Er gab von Anfang an die Pace vor, selbst als Lewis Hamilton in den ersten Rennrunden hinter seinem Teamkollegen Heikki Kovalainen fest hing, war deutlich zu erkennen, dass der Brite schneller war als der Finne. Sobald Hamilton in Runde 4 an Kovalainen vorbeigegangen war, konnte er seinen Vorsprung auf den zweiten McLaren stetig ausbauen. "Das ist bei weitem der schönste Sieg in meiner Karriere", freute sich Hamilton, "aber auch der schwierigste."

Während des Rennens hatte er gedacht: "Wenn ich das schaffe, lässt sich das nicht mehr überbieten. Auf der letzten Runde habe ich die Fans gesehen, die aufgestanden sind, da habe ich nur noch gebetet: lass mich ins Ziel kommen. Keiner kann sich vorstellen, was da in mir vorging. Ich wollte nur noch, dass es endlich vorbei ist."

Das Wetter machte mit den Strategen was es wollte., Foto: Sutton
Das Wetter machte mit den Strategen was es wollte., Foto: Sutton

Eine Frage der Entscheidungen

Nach all der Kritik war der Silverstone GP für Lewis Hamilton eine Frage der Ehre. Aber eigentlich war es eine Frage der richtigen Entscheidungen. "Wenn es regnet, kann alles passieren - genau so kam es." Man muss kein zweifacher Formel 1-Weltmeister sein, um diese Weisheit zu durchschauen, doch Fernando Alonso traf damit in Silverstone den Nagel auf den Kopf.

Während die Fahrer über den Asphalt aquaplanten oder gleich ein halbes dutzendfach von der Strecke kreiselten, rauchten am Kommandostand die Köpfe. "Es war ein sehr spannendes Rennen für uns an der Boxenmauer", meinten Willy Rampf und Mario Theissen unisono. Der Reifenpoker verlangte den Superhirnen alles ab - und kein Albert² dieser F1-Welt konnte ihnen helfen. In Sekundenschnelle mussten Entscheidungen gefällt, wieder revidiert oder gänzlich verworfen werden.

Eine Frage schwirrte permanent durch die Gedanken der Verantwortlichen: "Welche Reifen sollen wann benutzt werden?" Die Entscheidung wird zur Hälfte vom Fahrer und zur Hälfte vom Team getragen. "Das Team erkennt auf dem Monitor wie die Wetterlage aussieht, der Fahrer weiß wie die Streckenbeschaffenheit ist", erklärte Christian Klien. Einfacher macht das die Wahl nicht: "Man hat zeitweise Unterschiede in den Rundenzeiten von bis zu zehn Sekunden zwischen den Fahrern gesehen - je nach Reifentyp", rechnete Theissen vor. "Es war also auch ein bisschen Glück dabei."

Die richtige Wahl

BMW Sauber hatte das Glück auf seiner Seite. "Wir hatten beim ersten Stopp überlegt, den gebrauchten Satz Intermediates draufzulassen", enthüllte Nick Heidfeld. Diese Idee verwarf das Team jedoch schnell wieder, da eine neue Wettervorhersage erneuten Regen vorhersagte. "Die Versuchung war groß, die gebrauchten Reifen drauf zu lassen, da diese auf abtrocknender Strecke schneller gewesen wären", verriet Rampf. Die Standhaftigkeit zahlte sich aus: der Wechsel von gebrauchten auf frische Intermediates bescherte Heidfeld den zweiten Platz. "Es war die absolut richtige Entscheidung", lobte Klien.

McLaren hatte einen guten Draht zum richtigen Reifen., Foto: Sutton
McLaren hatte einen guten Draht zum richtigen Reifen., Foto: Sutton

Auch McLaren lagen die gleichen Informationen vor, weshalb Lewis Hamilton neue Reifen aufgezogen bekam. "Das hat Ferrari nicht und das werden sie jetzt bedauern", feixte Martin Whitmarsh nach dem Rennen. Die zweite Reifenentscheidung des Rennens trafen die drei Top-Teams McLaren, BMW Sauber und Ferrari übereinstimmend: alle setzten sie im Schlussstint auf Intermediates statt Extremwetterreifen. "Wir wussten, dass wir 5-10 Minuten starken Regens durchstehen müssten", erinnerte sich Whitmarsh. "Es war riskant, auf Intermediates zu bleiben, weil du als Fahrer leicht abfliegen konntest", betonte Klien. "Aber auch diese Entscheidung entpuppte sich als richtig."

