In jedem Sport gibt es die Spezies der "Möchtegerns" oder besser: "could have beens". Athleten oder Teams, die ewige Zeiten dem Erfolg hinterher laufen. In keinem anderen Fall war dieser zweifelhafte Status aber so teuer erkauft wie bei Toyota. Nach acht Jahren in der Königsklasse darf Bilanz gezogen werden. Als beste Platzierung Rang 2 - damit ist man in der Formel-1-Historie ungefähr auf Augenhöhe mit Hinterhof-Bastlern wie Arrows. Wiewohl man dem ehemaligen Walkinshaw-Schuppen zugutehalten muss: Arrows war mit Damon Hill an einem Grand Prix-Sieg näher dran als es sich Toyota je träumen durfte.

Wir alle haben Toyota anfangs des Jahrzehnts mit offenen Armen empfangen. Die Vision war eine nie dagewesene: Wir bauen auf die grüne Wiese die beste Formel-1-Fabrik aller Zeiten. Wir fangen langsam an, machen mal Punkte, im nächsten Jahr Podiums, dann Rennsiege. Und nach fünf Jahren oder so fahren wir um den Titel mit. Eine sympathische, motivierte Multi-Kulti-Truppe. Anfangs durfte bei Toyota noch experimentiert werden.

Zeit der Improvisation

Toyota stieg mit fliegenden Fahnen ein: 2001 wurde nur getestet., Foto: Sutton
Toyota stieg mit fliegenden Fahnen ein: 2001 wurde nur getestet., Foto: Sutton

2001 gab es längst ein Auto und Fahrer. Anstatt an der WM teilzunehmen gab man sich ein Jahr Trockentraining. So wurde einmal sogar parallel zu einem Grand Prix eine andere Rennstrecke gemietet und der komplette Ablauf des Wochenendes simuliert, damit die ungeübte Truppe jeden Handgriff unter Echtzeit-Bedingungen erlernt. Mit diesem Blick fürs Ganze und diesem langen Atem hätte Toyota spätestens 2004 allen um die Ohren fahren müssen. Aber irgendwo auf dem Weg dahin wurden ein paar Stecker gezogen. Und die Abwärtsspirale begann.

Ich werde nie vergessen, wie Toyota 2002 zum Österreich-Grand Prix anrückte. Es war das sechste Rennen für das Team. Gustav Brunner war von Minardi abgeworben worden. Er hatte wie üblich mit viel Intuition ein ordentliches Rennauto gebaut. Immerhin fuhr der Wagen gelegentlich in die Punkte, die es damals auch nur bis Platz 6 gab. Drumherum merkte man, dass Improvisation bei Toyota noch Trumpf war. Viele Schlüsselpositionen waren mit Quereinsteigern besetzt, die noch nie Formel 1 gemacht hatten.

Man war am Mittwoch drauf gekommen, dass Gustav Brunner ja Österreicher ist. Und da könnte man doch den Techniker und sein Auto irgendwo den Fans zum Anfassen bringen. Bloß wo? Das hatte sich tatsächlich vorher keiner überlegt. In einer Welt, in der Bernie Ecclestone 12 Monate vorher den Bierpreis fürs nächste Jahr vertraglich festlegen lässt! So half ich mit meinen damaligen Kollegen beim ORF tatkräftig mit, innerhalb von 24 Stunden den Event zu organisieren. Ich finde das auch im Rückspiegel sehr sympathisch.

Große Einkaufstour

Irgendwann ging dieser Pioniergeist dann verloren. Erstmals machte ich mir Sorgen, als Toyota begann, an allen Ecken und Enden Menschen zu rekrutieren, die gerade irgendwo anders rausgeflogen waren. Und damit meine ich nicht Mike Gascoyne, sondern eine Armada auf der dritten und vierten Ebene. Aus lauter Verzweiflung, weil man sich im Kreis drehte, wurde jeder eingekauft, der irgendwann mal was mit Formel 1 zu tun hatte. Zumindest hatte man diesen Eindruck.

