Ich musste nach dem tollen Singapur-Grand Prix schon ein wenig schmunzeln, als von den drei großen Teams wieder kritische Töne betreffend des Safety Cars kamen. Ja, weder Ferrari noch McLaren oder BMW haben diesmal groß davon profitiert. Aber was soll Nico Rosberg sagen, der auch mit leerem Tank reinkommen musste und dafür eine Stop & Go kassierte und am Ende trotzdem Zweiter wurde? Oder Fernando Alonso, der das Rennen schon so gut wie sicher in der Tasche hatte? Und 10 Runden vor Schluss klebte ihm die ganze Meute wieder am Getriebe.

Wenn man mal die Teambrille ablegt und ein wenig den Blick über den Tellerrand hinaus wirft, dann fällt auf: Die Jubelmeldungen über "Sensationsrennen" oder "Sternstunden" gehen fast immer mit dem Einsatz des Safety Cars Hand in Hand - Sebastian Vettels Monza-Sieg mal rühmlich ausgenommen.

Safety-Car-Sternstunden

Achtung SC: danach wird es spannend., Foto: Sutton
Achtung SC: danach wird es spannend., Foto: Sutton

Rekapitulieren wir doch mal kurz, was wir da so alles in den letzten Jahren erlebt haben: Sutil wird von Räikkönen in Monaco eines vierten Platzes beraubt. Montoya kracht ebendort hinter dem Safety Car in Michael Schumacher. Markus Winkelhock führt in Deutschland in einem Spyker. Hamilton gewinnt sein erstes Rennen in Kanada, Wurz wird im Williams Dritter. Kubica gewinnt sein erstes Rennen in Kanada. Montoya und Massa werden jeweils in Montreal disqualifiziert, weil sie bei Rot aus der Box fahren. Räikkönen tut's nicht, wird aber dafür von Hamilton als Prellbock benützt. Nelsinho Piquet fährt in Hockenheim wie durch ein Wunder aufs Podium. Alonso und Rosberg feiern in Singapur Auferstehung, während Massa die halbe Tankanlage mitreißt. Und und und...

Mit einem Wort: Das Safety Car hat uns Momente beschert, an die sich jeder Formel-1-Fan ein Leben lang erinnern wird. Es treibt die Protagonisten aus ihrer millionenfach einstudierten Routine. Sie müssen raus aus der "comfort zone", alle, nicht nur die Fahrer. Die Mechaniker, die Strategen gehen alle plötzlich auf dünnem Eis. Und ersparen uns damit einen weiteren klinisch sauberen Schnarch-Grand Prix. Keine Sportart darf das Interesse ihres Publikums vernachlässigen. Und ich bin mir sicher, Bernie Ecclestone sitzt bei jedem Einsatz von Bernd Mayländer in seinem noblen Motorhome und lacht sich ins Fäustchen. Genau das benötigt die Formel 1.

Her mit Promi-SC-Fahrern

Warum nicht Ex-F1-Fahrer am Steuer?, Foto: Mercedes
Warum nicht Ex-F1-Fahrer am Steuer?, Foto: Mercedes

Auch die Diskussionen, ob die neuen Regeln mit der geschlossenen Boxengasse fair sind oder nicht. Ich finde das großartig. Ist doch tausend mal besser, bei einem kühlen Getränk über dieses unfassbare Pech zu diskutieren, das einem grad da der Tank leer war als über die spärlichen Momente, in denen ich in Valencia aus dem Schlaf erwachen durfte. Andere Sportarten haben ihr Regulativ noch wesentlich weiter auf das Publikum abgestimmt. In den USA holt man das Safety Car schon gerne mal raus, weil in Kurve 4 eine Maus die Strecke überquert hat. Jeder Zuseher hat dafür Verständnis. Hauptsache, spannend bleibt's! Beim Basketball hat man irgendwann sogar von zwei Hälften auf 4 Viertel umgestellt, damit mehr Action ist (und so nebenbei das Fernsehen die Werbung besser unterbringen kann).

In europäischen Rennsport hat sich das Safety Car noch nicht im Denken etabliert. Es gilt immer noch als etwas Unpassendes, das eigentlich nicht dazu gehört. Es gibt keine offizielle Statistik über Safety-Car-Einsätze, keine Promi-Safety-Car-Fahrer (Bernd, Du verzeihst...). In Indianapolis fahren da schon gerne mal Oscar-Preisträger, ehemalige Champions oder Legenden anderer Sportarten. Ich weiß schon. Immer links rum ist einfacher, als im Regen mit 200 durch die Eau Rouge. Ist ja nur eine Idee. Könnte nicht Herr Fittipaldi in Brasilien fahren? Bei den Indycars tut er's ja auch. Oder Mario Andretti? Oder hätte ein uns bekannter Herr aus Kerpen nicht mal Lust, wieder ein Rennen anzuführen?

Ungerecht, aber spannend

Markus Winkelhock schenkte Spyker die einzigen Führungsrunden., Foto: Sutton
Markus Winkelhock schenkte Spyker die einzigen Führungsrunden., Foto: Sutton

Die derzeitige Safety Car-Regel ist in der Tat ungerecht. Aber das sind andere Regeln auch, bei denen der Zufall Regie führt. Wie der Wind beim Skispringen. Oder die zugelosten Reifensätze in Einheitsformeln. Oder die Startnummern-Auslosung beim Skifahren. Die Teams könnten die Regel übrigens jederzeit ändern. Wenn sie sich nur alle einig wären. Zum Glück sind die kleinen Teams da tendenziell dagegen, weil sie genau darin ihre Chance sehen. Und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass die Stewards in Singapur ohnehin leicht korrigierend eingegriffen haben, als sie die Stop & Go gegen Rosberg und Kubica mit deutlicher Verspätung ausgesprochen haben. Bis dahin war Nico an der Spitze schon wieder über alle Berge und der Nachteil eher vernachlässigbar.

Und wenn die Herren Montezemolo, Whitmarsh oder Theissen die heutigen Safety-Car-Einsätze für wettbewerbsverzerrend halten, dann empfehle ich einen Blick ins Geschichtsbuch. 1973 wurde erstmals ein Safety Car eingesetzt - Großer Preis von Kanada in Mosport. Das Auto war eine fürchterlich liegende Schüssel, der Fahrer und die Rennleitung maßlos überfordert. So ordnete sich das Safety Car passenderweise nicht vor dem Führenden ein, sondern vor Howden Ganley, der auf Rang 5 lag. Ich habe ihn vor einigen Jahren in Silverstone darauf angesprochen. Er ist heute noch überzeugt, dass keiner wirklich sagen kann, ob Peter Revson damals tatsächlich der Sieger war. Bei der Siegerehrung wollten nämlich gleich fünf Fahrer aufs Podest. Die Zeiten haben sich seit damals zum Glück geändert. Die Sternstunde von Mosport 1973 hat die Jahrzehnte aber überdauert.