Die Reaktionen auf die Bestrafung von Lewis Hamilton beim Grand Prix von Belgien ließen an Klarheit nichts zu wünschen übrig: Praktisch alle Experten mit eigener Rennerfahrung, die den Vorfall auch aus Cockpitsicht nachvollziehen können, sprechen von einer absoluten Fehlentscheidung. Ob der dreimalige Weltmeister Niki Lauda, der ein "blitzsauberes Manöver von Hamilton" sah, für das es nie eine Strafe hätte geben dürfen, ob BMW-Sauber-Testfahrer Christian Klien, der nach mehrmaligem Video-Studium befand, "absolut alles in Ordnung", oder ob RTL-Experte Christian Danner, der "entsetzt" war über diese krasse "Fehlentscheidung".

Sportkommissare gegen Ex-Fahrer

Nur die FIA-Sportkommissare, die Herren Nicolas Deschaux aus Frankreich, Surinder Thatti aus Kenia und Yves Bacquelaine aus Belgien, Funktionäre, die davon, was sich im Cockpit eines Formel-1-Autos wirklich abspielt, keine Ahnung haben, sahen es anders. Sie folgten praktisch in jedem Punkt der Ferrari-Argumentation, Hamilton hätte, wäre er die Schikane "normal" gefahren, weitaus weniger Chancen gehabt, Räikkönen in der folgenden Haarnadel zu überholen, er hätte sich danach also noch weiter zurückfallen lassen müssen.

Was zum Beispiel Christian Danner für Blödsinn hält - nicht nur, weil das Regelbuch ja überhaupt nichts über irgendwelche vorgeschriebenen Abstände sagt. Er gibt auch zu bedenken: "Lewis hat Kimi in der Schikane schon angegriffen, der hat ihn abgedrängt, dadurch ist Lewis doch überhaupt erst geradeaus gefahren. Ein normaler Zweikampf, spektakulär, klasse... Solche Situationen hatten wir doch schon öfters, und wenn der Betreffende den anderen dann wieder vorgelassen hat, war es immer okay."

Die Daten, die McLaren-Mercedes auch den Rennkommissaren der FIA zugänglich machte, zeigen, so erklärt das Team, "dass Lewis vom Gas gegangen und 6 km/h langsamer als Kimi war, als sie die Start- und Ziellinie überquerten. Nachdem er die Führung an Kimi zurückgegeben hatte, positionierte Lewis sein Auto neu, fuhr herüber und hinter Kimi auf die rechte Seite und bremste ihn dann auf dem Weg in die Haarnadelkurve aus." Womöglich habe Räikkönen da einfach nicht mit einem neuen sofortigen Angriff gerechnet, glaubt Danner - "aber das ist ja nun nicht Lewis' Problem..."

Zwei Erklärungsversuche

Hamilton gegen Räikkönen: die Zuschauer waren vom Duell begeistert., Foto: Sutton
Hamilton gegen Räikkönen: die Zuschauer waren vom Duell begeistert., Foto: Sutton

Eigentlich, so die Meinung im Formel-1-Fahrerlager, gibt es nur zwei mögliche Ursachen für dieses Urteil: Denen, die schon immer daran glaubten, dass es von Seiten der FIA eine grundsätzliche "Lex Ferrari" gebe, vor allem, wenn der betroffene Konkurrent der Roten McLaren-Mercedes heißt, spielt dieses Urteil natürlich in die Hände, sie fühlen sich in ihrer Ansicht wieder einmal voll bestätigt. Dass den Sportkommissaren seit diesem Jahr grundsätzlich der persönliche Assistent von FIA-Präsident Max Mosley, Alan Donelly, als Oberaufseher vor Ort zur Seite gestellt wurde, und, so hört man immer wieder, bei den meisten Anhörungen und Diskussionen auch der Wortführer sei, trägt auch nicht gerade dazu bei, den Verdacht zu entkräften...

Der zweite mögliche Grund wäre auch nicht viel besser: Völlige Inkompetenz der Verantwortlichen, Unvermögen, Rennsituationen realistisch einzuschätzen, konstant und vielleicht manchmal auch mit ein bisschen Fingerspitzengefühl zu entscheiden. Schließlich war es nicht die erste Fehlentscheidung an diesem Wochenende in Spa, die andere vom Samstag schlug nur nicht so große Wellen, weil sie "nur" in der Nachwuchsklasse, der GP2, passierte.

Noch eine Fehlentscheidung in Spa

Vor zwei Wochen in Valencia war Ferrari-Pilot Felipe Massa für ein "unsicheres Herausfahren" aus der Boxengasse - nach Ansicht der meisten richtigerweise - nicht bestraft worden, weil er noch zurückgezogen und keinen Vorteil gehabt hatte, außerdem muss sich der Fahrer in solchen Situationen auf seine Boxenmannschaft verlassen. Nur das Team zahlte damals 10.000 Euro.

In der GP2-Serie bekam jetzt in Spa Titelkandidat Bruno Senna für exakt das gleiche Vergehen eine Boxendurchfahrtsstrafe - Sieg und zehn Punkte weg, Meisterschaftschancen fast dahin. Schon danach hatten Ex-Fahrer wie Patrick Tambay oder der Schweizer Marc Surer nur den Kopf geschüttelt und die Frage wieder aufgebracht, ob nicht unbedingt ehemalige Piloten in die Entscheidungsgremien gehörten. Selbst FIA-Insider und Mitarbeiter, die die Praxisseite besser kennen, sind ja mit dem, was dort passiert, nicht immer einverstanden - auch wenn sie das aus verständlichen Gründen nie laut gesagt haben wollen.

Eines ist jedenfalls sicher: Urteile wie das im Fall Hamilton schaden in erster Linie der Formel 1. Nicht nur, weil ein tolles Rennen mit einer spektakulären Schlussphase jetzt wieder völlig von politischen Diskussionen überschattet wird. Sondern auch, so Danner, "weil das doch dazu führt, dass kein Fahrer in Zukunft mehr wagt, irgendeinen Überholversuch zu starten. Dann wird doch nur hintereinander hergefahren - und die Zuschauer langweilen sich."