Grauer Asphalt, bunt markierte Auslaufflächen - der neue Yas Marina Circuit erinnert auf den ersten Blick ein klein wenig an den so genannten High-Tech-Test-Track Paul Ricard in Le Castellet. Und tatsächlich: Mit Philippe Gurdjian zeichnete zu Beginn des Projekts jemand verantwortlich, der auch in Le Castellet schon das Zepter geschwungen hat. Die weiß-rot-blauen Markierungen sind aber die einzigen Ähnlichkeiten zwischen der südfranzösischen Teststrecke und dem neuen Formel-1-Wunderland.

"Die Anlage übertrifft alles bisher gesehene und ich denke, dass das Rennen in Abu Dhabi neue Maßstäbe in der Formel 1 setzen wird, wie es zuvor Singapur getan hat", glaubt McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh. "Die gesamte Anlage ist Weltklasse - und die Idee, das Rennen in der Dämmerung abzuhalten ist interessant", pflichtet Heikki Kovalainen bei. "Singapur ist die Messlatte für Nachtrennen, aber es sieht so aus, als würde Abu Dhabi ebenfalls neue Maßstäbe in der Formel 1 setzen."

Yas Marina Circuit - Herausforderungen

Auslaufzonen David Coulthard durfte im Rahmen von Doppelsitzerfahrten bereits einige Runden auf dem neuen Kurs drehen - und er war begeistert. "Die erste Hälfte der Runde bis Kurve 9 ist ein klassischer, neuer Kurs", sagt er. Von Kurve 1 bis zur Haarnadel in Kurve 4 gebe es einen schnellen Abschnitt. "Aber die große Überraschung ist, dass es ein echtes Straßenkurs-Gefühl gibt", verrät Coulthard.

"Man gewöhnt sich so sehr daran, dass die modernen Kurse so viel Auslaufzonen haben, dass man in Abu Dhabi plötzlich bemerkt, dass die Auslaufzonen richtig kurz sind." Besonders der letzte Streckenabschnitt bis zum Hotel fühle sich wie ein Stadtkurs an. Coulthard erklärt: "Es gibt eine Reihe an 90 Grad-Rechts- und Linkskurven, bevor man durch eine mittelschnelle Kurve auf Start- und Ziel kommt."

Kurven Auch Fernando Alonso sieht einige Herausforderungen. "Es gibt mehr als 20 Kurven in einer Runde - und einige von denen haben es wahrlich in sich", sagt der zweifache Weltmeister. "Ich finde, die Turns 11, 12 und 13 sehen sehr interessant aus. Ich erinnere mich, als ich diese Passage das erste Mal auf der Karte sah, musste ich sofort an die Kurve-10-Schikane in Singapur denken."

Die Fahrer sollen das Licht am Ende des Tunnels sehen., Foto: Sutton
Die Fahrer sollen das Licht am Ende des Tunnels sehen., Foto: Sutton

Renault-Ingenieur Alan Permane stimmt Alonso zu. "Diese Passage dürfte mitentscheidend für die Rundenzeit sein." Den Fahrern seien schnelle Kurven lieber, aber die meiste Rundenzeit könne man in den langsamen Ecken gutmachen. "Vor diesem Hintergrund dürften sich auch die Kurven 5 bis 7 als derjenige Abschnitt erweisen, in denen das Auto gut funktionieren muss, wenn eine gute Zeit herausspringen soll." Coulthard sieht auch in Kurve 2/3 eine Menge Potenzial, um Zeit gutzumachen. "Es wird eine Medium bis High Downforce-Strecke sein", so Coulthard. "Obwohl es eine 1,2 Kilometer lange Gerade gibt, ist der Rest ein bisschen Mickey Mouse."

Die längste Gerade Mit 1,2 Kilometern Länge besitzt der Kurs die längste Gerade des F1-Kalenders. Aber nicht nur das beeindruckt: "An der einen Haarnadel ist die Auslaufzone direkt unterhalb der Zuschauer", erklärt Bruno Senna. "Das ist eine Stelle, da wird von knapp Tempo 300 massiv runtergebremst, wenn da jemand geradeaus fährt, bleibt er direkt unterhalb der Fans stehen."

Überhaupt benötigen die Fahrer eine gewisse Portion Mut. "Ein paar Kurven sind schon ein bisschen verrückt, führen ganz nahe an den Mauern entlang, fast wie in Indy", so Senna weiter. "Alles zusammen denke ich, dass die Strecke eine sehr gute und interessante Mischung aus sehr verschiedenen Elementen darstellt."

