Motorsport-Magazin.com ist seit jeher für die hellseherischen Kräfte seiner Redaktions-Kristallkugel berüchtigt. Auf dem Höhepunkt des Streits zwischen dem Weltverband FIA und der Teamvereinigung FOTA entstaubte Chefredakteur Stephan Heublein mal wieder die Kristallkugel aus dem finstren Redaktions-Keller - nein, bei uns sind dort weder Peitschen noch Ex-Präsidenten anzutreffen. Das Ergebnis war ein todernster Blick in die Zukunft der Formel 1 oder etwa nicht?

Saison 2010: Rosberg wird Weltmeister

Wir schreiben das Jahr 2010. Die Motorsportwelt sieht doppelt. Gleich zwei Spitzenformel-Rennserien buhlen um die Gunst der Fans und das meiste Sponsorgeld.

Endlich hat er es geschafft. Er ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten und hat es allen Kritikern gezeigt: Nico Rosberg ist FIA Formel 1 Weltmeister. Nachdem McLaren und BMW Sauber die F1 in Richtung einer Piratenserie verlassen hatten, er aber nicht unter schwarzer Flagge und mit Augenklappe fahren wollte, da dies nicht zu seinem blonden Lockenschopf gepasst hätte, entschied sich Nico für einen Verbleib bei Williams, das gleichzeitig auch das einzige konkurrenzfähige Auto im 26 Fahrer umfassenden Feld baute.

Force India lag auch 2010 anderthalb Sekunden hinter dem Williams und die ganze Bande der Neulinge bezog Kundenchassis vom Patenteam Williams, das dafür jedoch die von ihnen gebauten Formel-2-Boliden hergab - sehr zur Freude von Kostensenkungsfreund Max Mosley.

Amerikanische Superhelden

Egal ob eisige Kälte oder brutalste Hitze: Die US-Supermänner kommen damit klar., Foto: Sutton
Egal ob eisige Kälte oder brutalste Hitze: Die US-Supermänner kommen damit klar., Foto: Sutton

Nur das einzige amerikanische F1-Team USF1 baute neben Williams und Force India ein eigenes Auto, denn sie hatten 20 der am höchsten qualifizierten Mitarbeiter, die man sich vorstellen konnte - immerhin waren es waschechte Amerikaner aus einem der fortgeschrittensten Hightech-Landstriche überhaupt. Für diese Supermänner war es quasi ein Klacks, die CFD-Berechnungen für den Windshear-Windkanal mit Stift und Papier durchzuführen und die Karbonteile mit den eigenen Händen zu backen.

Angesichts solcher Selfmade-Superstars in Stars and Stripes und der wiederbelebten Legenden Brabham, Lotus und March schrieb Mosley einen langen Brief an seinen Brieffreund Luca in Maranello, um diesem mitzuteilen, dass man das Traditionsteam Ferrari gar nicht brauche. Während Montezemolo mit einem Standardschreiben antwortete, das rund 23 Mal betonte, dass Ferrari als einziges Team von 1950 bis 2009 in der F1 vertreten gewesen sei (und alle neuen Teams eh Mist wären), kratzten sich die zumeist jungen F1-Fans vor ihren Fernsehgeräten am Hinterkopf: "Ey Mann, wo ist mein Ferrari? Von den konkret krassen March-Kisten hab ich noch nie was gehört..."

Comeback des letzten Kriegers

Die Rennstrategie von USF1 wurde in einer eigenen TV-Show ausgespielt., Foto: Sutton
Die Rennstrategie von USF1 wurde in einer eigenen TV-Show ausgespielt., Foto: Sutton

Da störte es auch nicht, dass sich das Brabham Team nach einer außergerichtlichen Einigung vor dem International Court of Appeal (der damit zwar absolut rein gar nichts zu tun, aber mangels McLaren-Strafen auch jede Menge Langeweile hatte) umbenannte, und zwar nach dem Heimatort ihrer neuen Fabrik in Brixworth. Das Press Release titelte: "Brabham heißt jetzt Brix."

Aufgrund des deutlichen Teamüberschusses verbot Bernie Ecclestone kurz vor Saisonbeginn das neue Superfund Team von Alexander Wurz. Eine Fondgesellschaft ließ Bernie in seiner Welt nicht zu; er ist der Einzige, der dort Geld anhäufen darf...

Bereits nach dem 1. Freien Training der neuen Saison schickte USF1 seine beiden US Boys nach Hause: Die ehemaligen NASCAR-Piloten bogen ständig direkt nach der Boxenausfahrt entgegen der Fahrtrichtung auf die Zielgerade ein, um dann wieder in die Boxeneinfahrt zu fahren - ganz so wie sie es aus ihren Ovalkursen gewohnt waren.

