Der WM-Kampf als Entwicklungsbremse

von Kerstin Hasenbichler

2008 erlebten die Fans eines der spannendsten WM-Finals in der Geschichte der Formel 1. Erst in der letzten Kurve entschied sich der WM-Kampf und bis zu dieser besagten letzen Kurve auf dem Autodromo José Carlos Pace haben McLaren Mercedes und Ferrari an ihren "alten" Boliden gearbeitet. Damit hatten die beiden Top-Teams einen klaren Nachteil gegenüber den Teams, die schon früh keine Chance mehr auf den Titel hatten.

"Sie haben sich das ganze Jahr darauf konzentriert, das Auto für 2009 zu entwickeln, und das sind natürlich entscheidende Vorteile, die die Top-Teams nicht hatten, die in der Weltmeisterschaft aktiv waren", weiß Michael Schumacher. Den größten Vorteil von allen hatte Brawn GP auf seiner Seite. "Sie haben ihr Auto 16 Monate lang und in vier Windkanälen getestet", kennt McLaren-Mercedes-Teamchef Martin Whitmarsh das Erfolgsgeheimnis des Rennstalls. "Sie hatten Riesenressourcen von Honda, bis zu ihrem Ausstieg pulverten die Japaner hunderte von Millionen in das Team", stellte Whitmarsh klar.

Das viel titulierte Märchen vom Team, das neu in die Formel 1 einstieg und von Beginn weg dominierte, ist überhaupt keines. Fakt ist, dass das Auto, das heute der Konkurrenz um die Ohren fährt, bereits zu 95 Prozent fertig war, als sich Honda Ende 2008 aus der Formel 1 zurückzog. Der BGP001, finanziert mit einem Jahresbudget von über 300 Millionen Euro, wurde durch den Mercedes-Motor noch stärker als es mit dem schwachen Honda-Triebwerk je gewesen wäre.

Hamiltons Titelverteidigung ist derzeit in weiter Ferne., Foto: Sutton
Hamiltons Titelverteidigung ist derzeit in weiter Ferne., Foto: Sutton

Zudem hat das Team in Brackley mindestens genauso viele Mitarbeiter wie die großen Teams, die übrigens die ganze Zeit der währenden Unsicherheit im Winter konsequent am Auto weitergearbeitet haben. Ferrari und McLaren Mercedes standen vor einer bedeutend schwereren Aufgabe.

"Sie mussten zweigleisig fahren, das nimmt gerade bei so signifikanten Regeländerungen doch mehr Kapazitäten weg, als allen lieb ist. Ihr Rückstand ist die Konsequenz daraus", meint Michael Schumacher. Im Gegensatz zu den anderen Teams, die spätestens ab Mitte der Saison mit dem 2009-Boliden beginnen konnten, hatten Ferrari und McLaren Mercedes hingegen gar keine andere Wahl als die Entwicklung am Auto für 2009 hinten anzustellen. "Jeder von uns gewann nur deshalb einen Titel, weil wir uns bis zum Ende auf den Titel konzentriert und um ihn gefightet haben", stellte Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali klar und fügte hinzu: "Man kann eben nicht alles haben."

Faule Ausrede für schlechte Planung

von Stephan Heublein

"Wir haben bis zuletzt um den WM-Titel gekämpft, während die anderen ja schon viel früher sich auf das neue Jahr konzentrieren konnten." So begründete Renault den Absturz nach den beiden Titelgewinnen 2005 und 2006. So begründen McLaren Mercedes und Ferrari die fehlende Konkurrenzfähigkeit zu Beginn der Saison 2009. Aber ist das wirklich der Grund? Ist das ausreichend als Grund?

"Das darf keine Entschuldigung sein", betont Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug. Recht hat der Mann. Ein Top-Team muss jedes Jahr dazu in der Lage sein, ein sieg- und titelfähiges Rennauto auf die Räder zu stellen. Wozu sonst die ganzen schlauen Köpfe, hunderte Millionen Euro und ausgeklügelte technische Spielereien wie Windkanäle, Simulatoren und CFD-Rechner?

Klar, es kann nicht in jedem Jahr ein Überauto gelingen, das allen auf und davon fährt, wie es Ferrari in den Jahren 2002 und 2004 sein Eigen nennen durfte. Natürlich brachten die vielen Regeländerungen für die Saison 2009 neue Unbekannte mit sich, die manche besser, manche schlechter und manche in den Grauzonen lösten. Doch ist das noch lange keine Begründung dafür, dass der Rennstall des amtierenden Fahrerweltmeisters plötzlich statt Siegen und Titeln nur noch das hintere Drittel der Startaufstellung anpeilt.

Fehler und kein Speed: Es sieht düster aus für Ferrari., Foto: Sutton
Fehler und kein Speed: Es sieht düster aus für Ferrari., Foto: Sutton

Egal wie viel früher die Konkurrenz sich auf 2009 konzentrieren konnte, egal wie viel mehr Ressourcen sie in das stark veränderte Regelwerk stecken konnten, solch einen Absturz darf sich ein so genanntes Top-Team, ein Weltmeisterteam nicht erlauben - egal wie lange man um den WM-Titel mitgefahren ist. Es verlangt niemand, dass McLaren und Ferrari alleine vorne wegfahren. Im Gegenteil: Das bunt gemischte Kräfteverhältnis ist ein ganzer Salzklumpen in der früher abwechslungslosen, rot-silbernen Suppe.

Die Gründe für den fehlenden Speed sind jedoch nicht im Titelkampf des Vorjahres zu suchen, sondern bei den Fehlern in den Designabteilungen, bei den Fehleinschätzungen der errechneten Abtriebswerte und bei der Fehlplanung für das neue Reglement. Ohne das würde man vielleicht nicht vor den umstrittenen Diffusor-Autos liegen, allen voran den Brawn GP, aber auch nicht ums Erreichen des zweiten Qualifyingabschnittes zittern müssen.

Die Schuld tragen Fehler, nicht letzte Kurven. "Sonst könnte man ja nur alle zwei Jahre um den Titel fahren", erinnert Haug richtig. Und das man selbst bei vielen Regeländerungen (und die gab es dank des FIA-Präsidenten in den letzten Jahren viel häufiger als es den Teams lieb war) zweimal hintereinander Weltmeister werden oder wenigstens bis zuletzt im Titelkampf vertreten sein kann, haben gerade McLaren und Ferrari im vergangenen Jahrzehnt mehrmals unter Beweis gestellt.