Monaco und Montreal. Zwei Straßenkurse, zwei beliebte Reiseziele, zweimal Mauern direkt neben der Ideallinie. Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auf. Wo in Monaco VIPs stolzieren, leben in Montreal Murmeltiere. Wo in Monaco Highdownforce gefragt ist, werden in Montreal die Flügel flach gestellt. "Außer dem Anfangsbuchstaben und dem Faktor des Stadtrennens haben diese aufeinanderfolgenden Grand Prix in ihrem Anforderungsprofil nur wenige Gemeinsamkeiten", sagt Norbert Haug.

Für die Fahrer fühlt es sich sogar seltsam an, nach Monaco erstmals wieder auf einer semipermanenten Rennstrecke Gas zu geben. "Das Auto rutscht hier ständig und man muss eine gute Balance finden", sagt Alex Wurz. Ein Rutscher an der falschen Stelle könnte jedoch das gleiche Ergebnis wie in Monaco einbringen: einen Mauerkuss. Der Kanada GP ist dafür bekannt, dass es häufig zu Safety Car-Phasen kommt. "In den letzten fünf Jahren gab es bei 42 Prozent aller Rennen mindestens einen Safety-Car-Einsatz", rechnet Haug vor. "In Kanada wurden drei der letzten fünf Rennen, also 60 Prozent zeitweise durch das Safety Car neutralisiert."

Stop and Go

Ross Brawn beschreibt den Circuit Gilles Villeneuve als eine große technische Herausforderung. "Er ist eine Kombination aus Highspeedabschnitten, langsamen Schikanen und Haarnadeln." Im Gegensatz zu Monaco ist Montreal also "sehr schnell", wie Nick Heidfeld anmerkt. "Die Strecke besteht hauptsächlich aus Schikanen und Geraden." Robert Kubica nennt den Kurs deshalb Stop-and-Go-Verkehr.

Die Ile de Notre Dame erwartet das nächste Rennen., Foto: Circuit Gilles Villeneuve
Die Ile de Notre Dame erwartet das nächste Rennen., Foto: Circuit Gilles Villeneuve

Auf den Geraden ist ein guter Topspeed von Nöten, "danach Stabilität beim Verzögern, Belastbarkeit der Bremsen und Traktion beim Herausbeschleunigen aus den Kurven", fügt Martin Whitmarsh an. Es drehe sich alles um die Bremsen und Traktion, stimmt Pat Symonds zu. "In diesem Zusammenhang spielt auch die Aerodynamik eine große Rolle", betont der Renault-Chefingenieur. "Die Kurven sind zwar allesamt relativ langsam, aber eine effiziente Aerodynamik verbessert die Bremsstabilität und trägt zur Traktion bei."

Um den Luftwiderstand zu reduzieren, werden die Teams auf einige Zusatzflügel verzichten, so verschwinden bei BMW Sauber beispielsweise die Geweihflügel auf der Fahrzeugnase. "Wichtig ist zunächst guter mechanischer Grip, zudem muss das Auto eine gute Balance haben und darf nicht übersteuern", erklärt Lewis Hamilton. Das sei nicht so einfach, wie es sich vielleicht anhöre. "Am Kurveneingang darfst du nicht zu schnell sein, besonders am Ende der langen Geraden." Nur wer den richtigen Kompromiss finde, komme schnell durch die Kurven.

"Der Schlüssel zu einer schnellen Runde ist es, die Kerbs richtig einzusetzen", sagt Jenson Button. Dafür benötige man allerdings ein Auto, das damit klar komme. Darauf reagieren die Teams mit einer etwas weicheren Abstimmung, damit das Auto beim Überfahren der Kerbs nicht zu unruhig wird. "Man muss präzise fahren, denn wenn man den Kerb falsch trifft, endet man höchstwahrscheinlich in der Mauer." Als größte Herausforderung bezeichnet Button die letzte Schikane vor der Boxeneinfahrt. "Man kann eine perfekte Runde gefahren sein, aber wenn man den Kerb hier schlecht erwischt, kann man die Runde abschreiben."

