Die Saison 2009 war gezeichnet von einem neuen Duell zweier alter Rivalen. Brawn GP und Red Bull Racing kämpften zum ersten Mal gegeneinander um die Weltmeisterschaft. Ihre Lenker und Denker, Adrian Newey und Ross Brawn, kreuzten in der Vergangenheit schon oft die Klingen. In der Juli-Ausgabe unseres Printmagazins Motorsport-Magazin analysierten wir die Arbeitsweise der beiden Superhirne der Formel 1. Mehr Interviews und Hintergrundgeschichten gibt es jeden Monat neu im Motorsport-Magazin.

Duell der Superhirne

Das Duell der Superhirne Newey vs. Brawn in der Juli-Ausgabe des Motorsport-Magazins., Foto: adrivo Sportpresse
Das Duell der Superhirne Newey vs. Brawn in der Juli-Ausgabe des Motorsport-Magazins., Foto: adrivo Sportpresse

Benetton gegen Williams. Ferrari gegen McLaren. Schumacher gegen Häkkinen. Button gegen Vettel. Hinter all diesen Duellen stehen zwei Namen: Ross Brawn und Adrian Newey. Das Duell der Superhirne geht in die nächste Runde.

Der Paddock von Malaysia ist in hellem Aufruf. Es ist erst das zweite Saisonrennen, aber die Formel-1-Welt steht nach einem verrückten Auftaktwochenende und dessen Fortsetzung im Qualifying von Sepang endgültig Kopf. Red Bull Berater Helmut Marko bahnt sich in einem luftigen, weißen Teamhemd einen Weg durch die diskutierenden Grüppchen im Fahrerlager von Sepang. Keine 24 Stunden später sollte während des Abbruchrennens selbst eine dicke Regenjacke nicht viel gegen die Wassermassen helfen. An diesem Samstagnachmittag fühlt sich Marko jedoch als moralischer Sieger.

"Wir sehen uns auf den Plätzen 1 und 2 der legalen Autos", sagt er dem Motorsport-Magazin. Das Red Bull Dilemma dabei ist: Sebastian Vettel und Mark Webber stehen 'nur' auf den Startplätzen 3 und 7. In den Top-6 sind neben Vettel fünf Autos mit so genannten Doppel-Diffusoren. Nur Kazuki Nakajima tanzt wegen fehlendem fahrerischen Potenzials aus der Reihe. Oder anders ausgedrückt: Der Japaner ist einfach nicht gut genug, egal welche technischen Vorteile sein Auto ihm bietet. Button, Barrichello, Trulli, Glock und Rosberg hingegen schon.

Marko gibt sich damit nicht zufrieden. "Adrian [Newey] hat natürlich schon etwas in petto", versichert er uns. "Die Entwicklung kostet ein Schweinegeld und dauert drei bis vier Monate", erklärt er weiter, aber in der kompletten Ausbaustufe rechne Newey mit 1,5 Sekunden Zeitgewinn. "Er macht ja nicht nur das, was die anderen machen, sondern denkt schon weiter", begründet Marko diese auf den ersten Blick immensen Zahlen. Wenn Brawn, Williams und Toyota Doppel-Diffusoren haben, "machen wir eben vier Diffusoren. Adrian hat schon etwas im Kopf." Damit war es geschehen: Ein Superhirn namens Ross Brawn hatte das andere Superhirn Adrian Newey herausgefordert, und das nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Formel 1.

Duell alter Rivalen

Seit mehr als 15 Jahren erlebt die Formel 1 immer wieder das Duell zweier Superhirne, zweier Designer, zweier Denker, zweier Lenker. Adrian Newey und Ross Brawn kennen sich schon viel länger. "Ich bewundere Adrian, habe sogar schon mit ihm zusammengearbeitet", erinnert sich Brawn. Mitte der 80er Jahre arbeitete der heutige Brawn GP-Namensgeber für das kurzlebige FORCE F1-Team. "Damals hat Adrian für ungefähr sechs Monate für uns gearbeitet, bevor das Team geschlossen wurde."

