Größer kann der Unterschied wohl kaum sein: Zwei Wochen zuvor der Geister-Grand Prix in Istanbul. Dann die Rekordkulisse von Silverstone. Dazwischen gab´s übrigens noch den Klassiker in Le Mans, der ebenfalls 234.000 Menschen angelockt hat, aber das ist einen andere Geschichte. Mittlerweile dürfte es sich dennoch herumgesprochen haben, dass Bernie Ecclestone einen feuchten Dreck drauf gibt, ob die Tribünen am Sonntag voll sind. Denn rein geschäftlich gesprochen macht es für ihn keinen Unterschied. Bernies Mission ist erfüllt, wenn der Veranstalter seine Unterschrift unter den Vertrag setzt. Wie die Streckenbetreiber die Gebühren an Mr E. wieder hereinbringen ist bitteschön wirklich nicht sein Problem.

Türkische Fans bevölkern die Tribüne., Foto: Sutton
Türkische Fans bevölkern die Tribüne., Foto: Sutton

Eine Zeit lang hat das System Ecclestone auch blendend funktioniert. In den letzten Jahren hat ein gegenseitiges Überbieten stattgefunden, bei dem viele auf der Strecke geblieben sind. Von den Rennstrecken, die noch 2004 - also vor nicht mal 5 Jahren - im Kalender waren, hat es sechs ganz oder teilweise erwischt: Imola, Magny-Cours, Indianapolis und Montreal sind weg, Spa und Suzuka mussten zwischenzeitlich auf die Ersatzbank. Nach derzeitigem Stand fliegen nächstes Jahr Silverstone und Hockenheim raus. Macht fast einen halben Kalender in nur 5 Jahren.

Verhandeln mit Bernie

Silverstone ist zwar kein typischer Fall, denn da liegt neben dem geschäftlichen noch einiges mehr im Argen. Bernie hält den British Racing Drivers Club für einen inkompetenten Altherren-Verein. Das Verhältnis ist seit Jahren gespannt. Spätestens, als Mr.Ecclestone vor einigen Jahren wegen dichten Nebels mit seinem Privat-Helikopter nicht in Silverstone landen konnte, war die Feindschaft um eine Nuance tiefer geworden. Über dem Kurs lag eine Nebelsuppe, dass man kaum seine eigene Hand vor den Augen sehen konnte. Der Big Boss musste auf einen anderen Landeplatz ausweichen und - wie ein Tourist - mit dem Leihwagen eineinhalb Stunden in der Schlange zum Kurs fahren. Auch so kann man seinen Grand Prix los werden. Hockenheim dagegen ist eher ein Betriebsunfall, der keinen so richtig überrascht. Ein Opfer des Systems Ecclestone.

Die leeren Sitz wirken nur als Farbeffekt gut., Foto: Sutton
Die leeren Sitz wirken nur als Farbeffekt gut., Foto: Sutton

Mit ein wenig Einblick in den Aufstieg und Fall des A1-Ring Rennens wage ich die Aussage: Bernie Ecclestone verhandelt nicht. Bernie diktiert. Nicht nur den Preis, sondern auch die Bedingungen, die Lieferanten, einfach alles. Er sitzt am Tisch mit Staatsoberhäuptern, Bürgermeistern von Weltmetropolen und hat daher kein Verständnis für das Gejammer vom armen Rennfan, dem man sein Lieblingsrennen weggenommen hat. Hot Spots wie Singapur bezahlen pro Jahr um die 50 Millionen Euro an Lizenzgebühr, damit die Formel 1 einreitet.

In Melbourne herrscht jedes Jahr Krisenstimmung im Parlament der Provinz Victoria, weil jedes Mal die Opposition eine Rechtfertigung für die 60 Mio. Australischen Dollar will. Und Bernies Preis steigt jedes Jahr um 10%. Denn Bernie kann rechnen. Macht bei einem 5-Jahresvertrag am Ende eine Steigerung um 61%. In Monaco war trotzdem reges Treiben in seinem Bus. Bis zum französischen Premierminister Fillon gab man sich die Klinke in die Hand, um über Grand Prix-Schauplätze zu reden. Kleine Randnotiz: das einzige Rennen, an dem Bernie keinen Cent an Schutzgebühr verdient ist übrigens Monaco.

