Natürlich war die "Lügenaffäre" für McLaren-Mercedes der absolute Super-Gau. PR-mäßig vor allem - denn jetzt muss sich das Team damit herumschlagen, dass man nach dem Motto "wer einmal lügt" alles in Frage stellt. So wie allen voran Bernie Ecclestone, der ja gleich mal vermutete, mit dem suspendierten Sportdirektor Dave Ryan habe man wahrscheinlich nur einen Sündenbock gesucht und gefunden, ein "Bauernopfer", um die anderen Mitglieder der Teamführung, allen voran Martin Whitmarsh selbst, zu schützen.

Dave Ryan bewegte sich nur in seinem Aufgabengebiet, Foto: Sutton
Dave Ryan bewegte sich nur in seinem Aufgabengebiet, Foto: Sutton

Dabei sollte es Ecclestone eigentlich besser wissen. Denn wer die Aufgabenverteilung und die Abläufe in einem Team wie McLaren, gerade direkt nach einem Rennen, regelmäßig beobachtet und kennt, muss die geschilderte Version eigentlich für sehr plausibel halten. Tatsächlich war Whitmarsh im Fahrerlager von Melbourne mit ganz anderen Dingen, vornehmlich Fernsehinterviews beschäftigt - gerade nach einem doch überraschend guten Ergebnis in einer schwierigen Situation war er da natürlich besonders gefragt. Währenddessen griff sich Dave Ryan, in dessen Aufgabengebiet als Sportdirektor, nun wirklich keine niedrige Position in der McLaren-Hierarchie, die Abwicklung einer Anhörung vor den Sportkommisaren eindeutig gehörte, Hamilton praktisch direkt von dessen Interviews - an einer ganz anderen Stelle im Paddock, um mit ihm zu der im Nachhinein folgenschweren Anhörung zu gehen.

Um sich da vorher groß abzusprechen, war kaum Zeit - und es bestand eigentlich auch keine Notwendigkeit. Schließlich schien es sich um eine Routineangelegenheit zu handeln, bei der sich McLaren sicher sein konnte, auf keinen Fall etwas Verbotenes getan zu haben. Dass das auch bei anderen Teams so läuft, bestätigt BMW-Motorsportdirektor Dr. Mario Theissen. "Diese Situation, dass kurz nach einem Rennen der Fahrer und der Teammanager zu den Stewards gerufen werden, und wir uns da dann nicht mehr absprechen, ist normal."

Erst am Donnerstag wurde ihm das ganze Ausmaß bewusst, Foto: Sutton
Erst am Donnerstag wurde ihm das ganze Ausmaß bewusst, Foto: Sutton

Der zweite Vorwurf: Es könne doch gar nicht sein, dass Whitmarsh bis Donnerstag überhaupt nicht gewusst habe, was da wirklich vorgefallen und gesagt worden sei. Aber auch da gilt es zu bedenken: Für alle Beteiligten war mit der Entscheidung am Sonntagabend das Thema unter Garantie abgehakt, kein Grund, weiter darüber zu diskutieren. Danach flogen erst einmal alle Beteiligten für drei Tage in den Urlaub - aber nicht unbedingt zusammen an den gleichen Ort. Man traf sich erst wieder in Sepang, wo die Geschichte dann aus heiterem Himmel wieder hoch kochte, durch die erneute Vorladung der Fahrer.

Dass daraufhin Ryan und Hamilton erst einmal versuchten, ihrem Chef gegenüber mit der Version, sie seien im Detail gar nicht nach dem "Vorbeilassen" gefragt worden, durchzukommen, ist nachvollziehbar. Wer gibt schon gerne zu, Riesenmist gebaut zu haben, vor allem, wenn er allmählich die drohenden Konsequenzen bemerkt? Und dass Whitmarsh einem langjährigen, erfahrenen McLaren-Mitarbeiter, der sich eine hohe Position im Team erarbeitet hat, erst einmal glaubt, vielleicht auch glauben will, ist auch verständlich. Erst als dann alle Protokolle vorlagen, musste Martin Whitmarsh erkennen, dass da etwas massiv schiefgelaufen und er wohl auch nicht korrekt informiert worden war. Woraufhin er ja intern Druck machte, die Wahrheit zu erfahren, dann auch sofort in die Offensive ging und Ryan suspendierte.

Warum der sich in Melbourne zu der ganzen Aktion hinreißen ließ, von der er eigentlich mit all seiner Erfahrung hätte wissen müssen, dass sie angesichts des der FIA mit großer Wahrscheinlichkeit vorliegenden Funkverkehrs quasi mit Sicherheit auffliegen musste, wird freilich erst einmal ein Rätsel bleiben...