"Willkommen in der Welt der Sieger."

Wie schnell sich die Formel 1-Welt verämdert. Vierzehn Tage vor dem Großen Preis von Ungarn bekam Heikki Kovalainen einen Funkspruch, der auch ohne Aufforderung seine Wirkung erzielte: "Lewis ist viel schneller als du." Kovalainen machte, was ein guter Teamplayer und Teamkollege macht: er ließ Hamilton kampflos ziehen und ermöglichte ihm so den zweiten Sieg in Folge.

Wie schon in den Wochen und Monaten zuvor sangen die McLaren-Chefs von Dennis über Haug bis Whitmarsh danach Lobpreisungen auf Kovalainen. Er werde Rennen gewinnen, noch in dieser Saison und danach. Diesen Satz wiederholte Whitmarsh seit Saisonbeginn immer und immer wieder. Nicht als Durchhalteparolen, nicht als Schutz oder Aufmunterung für den eigenen Fahrer. Er war der festen Überzeugung, dass Kovalainen noch 2008 zum Rennsieger werden würde. Jetzt hat er es geschafft. "Willkommen in der Welt der Sieger."

Überfälliger Sieg

Mit diesem Funkspruch begrüßte das Team Heikki Kovalainen in einem illustren Club, dem nur 99 andere Menschen angehören, dem Club der GP-Sieger, in den Kovalainen als 100. Mitglied aufgenommen wurde. "Er hätte längst ein sehr gutes Resultat verdient gehabt", brachte Haug zum Ausdruck, was Kovalainen selbst dachte: es wurde Zeit. "Es gab in dieser Saison einige Zwischenfälle", so Kovalainen. "Ich war mehrmals am Samstag in der Position, um den Sieg zu fahren, aber immer ging etwas schief oder hat nicht perfekt funktioniert." Aber nicht dieses Mal.

So zerplatzten Massas Siegträume., Foto: Sutton
So zerplatzten Massas Siegträume., Foto: Sutton

"Nach der Hälfte des heutigen Grand Prix begann sich das Blatt für mich zu wenden", erinnert er sich an den Beginn dieses fantastischen, einzigartigen Moments, in dem er zum ersten Mal als GP-Sieger über die Ziellinie fuhr und später zum ersten Mal die finnische Nationalhymne in der Formel 1 hören durfte - für sich selbst. "Das war ein Moment, auf den ich seit so vielen Jahren hingearbeitet habe." Es soll nicht der letzte solche Moment gewesen sein. "Er wird noch mehr Rennen gewinnen, in diesem Jahr und in den Jahren danach", hat Whitmarsh sein Bekenntnis leicht adaptiert. Kovalainen komme viel selbstbewusster aus diesem Wochenende heraus, eben als Mitglied im Club der Sieger.

Grausamer Motorsport

Des einen Freud ist bekanntlich des anderen Leid. Selten war dieser Satz so zutreffend wie beim Ungarn GP 2008. Bis zur 41. Runde lag Kovalainen nur auf Rang 3. Dann ereilte seinen Teamkollegen ein Reifenschaden, Kovalainen hatte deswegen aber noch keinen Grund, vom Sieg zu träumen. Felipe Massa schien der sichere Sieger zu sein. Bis zwei Runden vor Rennende der Ferrari-Motor platzte.

"Das ist kein tolles Gefühl", sagte der frustrierte Brasilianer. "Wenn schon alles klar scheint, nur noch zwei Runden zu fahren sind und du dann etwas hörst und der Motor platzt, dann ist das ganz gewiss kein tolles Gefühl. Der Rennsport kann grausam sein."

Ausgerechnet die Konkurrenz findet Verständnis für Massas Situation. "Wir kennen solche Ausfälle aus der Vergangenheit, aber es ist nun mal die allerwichtigste Aufgabe, das Auto ins Ziel zu bringen", fühlte Norbert Haug mit. Ron Dennis fügte mit etwas mehr Genugtuung hinzu: "Eine der ältesten Regeln im Motorsport lautet: Um Erster zu werden, musst du zuerst ins Ziel kommen. Das klingt abgedroschen, ist aber wahr." Auch das wird Kovalainen bestätigen können.

Sensibler WM-Kampf

Bis dahin fuhr Massa aus der Sicht seines Teamchefs Stefano Domenicali das vielleicht beste Rennen seiner Karriere. Er zog mit einem aggressiven Start und einem "unglaublichen Manöver", wie Niki Lauda analysierte, noch vor der ersten Kurve an beiden McLaren vorbei und führte das Rennen an. "Ich hatte 23 Sekunden Vorsprung auf Heikki Kovalainen", fühlte sich Massa bereits vorzeitig als Sieger.