Die Boxenausfahrt Die Boxenausfahrt verläuft durch einen Tunnel, der einen 90 Grad Linksknick macht und hinter Kurve 1 wieder auf die Strecke führt. "Das kann man als Herausforderung ansehen", meint Coulthard. "Aber eigentlich ist es ein bisschen verrückt." Auf der Strecke schreibe man große Auslaufzonen vor, aber in der Boxenein- und Ausfahrt könne man so etwas machen. "Da könnte man auch Landminen in die Wand einbauen! Es ist etwas verrückt."

Das Überholen Alonso sieht die besten Überholmöglichkeiten in den Bremszonen der Kurven 8 und 11. "Es gibt zwar nicht, wie in Bahrain, mindestens vier gute Überholmöglichkeiten. Aber es wird schon möglich sein, Plätze gut zu machen, obwohl die Strecke insgesamt eher relativ verwinkelt ist", sagt Senna. "Die 1,2 Kilometer lange Gerade wird da sicherlich helfen - und die ersten Kurven sind auch recht schnell." Problematisch könnte sein, dass die Strecke relativ staubig ist. "Ich glaube, die einzige Überholstelle dürfte die erste Haarnadel sein", sagt Coulthard. "Und dann auf der Gegengerade. Alles rund um das Hotel ist nur zum Hinterherfahren geeignet. Es ist viel zu eng und verwinkelt."

Arbeit für die Techniker - Setup

Bruno Senna beurteilte den Kurs nach seinen ersten Erfahrungen als ziemlich selektiv. "Es wird schwierig werden, den richtigen Kompromiss in der Abstimmung zu finden, und auch die exakt richtige Linie und Fahrweise." In der letzten Kurvenkombination werde es darauf ankommen, vor allem den Ausgang der letzten Kurve optimal zu erwischen, um beim Herausbeschleunigen die Geschwindigkeit perfekt auf die Gerade mitzunehmen. "Weil dieses Beschleunigen auf die lange Gerade so wichtig ist, dürften auch die KERS-Teams einen nicht unerheblichen Vorteil haben", glaubt Senna. "Ich denke, dass man ungefähr mit einem Downforce-Level wie in Magny Cours fahren wird."

Eine lange Gerade, einige mittelschnelle und einige langsame Kurven - der Yas Marina Circuit sieht für Alan Permane wie ein Stop-and-Go-Kurs aus - vergleichbar mit Valencia. "Das Abtriebsniveau wird wohl recht hoch ausfallen, auch wenn wir wegen der Höchstgeschwindigkeit auf den langen Geraden sicher nicht mit maximaler Downforce fahren werden", sagt der Renault-Techniker.

Die Haarnadel ist eine gute Überholstelle., Foto: Sutton
Die Haarnadel ist eine gute Überholstelle., Foto: Sutton

"Es gibt viele rechtwinkelige Abzweige, aber wir wissen noch nicht genau, wie diese unser Setup beeinflussen werden." Das hänge von der Beschaffenheit der Kerbs ab. "Diesen Punkt werden wir genau unter die Lupe nehmen, wenn wir zu Fuß um den Kurs gehen. Zudem wissen wir bereits, dass die Fahrer ein Auto mit guter Traktion brauchen." Da es praktisch keine Richtungswechsel bei hohen Geschwindigkeiten gibt, muss das Setup nicht hart ausfallen. "Zugunsten guter Traktion aus den langsamen Ecken heraus werden wir das Fahrzeugheck daher eher weich abstimmen." Beim Thema Verzögerung zeigten die Renault-Simulationen ähnliche Werte wie auf den Strecken von Valencia und Melbourne. "Die Ansprüche an die Bremsanlage sind somit recht hoch, allerdings kein Vergleich zu Monza."

Auch Willy Rampf stellte bei BMW Sauber die üblichen Simulationen an, aber eine Unbekannte bleibt dennoch: Wie verhalten sich die Reifen auf dem neuen Asphalt? "Die Antwort darauf werden wir erst im Laufe des Wochenendes erhalten", sagt Rampf. "Eine wichtige Rolle werden bestimmt die Temperaturen spielen. Obwohl das Rennen erst um 17 Uhr gestartet wird, ist mit Außentemperaturen von deutlich über 30 Grad Celsius zu rechnen."

Hausaufgaben I - Simulator

Rund zwei Monate vor dem GP-Wochenende begann Renault mit den Vorbereitungen auf Abu Dhabi. Anhand einer detaillierten Streckenkarte mit Daten von der FIA informierte man sich über das Streckenlayout und die Charakteristik des Kurses. Jeder Kurvenradius, jeder Neigungswinkel, jede Asphaltprobe wurde zum Füttern der Computer genutzt.

