Wenn die Karriere von Michael Schumacher mit einer Rennstrecke in Verbindung gebracht wird, dann fällt grundsätzlich der Name Spa-Francorchamps. Die belgische Ardennenachterbahn wurde über die Jahre sogar "Schumachers Wohnzimmer" getauft. Dass die Erfolgsserie des Deutschen einst am 25. August 1991 mit dem Großen Preis von Belgien begann, weiß heutzutage jedes Kartkind. Auch die vielen Anekdoten über dieses Wochenende sind allseits bekannt: Wie Schumacher und sein Manager Willi Weber in einer Jugendherberge nächtigten, wie der Deutsche mit einer Notlüge das Cockpit bekam, obwohl er die Strecke nur mit dem Fahrrad abgefahren war, wie Bertrand Gachot seinen Jordan wegen eines Angriffs auf einen Londoner Taxifahrer unfreiwillig räumen musste, wie Schumacher im Qualifying sensationell auf Platz 7 fuhr und wie sein Debüt bereits nach wenigen hundert Metern mit einem Getriebeschaden endete.

Weniger bekannt ist, dass die Karriere des heutigen Rekordweltmeisters erst beim folgenden Großen Preis von Italien in Monza so richtig in Schwung kam. Genauso wie Spa mit seinem ersten Sieg oder seiner legendären Kollision mit David Coulthard immer wieder für positive und negative Highlights sorgte, begleitete ihn auch Monza durch seine gesamte Karriere: Hier gewann er 1996 mit seinem dritten Saisonsieg die Herzen der Tifosi, hier vergoss er 2000 in der Pole-Pressekonferenz live Tränen und hier gab er am 10. September 2006 seinen Rücktritt bekannt.

Begonnen hat seine Erfolgsgeschichte ganze 15 Jahren zuvor - eben in jenem italienischen Örtchen namens Monza. Vorangegangen war ein chaotisches Vertragswirrwarr zwischen seinem alten Team Jordan und seinem neuen Arbeitgeber Benetton. Es begann alles am Tag nach dem Debüt in Spa...

Eddie hatte nicht lange Spaß an Michael Schumacher., Foto: Sutton
Eddie hatte nicht lange Spaß an Michael Schumacher., Foto: Sutton

Eine Woche vor dem Italien GP brachte Mercedes-Mann Jochen Neerpasch einen Vertrag in die Jordan-Fabrik, der laut Ian Phillips "inakzeptabel" war. "Sie wollten die gesamte Werbefläche auf dem Auto", erinnert er sich in Timothy Collings Buch "The Piranha Club" zurück. Während Eddie Jordan in Japan weilte, um sich dort die Yamaha-Motoren für das kommende Jahr zu sichern, arbeitete sein Team die ganze Nacht "an einem Vertrag, den wir unterzeichnen konnten". Zu diesem Zeitpunkt war es aber schon zu spät: Am Dienstag trudelte ein Fax ein, in welchem Jordan mitgeteilt wurde, dass Schumacher ein Seatfitting bei Benetton hatte und in Monza für die Italiener fahren werde.

Bei Benetton war man nach der Durchsicht der Verträge sicher: Schumacher hatte keinen gültigen Kontrakt, der ihn an Jordan band; nur Mercedes-Benz hatte ein Vorzugsrecht auf die Dienste des Deutschen, sollten sie in den kommenden drei Jahren in die F1 zurückkehren. Dieses Risiko war Flavio Briatore bereit einzugehen. Jordan strengte in der Folge ein Gerichtsverfahren an, welches Schumacher verbieten sollte für Benetton zu fahren - er verlor. Gleichzeitig unterstützte Jordan das Verfahren von Roberto Moreno, dem damaligen zweiten Benetton-Piloten, der sein Cockpit behalten wollte - er gewann. "Alle waren geschockt, dass wir in Mailand einen Fall gegen Benetton gewonnen hatten", grinst Eddie Jordan noch heute - allerdings voller Wehmut. Denn Michael Schumacher verlor man trotzdem. Das Unheil nahm am 5. September in der Villa d'Este am Comer See seinen Lauf.

Flavio hatte hingegen gut lachen mit Michael., Foto: Sutton
Flavio hatte hingegen gut lachen mit Michael., Foto: Sutton

Dort kamen Ian Phillips und Eddie Jordan am Abend jener langen Nacht an. Bernie Ecclestone, Flavio Briatore, Tom Walkinshaw, Michael Schumacher und eine ganze Heerschar an Anwälten waren schon da. "Wir konnten nicht glauben, wie viele Anwälte in dieser Nacht dort waren", staunte Eddie Jordan. "Es waren ganze Armeen. Die Benetton-Anwälte, Flavios Anwälte und natürlich Bernies Leute." Der Bigboss spielte in diesem Wechseltheater selbstverständlich eine entscheidende Rolle.