Massa setzte sich mit einem harten Manöver am Start durch., Foto: Sutton
Massa setzte sich mit einem harten Manöver am Start durch., Foto: Sutton

Für Lewis Hamilton war die Performance von Ferrari keine Überraschung. "Die Überraschung war aber, dass unsere Pace nicht so war, wie sie hätte sein sollen", sagte er. Kimi Räikkönen wollte keine Schlüsse auf das Kräfteverhältnis ziehen. "Es hängt davon ab, wer es an diesem Tag hinbekommt." Die Lage sei äußerst sensibel. "Wenn man das Setup, die Reifen oder das Fahren nicht perfekt hinbekommt, sind sofort drei oder vier Fahrer vor dir." Gewonnen und verloren ist aber noch nichts. "Auch Massa hat noch alle Chancen", sagt Marc Surer. Ihn trennen nur acht Punkte von Hamilton, Räikkönen hat sogar nur fünf Zähler Rückstand. Doch Lewis Hamilton war trotz seines Problems der eigentliche Gewinner von Ungarn: "Selbst wenn es schief läuft, muss man Punkte mitnehmen", betont Surer. "Das Punktesystem verlangt, dass man immer ins Ziel kommt."

Die 4 Fragezeichen

Warum ging Hamiltons Reifen kaputt?
Der Hungaroring ist eine harte Strecke für die Reifen. Doch bei Lewis Hamiltons Reifenschaden trugen weder die Belastungen noch der Fahrer die Schuld. Der Schaden habe sich nicht angekündigt. "Plötzlich wurde das Auto in Kurve eins auf der linken Seite instabil und ich dachte schon, ich hätte einen Fehler gemacht", berichtete Hamilton. "In der zweiten Kurve habe ich dann begriffen, was passiert war."

Bridgestone grübelte noch etwas länger über der Ursache. "Es muss etwas an der Schulter des Reifens eingedrungen sein", glaubte Norbert Haug. "Wir haben keine Trümmerteile in der Lauffläche entdecken können, aber es besteht die Möglichkeit eines Schnitts in der Seitenwand", verriet Bridgestone-Direktor Hirohide Hamashima. Ein Abnutzungsproblem wie in der Türkei 2007 und 2008 hielt Hamashima für ausgeschlossen. Haug ging sogar soweit zu sagen: "Ohne den Reifenschaden wäre er der Sieger gewesen, aber es ist sehr gut, wenn der Teamkollege dann da ist."

Warum war Räikkönen plötzlich so weit hinter Glock?
Kimi Räikkönen war in den letzten zehn Runden teilweise eine Sekunde schneller unterwegs als Timo Glock vor ihm. Kaum hatte Felipe Massa seinen Motorschaden, war auch Räikkönen aus dem Getriebe von Glock verschwunden. Eine Sicherheitsmaßnahme, um das Auto in den letzten zwei Runden ins Ziel zu retten? Teamchef Stefano Domenicali dementierte: Räikkönen habe ein mechanisches Problem am Heck gehabt, höchstwahrscheinlich meinte er damit ein Aufhängungsproblem. Eine Vorsichtsmaßnahme wegen des Motorschadens von Massa erschien ohnehin unwahrscheinlich: Massas Motor war in den letzten Zügen der zweiten GP-Distanz, Räikkönen hatte in Ungarn einen neuen Motor im Auto.

Der 100. Grand Prix-Sieger., Foto: Sutton
Der 100. Grand Prix-Sieger., Foto: Sutton

Was war mit den Tankanlagen los?
Gleich bei vier Teams gab es Probleme mit der Tankanlage, die schlimmsten bei Toro Rosso: "Nach dem ersten Stopp war alles beim Teufel", beschwerte sich Sebastien Bourdais. Gleich zweimal fing sein Auto beim Betanken Feuer, auch Sebastian Vettel hatte ein Tankproblem, allerdings ohne Feuer. Bourdais hatte nach den Einsätzen der Feuerlöscher Löschschaum innen und außen auf seinem Visier und musste einen dritten Sicherheitsstopp zum Säubern einlegen.

Auch bei Kazuki Nakajima und Rubens Barrichello schlugen Flammen hoch. Zumindest Honda beschwichtigte: der Tankstutzen habe nicht richtig gesessen, ein halber Liter Benzin lief aus und entzündete sich, verriet Nick Fry. "Es wird aber interessant sein, zu erfahren, was bei den anderen Autos passiert ist. Denn es ist ungewöhnlich, dass es so viele Feuer gibt." John Howett glaubt, dass es an den hohen Temperaturen gelegen haben könnte.

Was war los mit BMW Sauber?
"Wir waren sehr langsam, und ich hatte Probleme mit dem Grip", klagte Robert Kubica, der von Startplatz 4 immer weiter zurückfiel. Massives Übersteuern plagte den Polen, der ständig gegen sein Auto ankämpfen musste. "Heute ist das Rennen komplett an uns vorbeigelaufen", gestand Mario Theissen, der auch zugab, dass Kubica teilweise das langsamste Auto auf der Strecke gehabt habe. Beide Fahrer seien zu keinem Zeitpunkt des Rennens dazu in der Lage gewesen, normale Rundenzeiten zu fahren - weder auf den harten noch auf den weichen Reifen. "Die Ursache ist uns noch nicht klar, wird aber natürlich analysiert. Es war, als ob wir gar nicht da gewesen wären."