Wie lief die Entwicklungsarbeit während der Winterpause und wie sind Sie mit den Anforderungen des neuen Reglements für 2009 umgegangen?
Bob Bell: Das unterschied sich nicht grundsätzlich von der Arbeit der Vorjahre. Allerdings haben wir mit der Arbeit am Renault R29 früher begonnen als bei anderen Autos. Schon im Februar 2008 begannen die ersten Windkanalversuche. Es ging darum, unsere Ressourcen nach und nach so einzubinden, dass die Arbeit am R28 in der laufenden Saison nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde - schließlich haben wir den noch bis kurz vor dem Saisonfinale erheblich weiterentwickelt.

Wie haben Sie dieses Vorhaben umgesetzt?
Bob Bell: Wir konnten das nur schaffen, indem wir von allen unseren Mitarbeitern noch mehr Einsatz forderten und die Kapazitäten unserer Fertigungsstandorte voll ausnutzten. Das R29-Programm stellte uns vor eine große Herausforderung. Wir mussten die Konstruktion vorantreiben und gleichzeitig neue Technologien einbringen, mit denen wir noch keine Erfahrung hatten: das KERS-System, die vom Cockpit aus verstellbaren Frontflügel und die beschnittene Aerodynamik. Dann gab es da einige "Nebenwirkungen", besonders beim KERS, denn dieses System verbraucht wegen seines hohen Gewichts viel von unserer Ballast-Manövriermasse. Wir mussten also intensiv an der Gewichtsreduzierung arbeiten. Das Entwicklungsprogramm war erheblich komplexer und intensiver als für jedes andere Auto zuvor und erforderte viel mehr Einsatz.

Können Sie schon abschätzen, wie stark Ihr Paket sein wird und wo Sie im Vergleich zu den Gegnern stehen?
Bob Bell: Du bist beim Konstruieren immer abgeschottet. Und gerade angesichts der vielen Regeländerungen ist überhaupt nicht einzuschätzen, was die anderen Teams machen - wir und sie betreten absolutes Neuland. Ich bin sicher, dass die Lösungen der einzelnen Teams zu Anfang sehr unterschiedlich aussehen werden. Im Lauf der Saison werden sie sich immer weiter annähern. Aber zu Beginn der Saison dürften sowohl die technischen Ansätze als auch die Rundenzeiten der Teams weiter auseinander liegen als zuletzt. Deshalb können wir nur schwer beurteilen, wo wir stehen. Wir glauben, dass wir uns realistische Ziele gesetzt haben - und dass die Topteams in etwa dieselben Performance-Vorgaben verfolgen. Aber wie das am Ende auf der Strecke aussehen wird, kann ich absolut nicht vorhersagen.

Gibt es einen Bereich am Renault R29, auf den Sie besonders stolz sind? Ein bestimmtes Merkmal, das heraussticht oder sich von den Lösungen der anderen Teams unterscheidet?
Bob Bell: Für mich sind erstklassige handwerkliche Qualität und methodische Verbesserungen aller Details nach wie vor das A und O in der Formel 1. Aus meiner Sicht haben wir handwerklich und beim Verbessern jedes Teilbereichs gute Arbeit geleistet: bei der Gewichtsreduktion oder bei der Optimierung vieler Teile. Außerdem haben wir einige interessante Lösungen im Hinblick auf die neuen Aerodynamikregeln gefunden. Genauso stolz bin ich darauf, mit wie viel Detailbesessenheit wir uns der mechanischen Seite gewidmet haben. Wir holen viel Performance allein über die Arbeit mit den Aufhängungen und die Verbesserung des Grips. Die Feinheiten der mechanischen Aspekte zu durchschauen, ist äußerst befriedigend.

Der neue Hoffnungsträger bei Renault - der R29., Foto: Renault
Der neue Hoffnungsträger bei Renault - der R29., Foto: Renault

Die Aerodynamik

Zurück zu den Aerodynamik-Regeln für 2009. Wo und wie haben Sie mit der Arbeit begonnen?
Bob Bell: Zunächst haben wir einfach ein 2008er-Auto ohne jede Weiterentwicklung auf die 2009er-Regeln umgebaut. Das nahmen wir als Ausgangspunkt. Dabei wurde sehr schnell klar, dass der Frontflügel im Zusammenspiel mit der Nase sowie der Diffusor die Schlüsselelemente für das Entwicklungs- und Performance-Programm sein würden. Damit haben wir die Konstruktions-Schwerpunkte an Vorder- und Hinterwagen definiert. Wir richteten die Arbeit der Aerodynamikabteilung gezielt auf diese zwei Parameter aus und untersuchten sie sowohl einzeln als auch in ihrem Zusammenwirken. Das waren die wichtigsten Ansatzpunkte für das Design des neuen Autos.

Die vielen kleinen Anbauteile an die Karosserie wurden ebenfalls verbannt...
Bob Bell: Richtig, und damit schränken die 2009er-Regeln zugleich die Möglichkeiten, je nach Außentemperatur mit der Kühlungsluft zu arbeiten, stark ein. Wir mussten uns also einige Gedanken machen und sicherstellen, dass wir bei allen Wetterbedingungen die optimale Kühlung ermöglichen - um nur ein Beispiel für die Vielzahl an Aufgaben zu nennen, die uns erwartete. Ich bin sicher, dass es allen Teams so ging. Das Wichtigste bei einer solchen Vielzahl an neuen Regeln ist es, nichts zu übersehen. Du musst an jedem Bereich des Autos arbeiten und dir darüber im Klaren sein, wie sich jede kleine Modifikation auswirken wird - denn im Ganzen kann sich das Verhalten des Autos völlig verändern.