"Wir werden nicht nachgeben, wir sind nicht käuflich", sagte sich Eddie Jordan immer wieder. Er lehnte ein Entschädigungsangebot ab und war sich sicher, dass es Moreno ihm gleichtun würde. Er sah seine Position darin bekräftigt, dass Benetton ihn auf gerichtliche Anordnung einsetzen musste und die Italiener kein Risiko eingehen konnten im Qualifying keinen Fahrer im Cockpit zu haben, dann wären sie von der WM ausgeschlossen worden. Doch zu Jordans Überraschung nahm Moreno um 2:30 Uhr an. "Danach konnten wir um 3:00 Uhr morgens kein Risiko mehr eingehen", so Jordan, der als Schumacher-Ersatz Moreno in sein freies Cockpit setzte. Eigentlich hatte sich Alex Zanardi Hoffnungen auf diesen Posten gemacht.

Der Italiener wurde sogar von Jordan und Benetton umworben. "Da war ich also: Eben noch ein arbeitsloser Rennfahrer und plötzlich jagten mich zwei große Formel 1-Teams", schreibt Alex in seiner Autobiographie "My sweetest victory". Benettons Teammanager Joan Villadelprat hatte ihn am Donnerstag vor dem Rennen angerufen und gesagt: "Wir haben Schumacher, aber es ist eine schwierige Situation, wahrscheinlich wird er nicht fahren dürfen. Aber egal wie: Wir wollen Moreno ersetzen." Der Notplan hieß Alex Zanardi. "Wenn Schumacher nicht fährt, möchten wir dich im Auto", soll Villadelprat angeboten haben. Nach einem geheimen Seatfitting bei Benetton wurde die Situation noch komplizierter. Marlboro-Mann Maurizio Arrivabene rief bei Alex an: "Jordan möchte, dass du für sie fährst." Zanardi glaubte an eine Verwechslung: "Sie meinen Benetton." - "Nein, Eddie Jordan hat selbst angerufen."

Obwohl sich Jordan daran nicht erinnern kann oder möchte, er meint Zanardi erst am Freitagmorgen nach dem Deal mit Moreno erstmals gesprochen zu haben, berichtet Alex weiter von einem Treffen mit dem Iren; am Donnerstag: "Sie haben Schumacher von uns gestohlen und möchten uns stattdessen Moreno geben. Aber wir wollen dich", soll Jordan laut Zanardi gesagt haben. Alex stand damit vor einer schwierigen Wahl: Wenn Schumacher für keinen von beiden fahren sollte, was würde er dann machen? Für beide konnte er kaum fahren.

Die Ära Schumacher hatte begonnen., Foto: Sutton
Die Ära Schumacher hatte begonnen., Foto: Sutton

Kaum hatte er den Paddock verlassen, läutete sein "mindestens einen halben Meter langes" Uralt-Mobiltelefon; Benetton sagte ab - der Schumacher-Deal sei in trockenen Tüchern. Jordan wiederum sagte ihm: "Wenn es keine Probleme gibt, komm morgen um 6:00 Uhr und wir bereiten das Auto für dich vor." Danach war wieder Flavio-Time: Er bot Zanardi in mehreren lautstarken Telefonaten eine Rolle als offizieller Testfahrer 1991 und 1992 und Stammfahrer ab 1993 an - schließlich wollte er Schumacher in seinem Auto sehen und brauchte dafür den Jordan als Puffer für Moreno. Zanardi lehnte aber ab, er wollte schon an diesem Wochenende und nicht erst in zwei Jahren sein F1-Debüt geben. "Gut, mach verdammt noch mal was du willst", legte Briatore wütend auf. Danach begann die Zeit des Wartens auf den nächsten Anruf von Eddie Jordan - der aber niemals kommen sollte.

Briatore und Walkinshaw hatten den Iren davon überzeugt, dass Zanardi andernorts unter Vertrag stand und notfalls mit einer Klage gedroht. Damit war der Formel 1-Traum von Alex Zanardi vorerst ausgeträumt. Die Vorfälle von Schumi-Gate hatten ihn ausgebremst. Die Karriere des heute erfolgreichsten F1-Piloten aller Zeiten kam jedoch an jenem Tag in Monza richtig in Schwung - und nicht nur die: Schumacher saß in einem besseren Team mit mehr Geld, Benetton hatte einen angehenden Weltstar und seinen Zugang zum deutschen Markt und Bernie Ecclestone bekam seinen deutschen Fahrer, der die TV-Rechte in die Höhe treiben sollte. Die Schumacher-Ära hatte begonnen. Jetzt geht sie weiter.