Niki Lauda hat wohl den meisten Formel 1-Fans aus dem Herzen gesprochen, als er nach der Hamilton-Strafe in Spa meinte, es sei die schlimmste Entscheidung der Formel 1-Geschichte gewesen. Die Medien - mit Ausnahme ausgewählter Blätter und Sender in Italien - hatten ebenso nur Spott und Hohn für die 25 Sekunden-Strafe über. Die generelle Meinung im Fahrerlager war ähnlich: "Spinnen die jetzt total?" oder "Mann, so ein tolles Rennen und dann so eine Provinzposse!" waren noch die höflicheren Meldungen. Persönlich versuche ich in solchen Fällen immer herauszufiltern, wie viel durch die erste Emotion oder durch übertriebene Parteilichkeit rausposaunt wird. Und wie viel Substanz am Ende überbleibt.

Mit der Flasche fiel auch der Sieg zu Boden., Foto: Sutton
Mit der Flasche fiel auch der Sieg zu Boden., Foto: Sutton

Der Protest kommt ins Rollen

Niki Lauda sagt, was er denkt. Dafür wird er auch recht gut bezahlt. Dass er ein Mercedes-Naheverhältnis hat, braucht nicht extra erwähnt zu werden. Dass die Presse traditionell Ferrari-feindlicher ist als die breite Öffentlichkeit hat ebenso seine Gründe (die Italiener natürlich wieder ausgenommen). Tatsache ist, Charlie Whiting, enger Vertrauter von Max Mosley hat den Fall mit einem Race Report an die Kommissare ins Rollen gebracht.

Auf dem Papier eine Standardprozedur, wie sie in der Mehrzahl der Rennen vorkommt. Ein Belgier, ein Franzose und ein Tansanier haben dann die Axt über Hamilton geschwungen. Nun soll man Funktionäre nicht alleine wegen ihrer Nationalität aburteilen. Unter den FIA-Stewards habe ich schon brillante Köpfe kennen gelernt. Ich frage mich nur, warum man in so einem Business da nicht die Besten der Besten einsetzt, um den alljährlichen GAU zu vermeiden.

Das "Vergehen"

Was hat sich Hamilton zu Schulden kommen lassen? Ich versuche wieder, nur auf Basis der Fakten zusammenzufassen: Es beginnt zu regnen, Hamilton ist so schnell, dass er pro Runde über eine Sekunde auf Räikkönen gut machen kann. In der Bus-Stop-Schikane kürzt er ab, um nicht in den Finnen rein zu krachen. Er lässt sich zurück fallen. Laut Telemetrie ist er auf der Ziellinie um 6.7 km/h langsamer als Kimi. Damit sollte eigentlich alles erledigt sein.

Hamilton wurde der Sieg aberkannt., Foto: Sutton
Hamilton wurde der Sieg aberkannt., Foto: Sutton

Das eigentliche Vergehen - die Attacke in La Source. Weil Räikkönen mit Reifenproblemen ganz offensichtlich chancenlos ist, geht Lewis auf der letzten Rille vorbei und führt. Er hätte gerne auch noch zwei Kurven warten können. Jedes Kind konnte sehen, dass der McLaren bei dem Wetter haushoch überlegen war. Und es war ja nicht gerade so, dass er den Ferrari mit einem Rammstoß ins Out befördert hätte. Die nachfolgende Strafe treibt Hunderttausenden Fans weltweit die Zornesröte ins Gesicht.

Die Profiteure

Wer profitiert von dem ganzen Theater? Zum einen Ferrari. Doch diesmal waren die Roten eigentlich schuldlos. Sie haben gar nicht protestiert. Charlie Whiting war schneller. War das vorauseilender Gehorsam? Wollten sich die drei Kommissäre ein Denkmal bauen? Auch das halte ich nicht für ausgeschlossen. Ist ja eigentlich ein undankbarer Job. Da fliegt man um die halbe Welt zu einem Rennen und alles was man dafür bekommt sind ein paar Geschwindigkeitsübertretungen in der Boxengasse. Die spielen zwar locker das Geld für das First Class-Ticket wieder herein, aber zu erzählen hat man daheim trotzdem nix.

Oder kommt der FIA der neue Skandal gerade gelegen? Max Mosley soll an diesem Wochenende ja in Monza auftauchen. Ganz unangenehm dürfte es ihm nicht sein, jetzt zu so einem heißen sportlichen Thema Stellung nehmen zu müssen, statt zu anderen heißen Themen. Letztendlich profitiert auch die Formel 1 davon. Noch fünf Rennen und nur zwei Punkte Unterschied. Klingt doch gleich viel besser als ein Hamilton, der in der Ferne entschwindet.

Da konnte sich Felipe noch nicht für den Sieg bedanken., Foto: Sutton
Da konnte sich Felipe noch nicht für den Sieg bedanken., Foto: Sutton

Schnelle Lösung?

Als Fachjournalist muss man weitgehend objektiv sein können. Aber man darf seine Meinung sagen. Das ist das Tolle an dem Job. Mir persönlich kommt es schon ein wenig komisch vor, dass auf ein Team immer mit dem Vorschlaghammer drauf gehauen wird, während andere mit Samthandschuhen angefasst werden. Oder hat noch jemand in Erinnerung, dass bei Renault am Jahresende 2007 ein Spionageskandal aufflog, der zigmal größere Ausmaße hatte als der bei den Silbernen. Oder dass Ferrari nach der Boxenaktion von Valencia mit einer Strafe in homöopathischer Dosis davonkam. Ich frage mich: Hätte die FIA auch so entschieden, wenn Felipe Massa in Spa die Schikane abgekürzt hätte?

Ich habe es mittlerweile aufgegeben, meinen Freunden und Bekannten die FIA-Entscheidungen im Vergleich zu erklären. Ich verstehe sie selbst meist nicht. Spa verstehe ich gar nicht. Tut mir leid. Egal wer da im Cockpit saß. Ich hätte auch Kimi Räikkönen den Sieg wahnsinnig gegönnt. Es war seine letzte Chance. Ich hoffe nur, dass der McLaren-Einspruch schnell und transparent behandelt wird. Das wäre die FIA den Formel 1-Fans schuldig. Ich fürchte aber, der einfache Fan ist dem Motorsportverband egal. Vielleicht kommt es auch daher, dass es das Wort "Fingerspitzengefühl" in dieser Form im Englischen einfach nicht gibt...