Es könnte alles so schön sein: Keine Diskussionen über illegale Teile, keine Diskussionen über kurzfristige Regeländerungen, reine Vorfreude auf einen der spannendsten Saisonstarts seit vielen Jahren. "Alle haben die gleichen Chancen und deshalb kann auch ein Underdog vorne mitfahren", glaubt Niki Lauda. Der Grund: Das neue Reglement lässt unzählige Fragen unbeantwortet. Wer hat KERS im Griff? Wer ist zuverlässig? Wer ist schnell? Und wer bringt alles unter einen Hut?

Ferrari & McLaren: Die üblichen Verdächtigen

Rot und Silber. Springendes Pferd und Silberpfeil. Ferrari und McLaren. Seit Jahren gelten die beiden Spitzenteams als die Topanwärter auf den ersten Sieg und den WM-Titel einer neuen Formel-1-Saison. "Mit ihnen muss man immer rechnen", meint Christian Danner. In diesem Jahr gestaltet sich die Situation wesentlich komplizierter. Das neue Reglement hat ganze Arbeit geleistet und das Kräfteverhältnis bei den - wie gewohnt nicht immer aussagekräftigen - Wintertests reichlich durcheinander gewirbelt.

"Wir sind nicht dort, wo wir sein wollten", betet Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug immer und immer wieder herunter. Statt, wie in den letzten Jahren, von Anfang an um Siege zu fahren, müsse man sich zu Saisonbeginn mit einem Platz in der zweiten Hälfte des Feldes begnügen. "Die zweite Hälfte besteht aus zehn Autos", fügt Haug hinzu, ohne wie sonst üblich, gleich eine Statistik herbeizuzaubern, die doch etwas Hoffnung versprühen soll.

Dem McLaren fehle es schlicht an Abtrieb, der jetzt ohne Testfahrten mühsam in Simulationen und Windkanälen gefunden werden müsse. "Wir werden im ersten Drittel der Saison nicht bestens gerüstet sein." Also nicht auf dem Niveau der letzten Jahre sein.

McLaren Mercedes konnte noch nicht glänzen., Foto: Moy/Sutton
McLaren Mercedes konnte noch nicht glänzen., Foto: Moy/Sutton

Ein bisschen Optimismus gibt es aber doch: Melbourne ist im Vergleich zu den Winterteststrecken in Jerez und Barcelona kein typischer Kurs. Bereits in den letzten Jahren drehte sich das Kräfteverhältnis zwischen dem Auftaktrennen und dem zweiten Lauf in Malaysia um. "Es hat schon oft die verrücktesten Ergebnisse gegeben", erinnert Haug. Darauf bauen möchte er allerdings nicht.

Marc Surer bestätigt die Prognose. McLaren bluffe nicht, meint er, sie hätten echte Probleme. Somit würde es ihn überraschen, wenn das Team in Melbourne um den Sieg mitfahren könnte. "Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie kein Siegauto haben", sagt er. "Unser Auto ist momentan etwas hinter dem Rest hinterher", bestätigt Lewis Hamilton. "Aber ich bin zuversichtlich, dass wir stärker werden und uns im Laufe des Jahres steigern."

Ferrari, BMW Sauber, Toyota & Renault: Die Angreifer

Während das Team des amtierenden Fahrerweltmeisters taumelt, holt der Konstrukteursweltmeister zum Schlag aus. "Die letzten Eindrücke haben gezeigt, dass wir gut aufgestellt sind und um die WM-Titel mitkämpfen sollten", kündigt Ferrari-Berater Michael Schumacher an.

Bestätigung finden seine Worte durch Felipe Massa, der seinen Ferrari F60 als schnell, konstant und konkurrenzfähig bezeichnet. "Wir haben ein paar Rennsimulationen durchgeführt und es gab nie Probleme mit dem Auto", so Massa. "Wir sind bereit für die Weltmeisterschaft und ich hoffe, dass wir konkurrenzfähig wie in den vergangenen Jahren sein werden."

