Seelenruhig steht Christian Horner im Fahrerlager am Nürburgring zwischen den Teamtrucks und der Red Bull Energy Station. Eine kleine Gruppe von Journalisten hat sich vor dem Red Bull Teamchef aufgebaut, reckt ihm interessiert die Diktiergeräte entgegen und versucht diese bestmöglich vor dem böigen Wind zu schützen.

Großer Trubel, polternde Sprüche und schäumende Champagnerfeiern sucht man vergebens - zumindest letzteres soll etwas später nachgeholt werden, wenn die Fahrer Mark Webber und Sebastian Vettel von der Pressekonferenz kommend vom Team in Empfang genommen werden. Doch für den Moment ist Horner ganz entspannt und spricht wie über jedes andere Rennen der letzten Jahre auch - nur mit dem Unterschied, dass sein Team zum zweiten Mal in Folge die Plätze 1 und 2 belegt hat. "Der Druck ist der gleiche wie in den letzten Jahren, nur die Belohnungen sind schöner geworden", sagt Horner.

Auto & Abstand

Nach den Ergebnissen in Silverstone und in der Eifel kommt selbst der Realist Horner nicht drum herum zu gestehen: "Nach dem, was wir heute gesehen haben, ist der Red Bull das schnellste Auto." Ehre wem Ehre gebührt. Offensichtliche Schwächen macht der jüngste Teamboss der F1 nicht aus, als Team müsse man sich aber dennoch gegenseitig auf allen Gebieten antreiben und verbessern.

"Wir haben große Schritte von McLaren und Renault am Nürburgring gesehen", nennt Technikchef Adrian Newey einen der Gründe für das permanente Streben aller F1-Teams nach stetiger Verbesserung. "Wenn Teams ein neues Paket bringen, ist es für sie möglich, einen großen Schritt zu machen - das war das Markenzeichen dieser Saison und dürfte für den Rest des Jahres so bleiben."

Für den Ungarn GP plant Brawn GP ein solches Update-Paket. "Wir haben einige gute Schritte in petto", sagt Ross Brawn. Ein neuer Unterboden, eine neue Motorabdeckung und neue Flügel sollen die Lücke zu Red Bull schließen. "Und es gibt eine Lücke", gesteht Brawn. Mindestens genauso groß wie der Abstand zwischen der Leistung von Red Bull und Brawn GP bei den letzten beiden Rennen ist auch jener in der WM-Wertung, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: Brawn führt mit 19,5 Punkten in der Konstrukteurswertung und Button liegt mit 21 Punkten Vorsprung in der Fahrerwertung vorne.

"Es ist noch ein langer Weg und der Abstand zur WM-Spitze ist noch immer groß", weiß Sebastian Vettel. "Jenson hat einen großen Puffer und es gibt noch ein paar Dinge für uns zu tun." Wenn es so weitergeht wie in Silverstone und am Nürburgring sieht Horner optimistisch in die Zukunft. Er kündigt an: "Gibt es noch mehr Wochenenden wie diese, dann holen wir sie noch ein."

Reifen & Temperaturen

Zweimal war Red Bull nicht zu schlagen, zweimal haderte Brawn GP mit den niedrigen Temperaturen. "Es ist frustrierend", klagte Ross Brawn am Samstagabend nach dem Nürburgring-Qualifying. "Die Vorderreifen erreichen 50, maximal 60 Grad Temperatur." Damit sie richtig funktionieren, benötigen sie aber mindestens 70 oder 80 Grad. "Bis auf Red Bull kämpfen alle Teams mit diesen Problemen, auch Brawn GP", analysiert BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen. Die Leistungsschwankungen der Reifen betreffen beide zur Verfügung gestellten Mischungen und schwanken teilweise auch während eines Stints.

