Der WM-Stand spricht eine deutliche Sprache: Nico Rosberg 34,5 - Kazuki Nakajima 0. Der künftige Brawn GP-Pilot fuhr im Alleingang alle WM-Zähler des Williams-Teams ein. Trotzdem nimmt er zum Abschied seinen Teamkollegen aus Japan in Schutz: Durch seine Erfahrung habe er Nakajima einiges voraus gehabt.

"Allein in diesem Punkt habe ich ihm viel Zeit abgenommen", wird Rosberg von Auto, Motor und Sport zitiert. "Ich habe beim Fahren noch mehr Kapazität im Kopf frei, die ich strategisch und technisch nutzen kann. Rein vom Fahrerischen wäre der Abstand zu Kazuki nicht so groß gewesen wie er auf dem Papier aussieht."

70% Kopfsache, 30% im Kreis fahren

Nico Rosberg war Kazuki Nakajima einige Schritte voraus., Foto: Sutton
Nico Rosberg war Kazuki Nakajima einige Schritte voraus., Foto: Sutton

Tatsächlich: Rennfahrer brauchen mehr als einen schweren Gasfuß. "Rennfahren ist 70% Kopfsache und 30% im Kreis fahren", erklärte DTM-Anwärter Jan Seyffarth dem Motorsport-Magazin. "Schnell Auto fahren kann jeder, aber dabei die Kapazität frei zu haben, in Sekundenbruchteilen wichtige Entscheidungen zu treffen - das ist das gewisse Etwas."

Die Abteilung Attacke ist in einem Rennen nur manchmal gefragt. Vielmehr müssen die Piloten ihre Augen, Ohren und Gedanken überall haben, und zwar gleichzeitig. "Man muss immer hellwach sein", bestätigt Ferrari-Werkspilot Pierre Kaffer. "Manchmal bekommt man Hilfe bei Überrundungen. Man muss den Gegner studieren und sich fragen: Wo kann ich ihn am besten knacken?" Seyffarth beschreibt das so: "Der Kopf muss vollkommen frei sein. Das Fahren wird zur Nebensache, ich konzentriere mich fast mehr auf den Vorder- oder Hintermann als auf das eigentliche Fahren." Das Lenken, Schalten, Gasgeben und Bremsen wird zur Nebensache. Die Ideallinie muss der Pilot ohnehin im Schlaf beherrschen - und das in jeder Runde am absoluten Limit.

Die Fitness muss stimmen

Entscheidend dafür ist die Fitness. Nur wer topfit ist, nicht schon nach 20 Runden in einem Hitzerennen die Konzentration verliert, kann neben der fahrerischen Komponente auch noch die mentalen Anforderungen erfüllen. "Ich muss innerhalb von ein paar Zehntelsekunden entscheiden, ob ich überhole oder nicht", erklärt Seyffarth, der sich stets über die Konsequenten im Klaren sein muss. Ist das Überholmanöver sicher? Fährt ihm der Konkurrent ins Auto? Bietet sich für den Hintermann eine Überholgelegenheit? Seyffarth spielt jedoch nicht zu viele Szenarien durch, denkt nicht zu weit voraus. "Ich denke nur situationsbezogen." Damit, was in drei oder vier Runden passieren könnte, beschäftigt er sich nicht.

Denn die Starterfelder sind so ausgeglichen und die Autos aerodynamisch so ausgereift, dass Überholmöglichkeiten zur Mangelware geworden sind. Es gibt vielleicht nur eine Gelegenheit für einen Angriff. "Ich muss abschätzen, ob sich das Risiko lohnt oder später noch eine bessere Chance kommt", sagt Seyffarth. Ein wichtiges Hilfsmittel ist Erfahrung. "Das lässt sich mit einem Tennisspieler vergleichen", erklärt DTM-Pilot Maro Engel. Ein Tennisprofi stehe jeden Tag auf dem Platz, spiele so und so viele Turniere im Jahr. "Im Rennsport haben wir nicht die Möglichkeit, so viele Rennen zu fahren." Eine Saison mit 10 DTM-Rennen sei im Vergleich zu den vielen Tennisturnieren sehr kurz. "Umso mehr reift ein Rennfahrer mit jedem Rennen."

Geheime Überholkniffe

Im Regen ist höchste Konzentration gefragt, sonst geschehen Fehler., Foto: Sutton
Im Regen ist höchste Konzentration gefragt, sonst geschehen Fehler., Foto: Sutton

Sein Rezept für ein Überholmanöver möchte Engel nicht verraten. "Aber jeder hat seine Tricks, wie er einen Gegner in Fehler zwingt." Allerdings reicht es nicht, nur Druck auf den Vordermann auszuüben. "Es bringt mir nichts, wenn ich zwischen zwei engen Kurven dicht dran bin, es aber keinen Platz zum Überholen gibt." Die richtige Stelle auf der Strecke ist entscheidend. "Meistens gibt es ein, zwei Kurven, in denen der Gegner Probleme hat", sagt Kaffer. Für diese müsse man sich während des Fahrens eine Strategie zurechtlegen. "Man könnte ihn eine Kurve früher in einen Fehler treiben, um dann ein, zwei Runden später selbst anders zu fahren, mehr Schwung zu nehmen und in der Kurve innen reinzustechen."

Rennfahren ist eine Wissenschaft. Gewaltaktionen mit der Brechstange führen nur selten zum Erfolg. Denn zu den richtigen Entscheidungen im Cockpit gehört auch, nicht alle anderen Autos abzuschießen - jedenfalls außerhalb der Destruction Derby Arena. "Das ist auch eine Methode", sagt Seyffarth lachend. "Aber selbst Fehler sind wichtig." Schließlich lerne man daraus, welche Entscheidung man beim nächsten Mal lieber nicht treffen sollte. "Ich habe in Assen mal mit allen vier Rädern über das Gras überholt", erinnert sich Seyffarth. Diese Strategie empfiehlt er nicht für alle Strecken. "Ich wusste: Entweder ich bin die Lachnummer und fliege ab oder es klappt und ich bin der Held." Er war der Held. Manchmal braucht es neben Gasfuß und Gehirnkapazität eben auch ein bisschen Glück.