Denn Hamilton und Heidfeld kamen auf den Plätzen 1 und 2 ins Ziel. Hinter ihnen überquerte jedoch ein Pilot die Ziellinie, der zur Rennmitte auf Extremwetterreifen setzte. "Wir gingen nicht davon aus, dass sie so lange durchhalten würden", zeigte sich Whitmarsh überrascht, "aber das taten sie und sie waren die bessere Wahl." Sowohl McLaren als auch BMW Sauber hatten befürchtet, dass die extremen Regenreifen auf abtrocknender Strecke zu stark abbauen würden. "Denn wenn die Strecke abgetrocknet wäre, hätten wir die Reifen in den Highspeedkurven schnell zerstört", betonte Whitmarsh. Im Hinterfeld, wo Honda angesiedelt war, hätte man so ein Risiko eingehen können, aber an der Spitze mussten die Teams konservativ denken. So stieß Rubens Barrichello bis aufs Podium vor. Es war wohl der letzte Podestplatz in seiner F1-Karriere.

Die falsche Wahl

Nicht alle Teams bekamen es so gut hin wie McLaren und BMW Sauber. "Ich hatte überall Aquaplaning und verlor 15 Sekunden pro Runde", klagte Jarno Trulli, der sich etwas mehr Risiko bei der Reifenwahl gewünscht hätte. "Wir hätten es riskieren sollen, auf die Extreme Wets zu setzen, aber als es daran ging, die Entscheidung zu treffen, wussten wir, dass es nicht mehr regnen würde." So konnte er aus seinem zwischenzeitlichen 3. Platz kein Kapital schlagen.

Auch sein Teamkollege Timo Glock klagte über die Reifenwahl. "Als der Regen kam, war es für mich unmöglich, das Auto auf der Strecke zu halten", so Glock. "Deshalb ärgere ich mich etwas, dass ich am Anfang nicht auf mein Bauchgefühl gehört und beim ersten Regenguss auf Heavy Wets gewechselt habe." Manchmal fällt eben der Bauch die besseren Entscheidungen als die Gehirnakrobaten und Supercomputer in der Box.

"Es gab Momente, in denen man die richtigen Reifen hatte, und andere Momente, in denen man die falschen Reifen hatte", fasste Fernando Alonso das Entscheidungschaos zusammen. Manche Entscheidungen holten die Fahrer auch erst später ein und sorgten so für eine unerwartete Wendung. So konnte Alonso in den Schlussrunden seinen Verfolgern Kovalainen und Räikkönen nichts entgegensetzen. Er hatte früh gestoppt, um seine falsche Reifenwahl zu revidieren und dabei so viel Sprit mitgenommen, um bis zum Ende durchzufahren. "Dadurch waren meine Reifen zum Schluss komplett kaputt." Die beiden Finnen gingen vorbei.

Die völlig falsche Wahl

Hier verliert Kimi Räikkönen einen möglichen Sieg., Foto: Bridgestone
Hier verliert Kimi Räikkönen einen möglichen Sieg., Foto: Bridgestone

Komplett daneben lag Ferrari mit seinen Entscheidungen beim ersten Boxenstopp. Die Roten wechselten bei keinem ihrer Autos die abgefahrenen Intermediates und fielen daraufhin bei einsetzendem Regen von Runde zu Runde immer weiter zurück - sofern dies bei Massa angesichts eines dutzend Drehers überhaupt noch möglich war. "Ferrari war die Pleite des Tages", schimpfte Niki Lauda. "Sie hätten die Reifen wechseln müssen, das wäre ganz einfach gewesen. Es war ein absoluter Teamfehler, aber Alonsos Team war genauso deppert."

Die Verteidigung der Roten war schwach, aber ehrlich: "Wir hatten ehrlich gesagt keinen Regen erwartet", sagte Kimi Räikkönen. Also habe man die alten Reifen draufgelassen, da dies ohne weiteren Regen die bessere Wahl gewesen wäre. "Dieser Fehler hat uns das Rennen gekostet." Schuldzuweisungen machte Räikkönen nicht. "Wir treffen die Entscheidungen gemeinsam und oft stimmen sie auch. Heute war das leider nicht der Fall."

Teamchef Stefano Domenicali musste sich trotzdem harsche Kritik gefallen lassen. Neben der fehlenden Regenvorhersage des italienischen Wetterfrosches führte er die guten Rundenzeiten anderer Fahrer auf gebrauchten Reifen als Begründung an. "Aber rückblickend war das natürlich die falsche Entscheidung." Jetzt müsse man darüber nachdenken, wie man solche Fehler in Zukunft vermeiden könne. "Wir hätten das Rennen gewinnen können, wenn wir nicht den Fehler bei Kimi gemacht hätten. Aber die Formel 1 ist keine exakte Wissenschaft, manchmal gehen strategische Entscheidungen auf und manchmal eben nicht."