Die Formel 1 ist ein High-Tech-Sport. Sie umweht aber auch immer ein Hauch des Mystischen. Wie entsteht eigentlich ein moderner Formel-1-Bolide vom ersten Entwurf bis zu den ersten Testkilometern? Diese Frage stellen sich viele Formel-1-Fans. Das Motorsport-Magazin ging der Frage nach und traf sich mit einem der Besten seiner Zunft: Der Technische Direktor des BMW Sauber Teams Willy Rampf erläuterte unserer Redakteurin Karin Sturm im Detail, welche Schritte vom ersten Entwurf bis zum fertigen Auto zurückgelegt werden.

Das Exklusivinterview stammt aus der Juli-Ausgabe unseres Printmagazins Motorsport-Magazin. Für unser Special "Best of Motorsport-Magazin.com 2009" haben wir es ganz Hollywood-like in einen "Extended Cut" verpackt und aus Platzgründen in der Printversion gekürzte Interviewpassagen wieder hinzugefügt. Mehr Interviews und Hintergrundgeschichten gibt es jeden Monat neu im Motorsport-Magazin.

Willy Rampf: Entwicklung mit Bauchgefühl

Das Interview im Motorsport-Magazin 07/09., Foto: adrivo Sportpresse
Das Interview im Motorsport-Magazin 07/09., Foto: adrivo Sportpresse

Wie entsteht ein neues Formel-1-Auto? Vom weißen Blatt Papier - oder leeren Computerbildschirm - bis zum endgültigen Meisterwerk, das auf die Strecke rollt? Kaum einer konnte diese Frage dem Motorsport-Magazin besser erklären als Willy Rampf, der Technische Direktor von BMW-Sauber. Wobei er findet, dass die Entwicklung des 2009er-Autos dafür das beste Beispiel ist, "weil wir da ja durch die Regeländerungen von Grund auf neu anfangen mussten."

Wenn man plötzlich mit einem neuen Regelwerk konfrontiert wird, um ein neues Formel-1-Auto zu bauen, wie fängt man dann an?
Willy Rampf: Die Situation war ja so, dass im Vorfeld Versuche im Windkanal gemacht wurden, um festzustellen, wie ein Auto grundsätzlich aussehen muss, damit man näher heranfahren und besser überholen kann. Es wurde dann auch von FIA-Seite aus ein Fahrzeugmodell als Zeichnung präsentiert, das konnte man sich anschauen, dazu bekam man ein Aerodynamikreglement. Das war die Ausgangsbasis. Dann geht es darum, aus diesem Konzept möglichst viel Abtrieb herauszuholen. Je mehr Abtrieb man durch den Unterboden gewinnt, umso größer ist der Gesamteffekt.

Durch die Flügel, gerade den kleiner dimensionierten Heckflügel, ist man da doch begrenzt, da kommt man über die Grenzen der Physik einfach nicht hinaus. Und die ganzen Zusatzflügel der letzten Jahre, mit denen man spielen konnte, gibt es ja auch nicht mehr. Man nimmt den Frontflügel als Ausgangpunkt, mit dem Ziel, im Zusammenspiel mit Unterboden und Diffusor das Optimum zu erreichen.

Bei anderen Dingen hat man wahrscheinlich weniger Freiraum...
Willy Rampf: Ja, beim Monocoque zum Beispiel sind die Grundabmessungen vorgegeben, die Benzintankgröße legte man - zumindest bis dieses Jahr fest, indem man erstmal Rennstrategien für das kommende Jahr simuliert hat, sich gefragt hat, gibt es mehr Ein- oder Zweistopprennen. Damit hat man dann das Monocoque in der Basis schon einmal festgelegt. Der Motor ist von der Länge her gegeben, das Getriebe mehr oder weniger auch, man muss einfach die Gänge unterbringen, die Hinterachse dranmachen, damit hat man dann mal ein Grobgerüst. Die Optimierung von allem läuft dann in der ersten Phase aber natürlich noch über CFD. Nur mit CFD ist es möglich, Änderungen schnell durchzuführen und dann den aerodynamischen Mechanismus auch zu verstehen.

Willy Rampf führt unsere Leser in die Fahrzeugentwicklung ein., Foto: BMW
Willy Rampf führt unsere Leser in die Fahrzeugentwicklung ein., Foto: BMW

Wie kann man sich die Effizienz der CDF-Arbeit im Vergleich zu Modellen vorstellen?
Willy Rampf: Wenn man mit Modellen arbeiten würde, müsste man mit zehn Modellen arbeiten, um überhaupt eine grobe Richtung zu bekommen. Mit CFD kann man über Nacht zehn Modelle durchlaufen lassen, dann sieht man, in welche Richtung es geht und ein paar Tage später kann man dann auf dieser Basis wieder zehn neue, verfeinerte Modelle durchtesten. Das läuft dann alles über unseren Supercomputer Albert 3. Bei DDF hat man Millionen von einzelnen "Zellen", die man alle in sich verändern kann. Man kann damit auch einzelne Effekte überprüfen, zum Beispiel, warum kommt bei bestimmten Lösungen vom Luftstrom hinten gar nichts an, kann die Strömung in der Simulation mathematisch darstellen und dann den Mechanismus auch verstehen.