Entsprechend bauen alle Teams auf ein Hitzerennen am Hungaroring - alle bis auf Red Bull. Trotzdem schränkt Horner ein: "Die Temperatur ist nicht alles. Das Auto lief gut, die Fahrer waren brillant. Es gab hier keine schnellen Kurven, wir werden also sehen." So einfach möchte er sich einen Doppelerfolg nicht durch Temperaturprobleme der Konkurrenz schwach reden lassen. Außerdem könnten zu hohe Temperaturen in Ungarn wieder andere Probleme hervorrufen, etwa zu schnell verschleißende Reifen. "Das könnte passieren", nickt Theissen, "aber wenigstens würden unsere Reifen dann als letzte kaputt gehen." Denn BMW Sauber bekommt die Gummis überhaupt nicht auf Temperatur.

Sebastian Vettel lässt sich von keinem Tempolimit an der Aufholjagd hindern., Foto: Sutton
Sebastian Vettel lässt sich von keinem Tempolimit an der Aufholjagd hindern., Foto: Sutton

Aber selbst wenn es in Ungarn wiedererwartend regnen sollte, gibt sich Brawn nicht geschlagen. "Wir haben die Probleme von China analysiert und behoben - ihr werdet schon sehen!", kündigte Jenson Button bei den letzten Rennen mehrmals an. Was die Probleme waren, warum Red Bull im Regen von China so viel besser war als das zu diesem Zeitpunkt deutlich überlegene Brawn Team, verriet er nicht.

Sein Chef ist etwas auskunftsfreudiger: "Wir hatten im Nassen spezielle Probleme beim Fahrzeugsetup", sagt Brawn. "Jetzt haben wir einen anderen Frontflügel, eines der Probleme war, dass wir zu viel Aero-Performance verloren haben, wenn wir den Flap senkten, um die Balance im Nassen zu verbessern." Was dahinter steckte, habe man allerdings erst nach dem Rennen verstanden. "Ich kann natürlich nicht einschätzen, wo wir im Nassen landen werden, aber wir werden sicher nicht die Probleme aus Shanghai haben."

Team & Kollegen

Für einen Zweikampf braucht es bekanntlich immer Zwei. Red Bull und Brawn, Button und Vettel und natürlich Mark Webber und Rubens Barrichello. Noch gibt sich keiner der vier Toppiloten geschlagen, alle hoffen mehr oder weniger realistisch auf den Titelgewinn. "Ich werde weiter kämpfen. Ich habe Chancen auf den Titelgewinn", betet Barrichello immer wieder herunter, selbst nachdem er seinem Team im Eifer des Eifelgefechts vorgeworfen hat, ihn den Sieg gekostet zu haben.

"Ich hätte das Rennen nicht gewonnen", siegte ein paar Tage später die Vernunft, "weil die Red Bull eine halbe Sekunde schneller waren pro Runde, aber Dritter war ohne die Boxenstoppprobleme sehr wohl möglich." Jenson Button verschwendete derweil keine Gedanken an Utopien und brachte es auf den Punkt: "Es ist gut, dass Webber gewonnen hat, denn Vettel hat ihn nun direkt hinter sich und sie werden sich gegenseitig die Punkte wegnehmen." Ein Blick auf den WM-Stand verrät: Mark Webber liegt nach seinem Sieg nur 1,5 Punkte hinter Vettel auf WM-Rang 3. "Hätte Vettel gewonnen, wäre das ein Desaster gewesen."

Eine Teamorder zu Gunsten eines der beiden Red Bull Fahrer braucht Button nicht zu fürchten; eine zu seinen Gunsten wird er nicht benötigen, obwohl Barrichello diese schon mehrfach erahnte. So lange beide Red Bull Fahrer realistische Chancen auf den Titel haben, lässt das Team sie frei fahren. "Wir haben nur eine simple Regel, sie sollen nicht ineinander fahren", betont Horner. Erst wenn einer der Fahrer keine WM-Chance mehr habe, werde er sich teamdienlich verhalten. Bis dahin gilt Horners Vorgabe: "Wir möchten die Brawn so schnell wie möglich einholen - mit beiden Fahrern."