Angesichts der zahlreichen Neuerungen in 2009: Was macht die kommende Saison besonders spannend?
Pat Symonds: Es wird zweifellos die größte Herausforderung, der wir uns seit langem stellen mussten. In den vergangenen Jahren herrschte in puncto Reglement eine verhältnismäßig hohe Stabilität. Wir dürfen natürlich den Wechsel auf die V8-Motoren 2006 nicht vergessen, wodurch sich ebenfalls einiges verändert hat. Aber auf die Entwicklungsprozesse hatte das Ende der Zehnzylinder-Ära nur geringen Einfluss. Auch die Aerodynamik blieb über lange Zeit stabil, sodass in diesem Bereich ein kontinuierlicher Prozess stattfand. Immer wieder wurden kleinere Maßnahmen ergriffen, um die Performance der Autos zu limitieren: ein etwas höher platzierter Frontflügel, ein tiefer gezogener Diffusor - kleine, eher triviale Dinge.

In dieser Saison müssen wir uns mit einem in praktisch allen Bereichen völlig neuen Aerodynamik-Konzept auseinandersetzen. Front- und Heckflügel sind in Form und Größe komplett anders, für die Karosserie gelten umfangreiche Einschränkungen, und auch der Diffusor hat mit denen aus den Vorjahren nicht viel gemein. Das ganze Thema ist für alle ein gänzlich unbeschriebenes Blatt. Die Teams müssen wieder ganz neu lernen, wo die besonders heiklen Bereiche liegen, wo sich Vorteile erzielen lassen, wie sie das Reglement optimal ausnutzen können und wo das Regelwerk ihrem Innovationsdrang unmissverständlich entgegensteht.

Hinzu kommt noch das Kinetische Energie-Rückgewinnungs-System KERS. Dabei handelt es sich nicht nur um ein neues Element, das es zu integrieren gilt, sondern um eine völlig neue Technologie, an die wir uns alle noch gewöhnen müssen. Niemand in der Formel 1 hat zuvor mit Leistungselektronik und Hochspannungssystemen gearbeitet. Unsere Erfahrungen mit Elektromotoren beschränkten sich bislang auf Benzinpumpen und andere kleinere Anbauteile. Auch die taktische Komponente der Technologie bedeutet Neuland: Wie setze ich die jeweils kurzfristig zur Verfügung stehende zusätzliche Kraft von 60 kW in Qualifying und Rennen am besten ein? Im Zusammenhang mit KERS gibt es viel zu beachten.

Aus Sicht des Entwicklers stehen wir also vor einer der anspruchsvollsten Formel 1-Saisons überhaupt?
Pat Symonds: Davon bin ich fest überzeugt. Es handelt sich um extremere Veränderungen als 1994, als die Holzbodenplatte eingeführt und der Diffusor verkleinert wurde. Die Situation erinnert mich eher an den Übergang von 1982 zu 1983, als die sogenannten "Ground Effect"-Autos verboten und der flache Unterboden vorgeschrieben wurde.

Der Weg zum R29

Im vergangenen Jahr trieb ING Renault F1 die Entwicklung des R28 bis zum Saisonfinale voran. Zog das Nachteile für das Vorbereitungsprogramm auf 2009 nach sich?
Pat Symonds: Das stimmt so nicht ganz. Unsere letzte größere Modifikation war der neue Frontflügel, der beim Grand Prix von Singapur Ende September zum Einsatz kam. Die Testarbeit dafür hatten wir lange im Voraus abgeschlossen. Wir haben früh erkannt, dass 2009 die Aerodynamik eine enorm wichtige Rolle spielen würde. Die Arbeit am Renault R29 begann daher sehr früh. In der Grundlagenarbeit verglichen wir zunächst verschiedene Konzepte miteinander, um zu sehen, was funktioniert und was nicht. Wie gut du deine Arbeit gemacht hast, ist dabei immer relativ. Denn es kommt darauf an, wie du im Verhältnis zu deinen Konkurrenten dastehst. Die meisten anderen Teams gingen ähnlich vor wie wir. Ich bin sehr zuversichtlich, dass der Renault R29 in puncto Aerodynamik zu den besten Autos im Feld zählen wird.