Irgendwann fuhr man mit nicht weniger als vier (!) Pressesprechern gleichzeitig auf. Dazu kamen aus meiner Sicht bis heute völlig unverständliche Fahrerentscheidungen. In acht Jahren hatte Toyota alle Möglichkeiten und alles Geld der Welt, um die besten Fahrer der Erde vom Fleck weg zu engagieren - von Räikkönen über Alonso bis Michael Schumacher. Bekommen haben sie Ralf. Und bei allem Respekt: Herrschaften wie Salo, McNish, Panis oder Da Matta hatten ihre Zukunft bereits längst hinter sich oder sie hatten von vornherein keine. Aber nachher ist man immer klüger. Aber es wird gute Gründe gegeben haben, warum die Top-Liga nach den ersten Verhandlungen immer einen großen Bogen um das Team gemacht hat.

Köln gegen Tokio

Toyota kam dem ersten Sieg nie besonders nahe., Foto: Sutton
Toyota kam dem ersten Sieg nie besonders nahe., Foto: Sutton

Es war seit Jahren augenscheinlich, welch tiefer Graben zwischen der Rennabteilung in Köln und den Entscheidungsträgern in Japan verläuft. Langsame und unverständliche Entscheidungen haben von der Aufbruchsstimmung direkt in die "Dienst-nach-Vorschrift"-Mentalität geführt. Und damit darf man sich in der Formel 1 gleich mal hinten anstellen. Am deutlichsten hat sich dieser Konflikt am Beispiel Mike Gascoyne entzündet. Egal ob man ihn für einen genialen Konstrukteur oder einen gewieften Scharlatan hält: Aber der Bullterrier war angetreten, alte Zöpfe abzuschneiden und dem selbst erschaffenen Monster die richtigen Lebensstrukturen einzuhauchen. Aber das Monster war stärker.

Der Verlust von Toyota fällt in eine andere Kategorie als jener von BMW und Honda. Die Letztgenannten haben eine jahrzehntelange Renntradition. Toyota baut die besten Lieferwagen der Welt. Kein neuseeländischer Schafbauer kommt ohne den Pickup von Toyota aus. So gesehen ist der Ausstieg nur der Schlusspunkt eines Reality-Experiments, das nach acht Jahren gescheitert ist. In Erinnerung bleiben mir persönlich zum einen die Menschen, die auf der Strecke blieben: Ove Andersson, dem man die Rolle des Teamchefs gegen seinen Willen aufs Auge gedrückt hatte. 2001 habe ich ihn in Köln besucht. Meine Frage war: "Warum steigt Toyota in die Formel 1 ein?". Ove wiegte den Kopf hin und her und sagte dann vor laufender Kamera mit entwaffnender Offenheit: "Ehrlich gesagt: Ich weiß es auch nicht!" Leider ist er nicht mehr unter uns.

Spionage und Ausstieg

Zum anderen bleiben ein paar tollpatschige Versuche, mittels Spionage an die Spitze anzuschließen. Der erste richtige Spy-Gate-Skandal ging auf die Kappe von Toyota. Gerichtliche Verurteilung inklusive. Aber für eine Hexenverbrennung á la McLaren war Toyota immer zu unwichtig. Und dann waren da noch einige denkwürdige Abflüge wie die von Ralf Schumacher in Indy und Monaco. Oder jener von Allan McNish in Suzuka, als er mit 300 abbog und jenseits der Leitplanke wieder aufschlug. Ich habe nie vorher und nachher so ein verbogenes Stück Metall gesehen wie diese Leitplanke. Und McNish beendete seinen letzten Grand Prix-Einsatz im Spital. Schade auch um ihn und seinen spitzbübischen Humor.

Die Formel 1 gewinnt durch den Abgang von Toyota dennoch: Bernie Ecclestone hat plötzlich einen Haufen Millionen mehr in der Kriegskasse, die er fürs nächste Jahr nicht auszahlen muss. Mit dem Betrag, den auch BMW nicht bekommt, kann man ein paar kleinen Teams schon etwas unter die Arme greifen, um ein volles Starterfeld zu haben. Denn die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen. Max Mosley hat rechtzeitig erkannt, was passieren wird. Drei Werke sind in 12 Monaten verschwunden. Und es gibt keine Garantie dafür, dass Toyota der letzte Ausstieg war.