Überholen ist möglich

Obwohl Überholmanöver in der Formel 1 selten sind, gibt es in Montreal mindestens zwei Stellen, wo es mit einem aktiven Positionswechsel klappen könnte. "Vor allem auf der langen Geraden vor der letzten Schikane kann man gut überholen", sagt Rampf und fügt hinzu: "Wenn die Höchstgeschwindigkeit stimmt." Button wähnt auch am Start eine gute Überholchance: "Es wird sehr eng, wenn 20 Autos sich durch die erste Kurve quetschen, dann kann man vielleicht eine Chance ausnutzen."

Davon abgesehen ist die Haarnadel in Kurve 10 aus Buttons Sicht die beste Überholstelle. "Die beiden besten Überholmöglichkeiten sind die Haarnadel und die letzte Schikane", fasst Wurz zusammen. "Aber es ist nicht einfach, weil neben der Linie viel Reifenabrieb liegt." Dennoch sind Manöver möglich, glaubt Heikki Kovalainen. "Die besten Stellen zum Überholen sind jeweils am Ende der drei Geraden. Hier kommt man im Windschatten an das vorausfahrende Auto heran und kann beim Bremsen überholen. Wenn es nicht gleich klappt, bleibt man in den engeren Kurven dran und versucht es bei der nächsten Gelegenheit wieder."

Schwerstarbeit für die Bremsen

Wie in Monaco: ein Fehler und die Mauer wartet., Foto: Sutton
Wie in Monaco: ein Fehler und die Mauer wartet., Foto: Sutton

Der Stop-and-Go-Charakter der Strecke bedingt vor allem eines: einen extrem hohen Bremsenverschleiß. "Die Bremsen werden extrem hart beansprucht", bestätigt Heidfeld. Keine andere Strecke belaste die Bremsen so stark wie diese, stimmt Theissen zu. "Dementsprechend verwendet man die größten Bremsbelüftungen sowie Bremsscheiben mit besonders hoher Standfestigkeit", erklärt Rampf. Die Fahrer arbeiten während der Trainings vor allem an der Bremskühlung, berichtet Fernando Alonso. "Denn die Bremsleistung und den Verschleiß während des Rennens perfekt im Griff zu haben, ist gerade in Montreal extrem wichtig."

Alle Teams müssen vor dem Rennen in Kanada ihre Bremsen überarbeiten, "weil die Bremssysteme, wie sie auf den meisten anderen Strecken eingesetzt werden, würden den Grand Prix in Montreal wohl kaum überstehen", erklärt Whitmarsh. Früher seien die Bremsen oft schon vor Rennende zu stark abgenutzt gewesen, das aber wolle man auf jeden Fall vermeiden. "Deshalb gehören andere Beläge und leistungsstärkere Kühlsysteme für die Bremsen zu unserer speziellen Kanada-Abstimmung."

Viermal pro Runde wird aus mehr als 300 km/h auf zirka 100 km/h heruntergebremst. "Wir müssen uns darauf einstellen, damit die Bremsen das Rennen überstehen", betont Kovalainen. Gleichzeitig werden auch die Motoren stark beansprucht. "Auf der langen Geraden werden 15 Sekunden von einer Gesamtrundenzeit von zirka 75 Sekunden Vollgas gefahren", weiß Haug. "Die langen Geraden verlangen den Motoren alles ab", bestätigt Theissen. Die Teams arbeiten in Montreal besonders akribisch an der Leistungsentfaltung der Triebwerke. "Denn es kommt auch sehr stark auf das saubere Herausbeschleunigen aus langsamen Kehren an", erzählt Renault-Ingenieur Fabrice Lom.

Zu Beginn eines Rennwochenendes müssen die Fahrer zudem mit einem sehr rutschigen Asphalt mit geringer Haftung klarkommen. Genau wie in Monaco bringt Bridgestone in Kanada die weichsten Reifenmischungen mit, um beim Herausbeschleunigen aus den langsamen Kurven eine gute Traktion zu ermöglichen. "Es ist hier nicht einfach, die richtige Reifenmischung für das gesamte Wochenende auszuwählen, weil sich der Kurs immer wieder verändert", weiß Hamilton. Ein großes Problem ist das sogenannte Graining. "Die Reifen körnen auf dieser Strecke stark." Die Ideallinie wird zwar schnell sauber gefahren, aber daneben bleibt es durch den Schmutz und den Gummiabrieb auch im Rennen sehr rutschig.