Jacques Villeneuve vermisste echte Hassduelle., Foto: Sutton
Jacques Villeneuve vermisste echte Hassduelle., Foto: Sutton

Als Ersatz holte USF1 Jacques Villeneuve, der jedoch bald zutiefst enttäuscht war: "Der Formel 1 fehlt es immer noch an Kriegern, es hasst sich niemand." Das lag auch daran, weil schlicht und ergreifend niemand die Namen der anderen Teams kannte und in manchen Fällen (etwa Epsilon Euskadi, von den britischen TV-Kommentatoren nur liebevoll "Double E" genannt) noch nicht einmal richtig buchstabieren konnte.

Die neue Welt

Unterdessen auf der anderen Seite der Welt. Die FOTA benannte sich in TA für Teams Association um, weil Formule One ein eingetragenes Warenzeichen von Bernie ist. Das erste Rennen sollte in Rio stattfinden, doch nach der Anreise stellten die Teamvertreter fest, dass die Strecke bereits im Vorjahr abgerissen worden war, um Platz für mögliche Olympische Spiele 2016 zu machen. Kurzerhand erklärte man das Rennen zum Stadtrennen. Vor dem Start erfolgte aber doch noch die Absage: Alle Lenkräder waren aus den Cockpits geklaut worden. Die Versicherung verweigerte die Zahlung, weil die Autos nicht abgeschlossen waren...

Apropos Autos: Die acht TA-Teams setzten jeweils drei davon ein, um das Feld aufzufüllen. Ferrari löste damit das Fahrerproblem: Sie traten mit Kimi Räikkönen, Felipe Massa und Fernando Alonso an. Brawn GP verzichtete hingegen auf einen dritten Fahrer neben Jenson Button und Rubens Barrichello.

Barrichello - Die Erlösung

Das dritte Auto blieb fürs Rubinhos zweites Ich., Foto: Sutton
Das dritte Auto blieb fürs Rubinhos zweites Ich., Foto: Sutton

Das dritte Auto diente als Ersatzwagen für Barrichello (T-Cars waren auch in dieser Serie wegen Kostensenkungsvorschlägen basierend auf dem Reglement von 2009 verboten). Das B-Car war immer einsatzbereit, wenn der Terminator im Brasilianer mal wieder die Kontrolle übernahm, er reihenweise andere Autos anrempelte und vom Flügel bis zum Getriebe alles im Eimer war. Die fehlenden Konstrukteurspunkte eines dritten Fahrers wurden laut Ross Brawn durch die enorme Erfahrung Barrichellos aufgewogen.

Diesem Erfahrungsvorsprung stand die Konkurrenz machtlos gegenüber, nur Adrian Newey stellte sich dem Kampf und schockierte die alternative Welt mit Fabelzeiten beim einzigen erlaubten Testtag des Jahres auf einem Hinterhofparkplatz einer ungenannten Balearen-Insel. Bei der technischen Abnahme stellte sich dann heraus: Newey umging das Tankverbot und leitete Red Bull Cola aus der Trinkflasche des Fahrers direkt in den Tank ab.

Autobahnraser meets Cobra 11

Beim Deutschland-Rennen (Grand Prix ist ebenfalls von Bernie geschützt) wurde Red Bull deshalb wegen Verstoßes gegen das Lebensmittelrecht nachträglich aus der Wertung genommen. Das Rennen selbst wurde zur Hälfte auf dem Hockenheimring ausgetragen, bevor die Autos für die restlichen 33 Runden auf den Nürburgring transportiert wurden. Die Transportzeit zählte dank einer neuen Idee von Flavio Briatore zum Rennen.

Von der Autobahn auf die Strecke: Action zur besten Sendezeit., Foto: Red Bull
Von der Autobahn auf die Strecke: Action zur besten Sendezeit., Foto: Red Bull

So sollte die Show verbessert werden, da den Zuschauern bei der Autobahnhetzerei spannende Verfolgungsszenen und unrealistische Explosionen geboten werden konnten, die der produzierende, nationale Host-Broadcaster RTL kostengünstig aus hanebüchenen, eigenen Low-Cost-Serien entleihen konnte. Das Rennen gewann Barrichello dank einer genialen Strategie von Superhirn Ross Brawn. Dieser hatte Rubinhos Zweitwagen am Nürburgring geparkt, womit der Brasilianer nicht warten musste, bis sein erstes Auto von den ganzen Karambolagen und Überschlägen der ersten 28 Runden in Hockenheim repariert und in die Eifel transportiert worden war.

Toyota-Präsident John Howett war über die Zweitautoklassengesellschaft erzürnt und forderte seine Teamchefkollegen entschlossen dazu auf, demonstrativ mit ihm den Raum zu verlassen, wenn Barrichello anwesend war. Er drohte sogar: "Wenn wir keine konstruktive Lösung finden, ist eine Alternativserie für uns absolut denkbar."