Globale Leere

Müssen wir unsere mitteleuropäische Sicht der Dinge überdenken? Reflexartig verdammen wir die Formel 1, immer wenn ein europäisches Rennen kippt und eines in Übersee dazu kommt. Vor zehn Jahren gab es exakt fünf Rennen außerhalb Europas. Heuer sind es neun. Als es der Wirtschaft noch gut ging und die Formel 1-Teams von goldenen Löffeln aßen, zog Ecclestone beinhart seine Globalisierung durch. Wer Geld hatte und bereit war, es fünf Jahre lang auf den Tisch zu legen, bekam die Formel 1. Die Sponsoren jubelten: Südostasien, Arabischer Raum. Da tat es gleich weniger weh, dass der wichtigste Konsummarkt der Welt, die USA immer noch höchstens alibihalber bepflügt wurde.

Laguna Seca: Ein Traum für echte Rennfahrer., Foto: Sutton
Laguna Seca: Ein Traum für echte Rennfahrer., Foto: Sutton

In vielen der neuen Märkte sind die Eitelkeit und die Mediengeilheit dem Realismus gewichen. Oder wechselnde politische Würdenträger beginnen die Verträge ihrer Amtsvorgänger zu hinterfragen. In China kommt kein Mensch zum Rennen, in Malaysia ist es verdammt schwer, die Tribünen auch nur halb voll zu bekommen, seit es keinen Petronas-Motor mehr gibt und das Sauber-Team so deutsch daher kommt. Türkei siehe oben. Und Bahrain und Abu Dhabi locken wohl derzeit auch nicht gerade die Weltöffentlichkeit an.

Chance in der Krise

In der Krise liegt die Chance, lautet ein vielstrapaziertes Wort. Die Formel 1 ist ein Abziehbild der weltweiten Wirtschaftskrise. Jahrelang wurde über die Verhältnisse gelebt, die Ersparnisse der Kinder schon ausgegeben. Marktschreierisch wurden Mogelpackungen weltweit verkauft und die Eitelkeit und Gier hat den Blick aufs Wesentliche verstellt. Ganz wenige haben dabei gut verdient. Und es war völlig legal. Jetzt, mit leeren Taschen und dem Rücken zur Wand ist die Zeit, die Preistreiber und Fantasten fortzujagen und sich auf die eigentlichen Werte zu besinnen. Die Formel 1 hat eine Riesenchance. Sie muss zurück zu den Fans. Und das geht meiner Meinung nach nur, wenn man sich der eigenen Geschichte und Herkunft besinnt. Und nicht, wie in Valencia Tribünen aufstellt, von denen aus man keinen Zentimeter der Strecke sehen kann (kein Witz!).

Dass Silverstone in den Kalender gehört, haben über 300.000 Besucher am Wochenende eindrucksvoll bewiesen. Und ich stelle ernsthaft die Frage, ob wir tatsächlich monotone Geister-Events wie Shanghai, Istanbul oder Manama brauchen. Ja, es könnte sein, dass ein paar Menschen dann weniger Geld am Konto haben. Aber anstatt Mega-Komplexe in die Wüste zu bauen, könnte man doch genauso gut wieder in Montreal fahren. Oder in Zandvoort. Oder Brands Hatch. Auch Dijon oder Estoril hätten ihren Reiz. Von Imola und sensationellen Strecken wie Laguna Seca oder Elkhart Lake ganz zu schweigen. Ich weiß schon: ist nicht Formel 1-Standard, höre ich die Kritiker sagen. Stimmt nicht, sage ich. Wenn man in Monte Carlo Formel 1-Rennen fahren kann, dann kann man es überall sonst auf der Welt auch.