Ross Brawn ersann mit dem BGP 001 das Weltmeisterauto 2009., Foto: Sutton
Ross Brawn ersann mit dem BGP 001 das Weltmeisterauto 2009., Foto: Sutton

Seither kreuzten sich die Wege der beiden Techniker regelmäßig. "Wir scheinen immer wieder auf der Strecke aufeinander zu treffen", sagt Newey, der scherzhaft hinzufügt, dass seine Zeit in der Formel 1 ohne Brawn ziemlich langweilig gewesen wäre. Das gilt zumindest für jene Jahre, in denen Brawn und Newey respektive ihre jeweiligen Teams gegeneinander um Siege und WM-Titel kämpften.

In der Saison 1994 kam es zum ersten Aufeinandertreffen der beiden im Titelkampf. Brawn leitete als Technischer Direktor die Geschicke von Michael Schumachers Benetton Team, Newey steckte hinter dem Williams Renault von Damon Hill. Der Williams war das schnellere Auto, auch wegen des stärkeren Renault-Motors, aber Brawn und Schumacher glichen dies mit cleveren Strategien (eine weitere Spezialität von Brawn), starken fahrerischen Leistungen und einer umstrittenen Regelauslegung aus, die noch einige Male in den kommenden Jahren im Mittelpunkt stehen sollte. So scheint es bei Superhirnen durchaus zum guten Ton zu gehören, die Grauzonen des Reglements bis aufs Äußerste auszunutzen - oder auch mal die Grenzen zu überschreiten. Benetton kam jedoch glimpflich davon: Sowohl bei einer manipulierten Tankanlage als auch bei einer verbotenen Traktionskontrolle, deren Quellcode angeblich ein Überbleibsel aus dem Vorjahr gewesen sein soll.

Nach einem Jahr Pause im Privatduell zwischen Brawn und Newey trafen sie ab 1997 unter veränderten Vorzeichen aufeinander: Zunächst folgte Brawn Schumacher nach zwei Fahrer- und einem Konstrukteurstitel mit Benetton zu Ferrari, dann wechselte Newey nach vier Fahrer- und fünf Konstrukteurstiteln mit Williams zu McLaren. Dort gewann Mika Häkkinen 1998 und 1999 zwei Weltmeistertitel in einem Newey-Silberpfeil, bevor ab der Saison 2000 die rote Dominanz von Brawn und Schumacher einsetzte. Gemeinsam feierten sie fünf Fahrertitel in Serie.

Die Kontroversen aber blieben: So tauchte Brawn schon einmal mit einem Ferrari Bargeboard unter dem Arm bei einer FIA-Berufungsverhandlung auf, um zu beweisen, dass die Abweichungen innerhalb des Toleranzbereiches lagen. "Unsere Wege scheinen sich über die Jahre konstant zu kreuzen", bestätigt Brawn, der sich nun mit seinem eigenen Team Newey und Red Bull Racing gegenübersieht. "Ich war ziemlich froh, dass er bis zu diesem Jahr eine Ruhepause eingelegt hat. Aber jetzt ist er wieder da!"

Unterschiedliche Arbeitsweisen

Adrian Newey ist der Kopf hinter dem Red Bull RB5., Foto: Sutton
Adrian Newey ist der Kopf hinter dem Red Bull RB5., Foto: Sutton

Erfolge, Ideen und Starstatus - Newey und Brawn verbindet viel. "Doch obwohl wir zeitweise die gleiche Jobbezeichnung getragen haben [nämlich Technischer Direktor], könnten unsere Arbeitsweisen kaum unterschiedlicher sein", meint Newey. Das beste Beispiel ist Neweys liebstes Arbeitsmittel: Sein Zeichenbrett. Statt hochmoderne Computersimulationen zu nutzen, legt er lieber selbst Hand an.

"Adrian arbeitet ganz anders als ich", so Brawn. "Ich stehe nicht mehr am Zeichenbrett." Seine Herangehensweise sei eine andere. Er motiviere, inspiriere und leite seine Ingenieure. "Ich sage ihnen, was sie zu tun haben, wie sie eine Situation verstehen müssen. Adrian ist viel mehr involviert und lässt sich die Dinge selbst einfallen." Dieser Unterschied ist Newey bewusst. "Ross ist ein begabter Ingenieur, allerdings übt er mehr eine Managerrolle aus. Aber es ist doch interessant, dass beide Ansätze zu Erfolgen führen."