Wieviel macht da ein technischer Direktor selbst?
Willy Rampf: Ich mache nur die Vorgaben, dann gibt es verschiedene Arbeitsgruppen, die sich mit den Details beschäftigen. Eine zum Beispiel mit dem Frontflügel, eine mit dem Heckflügel, eine mit dem Unterboden, eine andere nur mit den Kühlereinlässen. Das geht natürlich Hand in Hand zwischen den Arbeitsgruppen, es kann ja nicht zum Beispiel der mit den Kühlern nur ein ganz kleines Loch machen, dann haut das mit den Temperaturen nicht hin, ist es aber zu groß, schreit der Diffusor-Mann, dass dann der Diffusor-Effekt tot ist. Also da ist schon ständiger intensiver Abgleich nötig. In der CFD-Phase besteht so eine Arbeitsgruppe vielleicht nur aus drei Mann, später, so bald man dann mit der experimentellen Phase anfängt, wird das dann mehr.

Wie geht es nach der CFD-Phase weiter?
Willy Rampf: Wenn das Konzept einigermaßen stimmt, man glaubt, mit der Kühleranordnung und den Abriebswerten und der Aerobalance in etwa hinkommen zu können, dann fängt man an, Modelle zu machen und auch die interessantesten Änderungen, die man im CFD gemacht hat, noch einmal mit Modellen nachzustellen, um auch das CFD in der Praxis zu verifizieren. Umgekehrt lässt man von einem Schritt, den man im Windkanal gemacht hat, und den man für positiv hält, vielleicht noch mal 20 oder 50 Varianten im CFD berechnen, um noch das ein oder andere Detail zu finden, zu sehen, wie nahe man am Optimum ist

Von welchen Zeiträume reden wir bei diesem Prozess?
Willy Rampf: Die reine CFD-Phase dauert etwa drei Monate, dann fängt man schon an, parallel mit Modellen zu arbeiten, denn das ist schon sehr aufwändig von der Konstruktion. Ein 60-Prozent-Modell ist schon ziemlich groß, die Bauteile müssen alle eine gewisse Steifigkeit haben, nichts darf sich verwinden, man muss das Bodywork richtig aus Kohlefaser machen, die gesamte Messtechnik unterbringen, man muss die einzelnen Bauteile leicht austauchen können, da kommen dann einzelne Module zum Einsatz. Der Modellaufbau mit allem Drum und Dran dauert etwa zwei Monate, dann kann man es zusammensetzen und im Windkanal auf die Räder stellen.

Im Windkanal werden die Fahrzeugmodelle getestet., Foto: BMW
Im Windkanal werden die Fahrzeugmodelle getestet., Foto: BMW

Dann kommen Anpassungen von kleineren Dingen im Chassisbereich, Anlenkpunkte, da passt dann vielleicht mal eine Elektronikbox plötzlich wo nicht mehr rein, man merkt, dass man noch irgendwo Gewicht sparen kann. Irgendwo muss man immer Kompromisse finden - es hilft der beste Abtrieb nichts, wenn man keinen Querlenker mehr befestigen kann. Manchmal muss man dann eben auch an der Aerodynamik noch etwas zurücknehmen, um mechanisch größere Gewinne zu erzielen. Die echte Entwicklungsphase, bis das Auto dann wirklich fährt, beträgt dann etwa noch mal sechs Monate vom ersten Modell bis zum ersten Test. Für das 2009er-Auto haben wir mit den ersten Konzeptentwürfen Ende 2007 begonnen...

Sucht man bei der Arbeit auch gezielt nach Reglementlücken?
Willy Rampf: Manche Bereiche sind ganz klar definiert, etwa eindeutige Abmessungen. Aber natürlich gibt es immer wieder Bereiche, die man vielleicht schon so oder so auslegen oder zu unserem Vorteil nützen könnte - und das wird dann auch gemacht. Der normale Vorgang ist, dann im Zweifelsfall bei der FIA nachzufragen, wenn so eine Idee aufgekommen ist.

Wie wichtig sind Erfahrung und Fingerspitzengefühl, gerade bei großen Umwälzungen?
Willy Rampf: Sehr wichtig, denn es ist auch heute, bei aller Technologie, nicht so, dass alle Entscheidungen auf technischen Ergebnissen beruhen. Man muss auch manchmal eine Entscheidung aus dem Gefühl, aus dem Bauch heraus, treffen. Denn wenn ich warte, bis ich für alles alle Fakten auf dem Tisch habe, dann würde ich nie ein Auto fertig kriegen.

Das Exklusivinterview mit BMW Sauber Technikchef Willy Rampf wurde in der Juli-Ausgabe des Motorsport-Magazins veröffentlicht. Mehr Technikhintergründe, Interviews und Reportagen lesen Sie monatlich im Motorsport-Magazin - im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder am besten direkt online im Vorzugs-Abo bestellen: