Es war so sicher wie das Amen im Gebet: Die Formel 1 kommt von den neuen, modernen High-Tech-Strecken in Asien, von Singapur, Fuji und Shanghai, nach Interlagos - und schon geht an allen Ecken das Gemecker los. Über die halt nicht mehr allzu neue Infrastruktur, gewisse Mängel im Pressezentrum, an denen sich seit Jahren nichts ändert, in diesem Jahr auch über unverschämte Internet-Preise...

Mag alles sein, und gewisse Dinge machen es selbst jemandem, der dieses Land, diese Stadt eigentlich wirklich mag, auch zeitweise hier gewohnt hat, ein bisschen schwer, alles zu lieben, was die Brasilianer da so an Organisation oder manchmal halt eher typischer Nicht-Organisation inszenieren. Aber dafür hat die Formel 1 hier ein anderes, kaum aufzuwiegendes Privileg: Sie kommt in eine Stadt, die sie wieder lebt und liebt.

Alle woollen ein Foto mit Massa., Foto: Sutton
Alle woollen ein Foto mit Massa., Foto: Sutton

Dadurch, dass mit Felipe Massa zum ersten Mal seit 17 Jahren, seit Ayrton Senna, wieder ein Brasilianer die Chance hat, Weltmeister zu werden, sind die extremen Emotionen wieder da, die viele Jahre lang, eigentlich seit Sennas Tod 1994, ein bisschen fehlten, in dieser Stadt, die ihr verlorenes Idol mit einer nach ihm benannten Straße und einem eigenen Tunnel mit Denkmal ehrt...

Da ist wieder das große Interesse da, auch bei denen, die sich die Tickets, die inzwischen für Schwarzmarktpreise bis zu 3.500 Dollar gehandelt werden, nicht leisten können. Vom Taxifahrer bis zum Zeitungsverkäufer, jeder redet über das Rennen am Sonntag, hofft, "dass es nicht regnet, weil das schlecht für Felipe wäre", wartet sehnlichst auf das kleine Wunder, dass Massa doch noch den Titel holen könnte. Und auch wenn die Chancen rein rechnerisch nicht so toll sind - es gibt ja immer noch das alte Motto "Deus e Brasileiro", Gott ist Brasilianer - vielleicht hilft das ja...

Oder es hilft die "Glücksunterhose" - eine Story, die schon seit Tagen durch die brasilianischen Medien geht und die Massa immer wieder mit lausbübischem Grinsen erzählt. Seit seinem ersten Sieg in Istanbul 2006 trägt er bei allen Qualifyings und Rennen immer dieses gleiche Teil, das ihm damals Glück brachte. "Wenn sie mir am Sonntag zum WM-Titel verhilft, dann schicke ich sie aber vielleicht in Rente, sie hat es verdient, sie ist schon so alt..."

Die Rennanzüge werden bei Ferrari hin und wieder auch mal gewaschen..., Foto: Sutton
Die Rennanzüge werden bei Ferrari hin und wieder auch mal gewaschen..., Foto: Sutton

Ab und zu werden die Schlüpferstories dann auch noch richtig schlüpfrig, wenn etwa ein vorwitziger Reporter wissen will, wer denn dafür zuständig sei, das wertvolle Teil zwischen Samstag und Sonntag zu waschen - seine Frau Raffaela etwa? Da schaut er dann ein bisschen amüsiert-pikiert und fragt zurück: "Wollen sie mir vielleicht weismachen, dass sie nicht manchmal zwei Tage hintereinander die gleiche Unterhose tragen?"

Ansonsten ist es bemerkenswert, mit welcher Gelassenheit Felipe mit dem Hype um sich umgeht. Bei seinem Abgang von einem Auftritt auf dem Ferrari-Stand auf dem Automobilsalon in Sao Paulo stürzte eine Horde Fotografen und Kameraleute - vor allem die vom Warten frustrierten, die vorher keinen Zugang zur angekündigten Interviewrunde erhielten, auf ihn los, während er zusammen mit dem brasilianischen Ferrari-Repräsentanten und Pressechef Luca Colajanni von fünf oder sechs Bodyguards umringt zum am entgegen gesetzten Ende der Halle gelegenen Ausgang der Halle gebracht wurde, wo ein schwarzer Maserati wartete.

Werbetafeln flogen, Stellwände hatten angesichts der wilden Truppe, die da durch die Gänge jagt, keine Chance, stehen zubleiben - aber mitten im Trubel blieb der kleine Massa, der in solchen Momenten immer noch wie ein verschmitzter Schulbub aussieht, ganz locker, dreht sich nur kurz mal um, um zu sehen, wo denn nun der neue Krach wieder herkäme - und grinst amüsiert: Diesmal hatten rückwärts laufende Fotografen zwei große Metallpapierkörbe umgeworfen...

Auch alte Kollegen wünschen ihm Glück., Foto: Sutton
Auch alte Kollegen wünschen ihm Glück., Foto: Sutton

Die einzigen Momente, wo er ab und zu sichtbar ein bisschen verkrampft, sind die, in denen man ihm zu viel Historie aufbürden will. Wenn er etwa durch eine Frage nach seinen Kindheitserinnerungen an den letzten WM-Titel von Ayrton Senna 1991 wieder darauf gestoßen wird, dass er es ja nur sein soll, der die große brasilianische Formel-1-Tradition fortsetzten soll. Da schleicht sich dann doch ein Zug der Anspannung in die Gesichtszüge des 27-Jährigen - das historische Erbe, das ist offensichtlich schon eine Belastung, die er nicht so ganz beiseite schieben kann, gerade hier zu Hause, wo er ständig damit konfrontiert wird...

Denn auch wenn es heute zumindest teilweise eine neue Generation von Fans ist, die nicht mehr vor allem den alten Zeiten der Helden Emerson Fittipaldi, Nelson Piquet und natürlich vor allem Ayrton Senna anhängt und nachtrauert, sondern sich wirklich voll und ganz für ihren Helden Massa begeistern kann: In den Medien und bei den Älteren spielen die historischen Bezüge schon noch eine große Rolle. Da flimmern immer wieder die Bilder von Sennas Brasilien-Siegen und WM-Titeln über die Bildschirme - wird darauf hingewiesen, dass es am 30. Oktober genau 20 Jahre sind seit seinem ersten Titel 1988... TV Globo, der mit Abstand größte und bedeutendste Fernsehsender des Landes, liebt es sogar ganz melodramatisch: Man zeichnet Anmoderationen für die Vorberichterstattung zum Grand Prix an Sennas Grab auf dem Friedhof von Morumbi auf...