"Dies verschafft uns einen ersten Eindruck, über welches Abtriebsniveau unser Setup verfügen sollte und welche Anforderungen auf Motor und Bremsen zukommen", verrät Permane. "Anschließend füttern wir unsere Computer mit den Daten, um einen virtuellen Kurs berechnen zu lassen und Rennsimulationen durchzuführen." Dabei werden verschiedene Setup-Konfigurationen ausprobiert und miteinander verglichen, um eine Basisabstimmung festzulegen.

Die Fahrer sitzen dann stundenlang in den Simulatoren, um am Setup zu arbeiten und den Kurs zu lernen. "Mein alter Freund Tonio Liuzzi hat sicher schon hunderte Cyber-Kilometer in Abu Dhabi abgespult", sagt Christian Klien. Im Simulator gehe es wie bei einem echten Testtag zu: "10 Runden fahren, reinkommen, Setup ändern, rausfahren usw. Auf gute sechs Stunden pro Tag im Cockpit kommt man da locker."

Am ersten Trainingstag steht dann die Überprüfung der Simulationsdaten auf dem Programm. "Dazu hat man zwei oder drei Flügelprofile im Gepäck", verrät Klien. Auch die Getriebeübersetzung wird überprüft, wobei der Computer meistens schon eine gute Vorauswahl getroffen hat. "Dann geht's an die Feinabstimmung: Der Sturz, Federwege, Dämpfer, Bodenfreiheit. Wir werden am Freitag sehen, dass einige Fahrer sehr schnell ein gutes Setup beisammen haben."

Nach dem ersten Training senden die Teams die Telemetriedaten per Internet an die Fabrik. Dort werden dann weitere Simulationen durchgeführt. "Den Input aus dem Freitagstraining können wir zudem auf unserem dynamischen Fahrwerksprüfstand nutzen und so zum Beispiel Verbesserungen in puncto Bodenfreiheit oder Feder- und Dämpferabstimmung finden", erklärt Permane. "Sämtliche Vorschläge zur Optimierung des Set-ups lassen uns die Kollegen in Enstone zumeist bereits im Laufe des Freitags zukommen, sodass wir sie am Samstagvormittag noch vor dem Qualifying ausprobieren können."

Hausaufgaben II - Streckenrundgang

Am Donnerstag ist es wieder soweit: Alle Fahrer rücken mit ihren Ingenieuren im Schlepptau zu Besichtigungsrunden auf dem unbekannten Kurs aus. Denn: "Eine Streckenskizze reicht nicht aus, um die Geheimnisse zu verstehen", betont Fernando Alonso, der mit seinen Ingenieuren rund fünf Mal so viel Zeit für die Vorbereitung investiert als bei einer bekannten Strecke. "Erst wenn du vor Ort bist und das erste Mal um den Kurs gehst, kriegst du wirklich ein Gefühl dafür, was dich erwartet." Angefangen bei der Höhe der Kerbs bis hin zu Bodenwellen.

Neben den Rundgängen mit den Ingenieuren stehen sicher auch einige Roller- oder Fahrradrunden auf dem Programm, einige Fahrer werden den Kurs auch zum Fitnesstraining nutzen und um die gut 5,5 Kilometer lange Strecke joggen. Die Streckenführung kennen sie da bereits aus dem Simulator, von Streckenskizzen, Videoaufnahmen oder Computerspielen.

"Weil wir keinen Simulator haben, kenne ich den Kurs nur aus dem Internet und von ein paar Präsentationen", verrät Robert Kubica. "Aber ehe ich eine Runde im Formel-1-Rennwagen gefahren bin, ist es wirklich schwierig, die Strecke zu beurteilen." Nick Heidfeld sieht das Fehlen eines Simulators nicht als Nachteil. "Dass wir keinen Simulator haben, habe ich bei anderen neuen Strecken bisher nicht als Nachteil empfunden, und das macht es noch spannender, wenn man das erste Mal aus der Garage fährt."

Sobald das geschehen ist, sind die Fahrer schon bald per Du mit der neuen Strecke. "Nach drei oder vier Runden weißt du, wie genau die Ideallinie aussieht und wo die Bremspunkte sind", sagt Alonso. Nach spätestens fünf Runden sitze alles. "Du musst danach selbstverständlich trotzdem so viel wie möglich fahren, um weiter Selbstvertrauen aufzubauen. Du merkst dir immer mehr Details, um wirklich das Optimum herausholen zu können." Im Normalfall sind die letzten Runden des Rennens am Sonntag die besten des gesamten Wochenendes. "Denn bis dahin ist dir alles in Fleisch und Blut übergegangen."