst Eddie Irvine wurde vom System verbogen., Foto: Sutton

Gute zehn Jahre später bröckelt nicht nur das Machtkonstrukt von Bernie Ecclestone und die Allmachtstellung von Max Mosley. Im Sog dieses neuen Zeitgeists ist man nun hoffentlich auch bereit, dieses dunkle Kapitel der Außendarstellung eines Sports zu beenden. Die Fans werden es danken. Denn Formel 1-Fahrer dürfen keine Hybriden mit eingebauter Sprechfunktion werden. Sie sind immer noch Menschen. Und viele von ihnen sogar gute Jungs. Nur dass man ihnen kaum Gelegenheit gibt, das auch zu sein.

Der Witz ist da!

Wer beispielsweise die Herren Formel 1-Piloten heuer in den Vorbereitungen für Le Mans gesehen hat, der hatte manchmal den Eindruck, da wird ein Haufen Pubertierender auf die Menschheit losgelassen. Bei aller harten Arbeit als Rennfahrer, da wurde beim Testen und beim Trainingslager gelacht und gescherzt, den Teamkollegen Dinge versteckt, lustige Hüte aufgesetzt und so weiter. Dieselben Herren gaben und geben im Formel 1-Umfeld dann wieder dieselben polierten Antworten von sich. So ganz alleine an den Piloten dürfte es also wohl nicht liegen.

Zugegeben, von amerikanischen Verhältnissen sind wir noch weit entfernt. Dort wird man nur ein ganz Großer, wenn man dem Publikum die Show bietet, die es einfach erwartet. Ein kleines Detail aus dem NASCAR-Sport: Dort weiß jedes Kind, wer "Junior" (Dale Earnhart jr.), "Smoke" (Tony Stewart) oder "Ears" (Kurt Busch) ist. So funktioniert Markenpflege. Ein Status, den bei uns in der öffentlichen Wahrnehmung grad mal "Schumi" erreichen konnte. Selbst der "Iceman" findet kaum Aufnahme in den täglichen Sprachgebrauch (Kollege Jacques Schulz mal ausgenommen, aber der muss an jedem Wochenende so viel erzählen, dass der Iceman zwangsläufig mal herhalten muss.)

Eine Prise Red Bull

Immerhin sind wir auf einem besseren Weg als noch vor einigen Jahren. Lewis Hamilton hat doch zu Saisonbeginn reumütig und aus freien Stücken eine unüblich offene Pressekonferenz gegeben, in der er die Fehltritte von Melbourne beichtete. "Ich bin kein Lügner!" lieferte er die Schlagzeile des Tages. Nico Rosberg ist auch immer für einen guten Spruch zu haben. Sogar der sonst so spröde Nick Heidfeld war für einen wirklich brauchbaren Sager zu haben. Als ihm Comedian Mario Barth, neben Kai Ebel stehend kurz vor dem Grand Prix eine "Fachfrage" anbot, grinste Nick schelmisch und sagte: "Endlich mal eine Fachfrage. Sonst steht nämlich immer er (Kai Ebel) hier und fragt."

Gerhard Berger bemerkte vor nicht allzu langer Zeit: "Wir haben die deppertsten Fahrer" und Franz Tost meinte noch am Wochenende über Bourdais: "Für ihn ist die Formel 1 ein Film, der zu schnell abläuft." Und Neo-Sieger Mark Webber reiht sich schön ein, seit er Kimi Räikkönens Quali-Blockade vor laufenden Kameras darauf zurückführte, der Finne habe "wohl grad ein Gläschen Wodka geschlürft oder so."

Der Eindruck täuscht nicht: da ist ein bisschen viel Red Bull drin. Vor über vier Jahren sind die Energy Drink-Leute angetreten, um dem Establishment der Formel 1 den Spiegel vorzuhalten. Mit Fun & Party und lockeren Sprüchen wollte man die Etablierten ein wenig schocken, gemäß dem Motto "work hard, play hard". Die spitzen Federn des hauseigenen Magazins "Red Bulletin" fanden einige gar nicht witzig. Den Großen ist das Lachen nun längst vergangen. Denn aus dem Lausbubenstreich ist ein Erdbeben geworden. Mit einem Economy-Budget mischt Red Bull die Formel 1 auf. Und das Beste ist: den ursprünglichen Spirit haben sie sich trotzdem erhalten. Der flotte Spruch hat wieder Saison. Etwas Besseres konnte der Formel 1 gar nicht passieren.