Fernando Alonso erfüllt für Symonds alle Eigenschaften, die ein Fahrer haben muss., Foto: Renault
Fernando Alonso erfüllt für Symonds alle Eigenschaften, die ein Fahrer haben muss., Foto: Renault

Welche Philosophie stand hinter der Entwicklung des Renault R29?
Pat Symonds: Wichtige Themen waren natürlich die neuen Reifen und die Gewichtsverteilung. Das neue KERS-System wiegt verhältnismäßig viel und lässt uns daher nur wenig Spielraum, das Gewicht innerhalb des Renault R29 zu verschieben. Wir haben praktisch keinen Ballast mehr, mit dem wir arbeiten können. Unsere Entwicklungsstrategie konzentrierte sich daher auf zwei Bereiche. Zum einen wollten wir die Masse des Wagens so gering wie möglich halten, denn daraus resultieren noch größere Vorteile als bisher. Zum anderen wollten wir die Gewichtsverteilung auf Anhieb so ausbalancieren, dass sie den rillenlosen Slicks entgegenkommt. Wir konnten diese Reifen im vergangenen Sommer erstmals testen, kennen ihre Charakteristik daher bereits sehr gut.

Die Fahrerbesetzung

Fernando Alonso fährt auch 2009 für ING Renault F1. Wie wichtig ist er für das Team?
Pat Symonds: Fernando Alonso ist vor allem ein unglaublich schneller Fahrer. Wenn du eine Liste der Eigenschaften erstellst, die du in einem Piloten suchst - er erfüllt sie praktisch alle. In meinen Augen ist er der beste Fahrer im Feld. Er weiß, wie man Rennen fährt und wie man gewinnt. Er weiß, wann er was tun muss. Er sorgt für Kontinuität im Team und ist derjenige, der sagt: "Das kenne ich so, das kenne ich so nicht. Das gefällt mir, das gefällt mir nicht." Und wir vom Ingenieurs-Stab müssen das, was er sagt, nicht erst in unsere Fachsprache übersetzen. Wir haben bereits mit ihm zusammengearbeitet und verstehen uns gegenseitig. Er garantiert Transparenz in der Kommunikation. Und das ist für den Entwicklungsprozess so wichtig.

Nelson Piquet erlebte 2008 eine schwierige Saison. Wie lautet sein Auftrag für die bevorstehende Saison?
Pat Symonds: Seine Aufgabe wird sein, sich weiter kontinuierlich zu verbessern und regelmäßig in die Punkteränge zu fahren. Er muss Fernando in allen Bereichen so gut unterstützen, wie er kann. Wir erwarten, dass er den Reifeprozess fortführt, den wir vor allem am Ende der vergangenen Saison beobachten konnten. In seinem zweiten Formel 1-Jahr nimmt der mentale Druck deutlich ab. Ich bin davon überzeugt, dass er häufiger zeigen wird, wie schnell er tatsächlich Auto fahren kann.

Herausforderungen 2009

Die angespannte weltwirtschaftliche Lage ist derzeit in aller Munde. In der Vergangenheit konnte ING Renault F1 mit dem nur sechst- oder gar siebtgrößten Budget im Feld um Siege kämpfen. Was können Sie uns zur aktuellen Situation und Philosophie des Teams sagen? Müssen Sie erneut mehr mit weniger erreichen?
Pat Symonds: Ich glaube nicht, dass in der Formel 1 noch irgendjemand mit enormen Budgets rechnen kann - zumindest nicht in absehbarer Zukunft. ING Renault F1 nimmt eine führende Rolle ein, wenn es darum geht, die Kosten der Formel 1 zu reduzieren, ohne dabei Kompromisse beim Unterhaltungswert zu dulden. In unseren Augen ist dies der einzige Weg, die Zukunft unseres Sports zu sichern. Ich glaube, dass wir in dieser Beziehung die richtigen Ansprechpartner sind, denn uns ist diese Thematik bestens bekannt. Verringerte Budgetumfänge bereiten uns keine schlaflosen Nächte.

Was erwarten Sie von der Saison 2009? Glauben Sie, dass die neuen Regeln das Überholen erleichtern und die Show verbessern werden?
Pat Symonds: Ich war Mitglied der sogenannten "Overtaking Working Group", hatte also gewissen Einfluss auf die neuen Regeln und kenne die Entwicklungsarbeit, die dahinter steckt. Von daher gehe ich natürlich davon aus, dass sich die Dinge verbessern. Ich glaube, dass das Überholen in der Formel 1 in den vergangenen Jahren eine viel zu komplizierte Angelegenheit war. Ich meine damit nicht, dass das Passieren eines Gegners ein Kinderspiel sein sollte. Die sportliche Herausforderung muss gegeben sein. Ich bin ehrlich fest davon überzeugt, dass die neue Aerodynamik in dieser Beziehung für eine gute Balance sorgt.