Das KERS-System

KERS stellt jedes Team vor eine schwierige Herausforderung. Wie ist der Stand der Dinge bei Renault und wie wirkt sich das System auf eure Gesamtperformance aus?
Bob Bell: Nun, wenn jeder so ein System einsetzt und alle gleich gut funktionieren, dann bringt KERS auf einigen Kursen einen Zeitgewinn von zwei Zehntelsekunden, auf anderen vielleicht gar keinen. Wir sitzen alle im selben Boot, also gibt es nicht unbedingt einen Leistungsvorteil für einzelne Teams. Helfen wird KERS jedoch beim Überholen. Falls zwei KERS-Autos auf der Geraden hintereinander her fahren, wird keiner einen Vorteil genießen, da beide den Power-Knopf gleichzeitig drücken. Wenn du aber kein KERS an Bord hast und du wirst von einem KERS-Auto verfolgt, bekommst du ein Problem. Also kann es sich eigentlich kein Team leisten, darauf zu verzichten. Andererseits wird es, wie gesagt, das Kräfteverhältnis kaum beeinflussen, wenn alle es haben. Es sei denn, das System fällt aus - und ich bin sicher, dass wir zu Beginn der Saison zahlreiche technische Probleme erleben werden.

War KERS schwierig zu konstruieren, anzufertigen und abzustimmen? Oder arbeiten Sie noch immer daran?
Bob Bell: Es handelt sich um eines der kompliziertesten und schwierigsten Projekte, die wir je in Angriff genommen haben. Und wir haben das System bei Weitem noch nicht vollständig durchschaut. Es erforderte große Anstrengungen, KERS zuverlässig, rennfertig und sicher zu machen - hinzu kamen die unsichtbaren Arbeiten im Hintergrund bei der Konstruktion, dem Einbau ins Auto und der Definition der Sicherheitssysteme für die Menschen, die mit KERS arbeiten. Dann stehst du vor logistischen Herausforderungen wie etwa schwere Batterien rund um die Welt zu fliegen. Du musst Spezialeinrichtungen in den Workshops schaffen, um eventuelle Batteriefeuer löschen zu können, musst die Motorenprüfstände umbauen und neue Software für das Auto und die Peripherie entwickeln - es geht einfach immer weiter! Mit jedem neuen Tag taucht ein neues Problem im Zusammenhang mit KERS auf, an das wir vorher nicht gedacht haben und das wir lösen müssen. Ich glaube, als wir das erste Mal von den Reglements-Vorschlägen zu KERS erfuhren, konnten wir gerade einmal die Spitze eines sehr großen Eisbergs sehen. Und ich glaube, dass in den Führungsgremien des Sports kaum jemand die Größe der Aufgabe richtig eingeschätzt hat.

Die Reifen

Sprechen wir über die Reifensituation. Wie mussten Sie die Autos verändern, um sie auf die neuen Slicks anzupassen? Steht den Teams ein längerer Lernprozess bevor?
Bob Bell: Nein, das glaube ich nicht. Die Umstellung auf die profillosen Reifen ist sogar eine der einfachsten Aufgaben für die neue Saison. Wir haben die Slicks auf dem 2008er-Auto getestet und kamen recht schnell damit zurecht. Sie erfordern keine größeren Abstimmungsänderungen. Im Lauf der Saison werden wir sicher einige Feinheiten im Umgang mit den Reifen entdecken, um uns vielleicht einen Vorteil gegenüber unseren Gegnern zu erarbeiten. Aber generell sind wir bereits gut darauf eingestellt. Der Wechsel ist nicht annähernd so schwierig wie der Umstieg von den Michelin- auf die Bridgestone-Rillenreifen vor zwei Jahren.

Abgesehen von der Anpassung an die neuen Regeln: Gab es andere Bereiche, von denen Sie sich eine Leistungssteigerung des Renault R29 versprechen?
Bob Bell: Wir stehen vor dem Abschluss einiger interessanter Entwicklungen in puncto Radaufhängung und bei den Bremsen. Ich kann natürlich nicht ins Detail gehen; diese Entwicklungen werden auch noch nicht am Auto zu sehen sein. Ich bin sehr stolz darauf, dass das Team immer wieder Bereiche entdeckt, wo nennenswerte Fortschritte - und Wettbewerbsvorteile gegenüber den anderen Teams - erzielt werden können, vor allem auf der mechanischen Seite.

Wie bewerten Sie die Arbeit der Teams in Enstone, im Konstruktionsbüro und in der Fertigung - einmal im Hinblick auf die Saison 2008, zum anderen bei der Vorbereitung auf 2009?
Bob Bell: Unsere Mitarbeiter haben ein immenses Pensum geleistet. Wenn wir uns die Anstrengungen ansehen, die 2008 von jedem Teammitglied erbracht wurden, wird klar, dass es ein sehr schwieriges Jahr war. 2008 noch die nötigen Ergebnisse zu erzielen und gleichzeitig ein wettbewerbsfähiges neues Auto zu entwickeln, war eine riesige Aufgabe. Das haben wir nur durch sehr viel Arbeit und die Sorgfalt der Teammitglieder auf jeder Hierarchiestufe geschafft. Es spricht für das Team und jeden Einzelnen, wie wir uns in der zweiten Saisonhälfte zurückgemeldet haben. Ich kann den Einsatz unserer Techniker, Konstrukteure und der Mitarbeiter in der Fertigung nicht hoch genug loben. Sie alle trugen massiv zur Leistungssteigerung des R28 und zur Entwicklung des R29 bei - und darauf sind wir alle sehr stolz.