Trotzdem sieht Schumacher gleich mehrere Teams als Spitzenkandidaten an. "Es hat sich abgezeichnet, dass verschiedene Teams vorne dabei sein können, neben uns Renault und Toyota, aber auch BMW." Während BMW Sauber wie üblich eher ruhige Töne anschlägt, zwar vom großen Ziel des Titelgewinns spricht, aber ansonsten keine Prognosen hinausposaunt, geht das ehemalige Weltmeisterteam von Renault offensiver zu Werke.

"Wir gehen immer mit dem gleichen Ziel in eine Saison", sagt Chefingenieur Pat Symonds. "Nämlich Rennen zu gewinnen und um die WM zu kämpfen." Schon bei der Präsentation des neuen Autos hatte Fernando Alonso den Titel zum Ziel erklärt. "Wir möchten um die WM kämpfen", bestätigt er noch einmal und baut auf die Erfolgsstatistik der Franzosen im Albert Park. "Das Kräfteverhältnis der Teams wird vielleicht etwas anders sein als in den letzten Jahren, in denen wir uns an eine Dominanz von Ferrari und McLaren gewöhnt hatten." Dieses Jahr möchte Alonso mit Renault mittendrin stecken.

Ferrari zählt sich zu den Favoriten - hinter Brawn., Foto: Sutton
Ferrari zählt sich zu den Favoriten - hinter Brawn., Foto: Sutton

Nicht ganz ruhig, aber auch nicht ganz so laut verhielt sich Toyota in den vergangenen Wochen. Beim Team Launch waren große Töne angesagt: Der erste Sieg müsse her, sonst habe man keine Zukunft in der Formel 1, hieß es. Als die ersten Testfahrten die Erwartungen übertrafen, das Auto zuverlässig und schnell war, wuchs der Glaube an diese Aussagen. Timo Glock fände es jedenfalls toll, "wenn wir schon beim ersten Rennen auf dem Podium stehen oder sogar gewinnen würden".

Red Bull & Brawn GP: Die Vergessenen und die Überraschung

Nach den ersten Tests gehörte Red Bull zu den Überraschungen. "Sebastian Vettel war mit dem Auto am ersten echten Testtag gleich Schnellster, das ist auf jeden Fall schon einmal sehr viel versprechend", urteilte Christian Danner damals im Gespräch mit dem Motorsport-Magazin. Aber schon zu diesem Zeitpunkt wusste er, dass es neben der Performance auch auf die Zuverlässigkeit des Newey-Boliden ankommen würde - und die ließ teilweise zu wünschen übrig. Dennoch hofft Danner auf einen Red-Bull-Clou: "Ich hoffe, dass der Sebastian sogar um die WM mitfahren kann. Wenn nicht jetzt, wann dann?" Bernie Ecclestone würde es freuen, obwohl er mal wieder auf Felipe Massa setzt.

Egal, wen man dieser Tage fragt, jeder hat Brawn GP auf dem Zettel. Das Team selbst hält sich mit Ankündigungen zurück. Als die Zukunft noch offen war, warb Ross Brawn für seinen Rennstall mit einem fertigen Siegauto, jetzt wird das Antreten an sich - richtigerweise - bereits als Sieg gefeiert. Trotzdem: die Testzeiten waren schnell, ob mit oder ohne Untergewicht, ob mit oder ohne reglementkonformen Diffusor. Wie bei Toyota und Williams droht jedoch Ärger: Red Bull kündigte schon an, dass man Protest einlegen werde, wenn man illegale Teile vermuten sollte.

So oder so: Die Konkurrenz singt weiter Lobeshymnen auf die Weißen. "Wenn man sich die letzten Testfahrten ansieht, dann ist Brawn GP unser Hauptkonkurrent", ist Felipe Massa überzeugt. "Wir haben gesehen wie Brawn GP aus der Asche auferstanden ist und sofort eine Sekunde schneller war als jedes andere Team." Wenn man in Melbourne genauso fahre, würde man alle überrunden, fürchtet Sam Michael, der aber allen Grund hat, um über Brawn GP zu sprechen - denn bei Williams läuft es erneut nicht so rund, wie es sich Nico Rosberg über den Winter vorgestellt hatte. Sie zählen unter normalen Bedingungen noch nicht mal zu den Geheimfavoriten...