Newey gesteht auch, dass es nie sein Interesse oder gar seine Stärke gewesen sei, eine Managementtätigkeit auszuüben. "Ich liebe im wahrsten Sinne des Wortes das Design." Damit meint er nicht nur mechanisches Design, sondern auch die Aerodynamik und das Gesamtpaket des Autos. "Das finde ich spannend am Motorsport. Ich mag es, selbst daran mitzuwirken."

Entsprechend benötigt Newey einen Organisator, der ihm den Rücken freihält, während Brawn fähige Ingenieure braucht, die seine Anweisungen perfekt nach seinen Ideen umsetzen können. "Adrian war immer dann am besten, wenn er einen starken Ingenieur an seiner Seite hatte, der sich um die Mechanik und die kleinen Details kümmerte", sagt Christian Danner. Diese Rolle habe bei Williams Urgestein Patrick Head ausgefüllt und übernehme jetzt bei Red Bull Technikchef Geoffrey Willis, der auch ein anderes Problem mancher Newey-Autos in den Griff bekommen muss: Die Zuverlässigkeit. Denn Newey neigt dazu, extrem kompakte, aber eben auch fragile Autos zu bauen, die wie der legendäre Phantom-McLaren MP4-18 schon mal über das Ziel hinausschießen - oder in diesem Fall nie ein Rennen bestritten haben. Selbst ein Superhirn macht eben manchmal Fehler oder verstrickt sich zu sehr in den Superideen.

Keine Ruhepause

Die Faszination mit einem solchen Designgenie, wie Newey oft genannt wird, oder einem Strategiesuperhirn, wie Brawn gerne bezeichnet wird, zusammenzuarbeiten, ist ungebrochen. Heinz-Harald Frentzen schwärmt noch heute von seiner kurzen Zeit mit Newey. "Ich durfte ja leider nur ein Jahr in einem Newey-Auto sitzen, aber ich bin sein größter Fan", verrät uns der Mönchengladbacher, der den aktuellen Red Bull als ein grandioses Auto, ja sogar einen Riesenschuss bezeichnet.

Das Motorsport-Magazin widmete dem Duell der Superhirne im Juli sogar den Titel., Foto: adrivo Sportpresse
Das Motorsport-Magazin widmete dem Duell der Superhirne im Juli sogar den Titel., Foto: adrivo Sportpresse

Den ersten Sieg von Red Bull Racing erlebte Newey nicht mit Sebastian Vettel im Regen von Shanghai. Er saß zusammen mit seiner Tochter zu Hause in der Küche. "Meine Frau Marigold fand es zu stressig, mit mir zu schauen und ging in ein anderes Zimmer", erinnert er sich. Das dürfte sie spätestens dann bereut haben, als sie nicht zur Stelle war, als Newey vor Freude einige Runden mit einem seiner Oldtimer auf der Wiese im Vorgarten drehte.

Als Superhirn hat man nie Feierabend. Denn der Grund für den verpassten Trip nach China waren keine Probleme mit dem Visum, vielmehr arbeitete Newey in der Nacht vor dem Qualifying noch bis um 2:00 Uhr in der Fabrik an einem neuen Aerodynamikpaket, inklusive der ersten Ausbaustufe der Newey-Interpretation eines Doppel-Diffusors. Dieser stellt für ihn noch lange nicht das Ende der Entwicklungsfahnenstange dar. "Es gibt noch viele Möglichkeiten", ist Newey überzeugt. "Ob sie jemand von uns findet, ist eine andere Sache." Das sei die Herausforderung, der man sich stellen müsse. "Leider verlangt das mehr lange Abende. Aber so ist die Formel 1: Man kann es sich nicht leisten, herumzusitzen und sich selbst zu bedauern, man muss weitermachen." Nur so schaffen es die Superhirne, den Paddock mit ihren Entwicklungen in hellen Aufruhr zu versetzen.

Der Hintergrundbericht zu den Superhirnen Adrian Newey und Ross Brawn wurde in der Juli-Ausgabe des Motorsport-Magazins veröffentlicht. Mehr Technikhintergründe, Interviews und Reportagen lesen Sie monatlich im Motorsport-Magazin - im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder am besten direkt online im Vorzugs-Abo bestellen: