Beginnen wir aus aktuellem Anlass mal mit einem Akt der Fairness gegenüber den besten Rennfahrern der Welt. Denn David Coulthard hat zum Ende seiner Karriere so richtig tief Luft geholt und in seiner Zeitungskolumne seinen Kollegen aus der Seele gesprochen: Fans und Journalisten sind sehr schnell im Urteilen über einen Fahrer. Kracht einer in die Leitplanke, dann ist er gleich der Depp, der nicht fahren kann, besoffen war, nicht fit genug ist und so weiter.

Insofern gebe ich David zu 100% recht, wenn er zu fairer Behandlung durch selbsternannte Experten aufruft. Nur der Fahrer selbst weiß, was genau einen Zwischenfall verursacht hat. Die Gründe dafür sind manchmal technisch so kompliziert, dass wir alle sie kaum aussprechen, geschweige denn verstehen können. Oder kann irgendjemand wirklich genau abschätzen, wie eine volle Tankladung das Fahrverhalten über die Buckel von Singapur verändert und wie ein plötzlich drehender Wind den Bremspunkt vor der Kurve verändert?

Das direkte Duell der Titelkandidaten endete mit Strafen., Foto: Sutton
Das direkte Duell der Titelkandidaten endete mit Strafen., Foto: Sutton

Als Spitzensportler mit Spitzengehalt muss sich der Formel 1-Fahrer aber auch der Kritik stellen. Faire Kritik heißt aber, den Piloten über einen Zeitraum zu beurteilen. Einen Stürmer beim Fußball verdammt man ja auch nicht gleich, wenn er den Ball einmal übers Tor drischt. Solange er seine Tore macht. Und deswegen erlaube ich mir heute die Aussage: Im Rückblick über die ganze Saison ist weder Felipe Massa noch Lewis Hamilton ein Champion großen Stils. Dabei denke ich an die Überlegenheit, mit der ein Schumacher, Senna oder Prost ihre Titel eingefahren haben. Sogar die Sternschnuppen wie Hill oder Villeneuve waren in ihrer WM-Saison deutlich fehlerfreier als die zwei Kontrahenten 2008.

"Ab sofort wird taktisch und ohne Risiko gefahren, um den Titel zu holen", hat Lewis Hamilton in Fuji verkündet. Und hat damit eine Rechtfertigung geliefert, warum er in Singapur fast ein halbes Rennen wie eine Oma hinter Nico Rosberg hinterher gezuckelt ist, nur um die Punkte ins Ziel zu bringen. An sich eine smarte Einstellung. Mit genau dieser Unbedachtheit hat man nämlich im Vorjahr Ferrari den Titel quasi auf dem Silbertablett überreicht. Ich finde übrigens, dass Lewis im Vorjahr den Titel eher verdient gehabt hätte als heuer. Denn im Vorjahr hat ihn das Team im Finale im Stich gelassen. Heuer ist er aber selbst verantwortlich.

Mittlerweile spricht ja sogar Norbert Haug offen davon, dass Lewis Fehler macht (und bei Norbert heißt das was...) Mit sechs Punkten Vorsprung und vier Plätze am Start vor Massa darf so ein Verbremser wie am Start in Fuji nicht passieren.

Hamiltons Nerven liegen blank

Hamilton macht Fehler., Foto: Sutton
Hamilton macht Fehler., Foto: Sutton

Die Nerven liegen bei Hamilton blank. Erstmals in seiner Karriere spürt er echten Gegenwind. Mit seinem rüden Fahrstil hat er mittlerweile mehr als das halbe Feld zum Feind. Das ist zwar auch eine Art Auszeichnung und die ganz Großen wurden auch immer gehasst. Aber an einem jungen Burschen wie Hamilton geht es nicht spurlos vorüber, wenn man bei Charlie Whiting im Fahrerbriefing sitzt und alle Kollegen über einen herfallen. Die innere Ausgeglichenheit kann so etwas sehr beeinträchtigen.

Manche Fahrer brauchen besonders viel Liebe. Respekt wäre das politisch noch korrektere Wort. Wenn sie von den Kollegen öffentlich angegriffen werden, dann kompensieren sie mit noch mehr Verbissenheit. Es ist nur eine Ferndiagnose, aber darunter scheint Hamilton zu leiden. 2007 wusste er im Kampf gegen den Feind Alonso im eigenen Team die ganze Truppe dreifach motiviert hinter sich. Heuer muss er "delivern", denn Heikki Kovalainen gibt die perfekte Nummer 2. Dazu kommt die ewige Unsicherheit, ob die FIA nicht doch wieder irgendwas findet, um Lewis ein paar Punkte zu klauen. So etwas zermürbt auch gewaltig.

Massas legendäre Formschwankungen

Robert Kubica: der lachende Dritte?, Foto: Sutton
Robert Kubica: der lachende Dritte?, Foto: Sutton

Wenn man mit Lewis ins Gericht geht, dann muss man es auch mit Felipe Massa. Seine Formschwankungen sind einfach legendär. Vom Pirouetten-König von Silverstone zum Schumi-ähnlichen Dominator an anderen Tagen ist da alles drin. Echte Champions sehen anders aus. Und sowohl in Singapur als auch in Fuji war da wenig mit Schumi. Aber auch seine Formkrise ist hausgemacht. Felipe wird nicht müde, drauf hinzuweisen, dass er - und nur er - es war, der 2007 seinen Teamkollegen mit mannschaftsdienlichen Rennen zum Weltmeister machte. Kimis Replik kennen wir: "Er muss selbst schauen, wie er Weltmeister wird. Ich kann ihm da nicht helfen", lautet die Essenz.

Dabei scheinen im Moment wirklich alle anderen zusammen zu spielen, um Massa doch noch zum Champion zu machen: Alonso hat sich ja sogar mehrfach als Edeldomestik angeboten. Und die FIA (bei aller Fairness) genau so. Die Strafe gegen Bourdais ist meines Erachtens der größte Witz des Jahres. Und bei den beiden Durchfahrstrafen von Lewis und Felipe hatten die Kommissäre wohl ihre Brille verlegt. Wie ein Falschparker und ein Bankräuber beide die gleiche Strafe erhalten. Ich versteh's immer weniger.

Die nackten Zahlen sprechen ohnehin eine deutliche Sprache: Im Vorjahr konnte man mit 108 WM-Punkten WM-Dritter werden! Keiner der zwei WM-Kandidaten wird heuer auf diese Punktezahl kommen. Das spricht aber auch für die neue Formel 1. Die fehlende Traktionskontrolle, die Einheits-Elektronik hat alles viel ausgeglichener gemacht. Und das ist ein toller Schritt. Und vielleicht hat ja am Ende einer die Nase vorne, der viel weniger Fehler als Hamilton und Massa gemacht hat: Robert Kubica. Möglich wär's ja. Und gar nicht mal unverdient. Ich würde mich jedenfalls kaputt lachen.