Die mögliche Katastrophe hätte sich diesmal nicht live vor einem weltweiten Millionen-Publikum abgespielt: Schließlich war es ja "nur" das GP2-Rennen, die Vorspeise sozusagen, in dem Bruno Senna bei Tempo 280 in Istanbul mit einem auf die Strecke gelaufenen großen Hund kollidierte und noch Riesenglück im Unglück hatte, dass er bei dem Zwischenfall unverletzt davonkam. "Wenn ich das Tier nicht mit dem Rad, sondern mit dem Frontflügel erwische und es hoch geschleudert wird, gegen den Helm, dann kann das auch ganz anders ausgehen..."

Der Zusammenprall mit dem Hund vernichtete die rechte Vorderradaufhängung., Foto: adrivo Sportpresse
Der Zusammenprall mit dem Hund vernichtete die rechte Vorderradaufhängung., Foto: adrivo Sportpresse

Ein anderer Brasilianer, Cristiano da Matta, kann davon ein Lied singen: der Ex-Toyota-Pilot lag vor zwei Jahren nach einem ähnlichen Crash mit einem Hirsch in Elkhart Lake in der ChampCar Serie wochenlang im Koma... Der Schaden, den die Kollision von Senna mit dem Hunda am iSport-Auto anrichtete, zeigt, welche Kräfte wirkten. Davon abgesehen, dass man auch nicht immer davon ausgehen kann, dass der Fahrer nach so einem Zwischenfall das Auto überhaupt noch auf der Straße halten kann...

Logisch, dass der Schreck bei Senna und vor allem bei seiner Familie, bei seiner Mutter Viviane, tief saß - aber auch die Verantwortlichen reagierten dann - endlich - etwas aufgeschreckt. FIA-Renndirektor Charlie Whiting ordnete immerhin vor dem F1-Start weitere Sicherheitsmaßnahmen und Überprüfungen an der Strecke an - und auch einen deutlichen Bericht an die FIA wird es geben. Bleibt abzuwarten, mit welchen Konsequenzen - der Streckenbetreiber in Istanbul ist ja ausgerechnet Bernie Ecclestone.

Aber was sich dort schon das ganze Wochenende über abspielte, spottete eigentlich jeder Beschreibung. Auch Nick Heidfeld sah - wie andere aufmerksame Beobachter - einige potenziell gefährliche Organisationsfehler: "Das fing damit an, dass am Freitag früh die Strecke durch dieses Reinigungsfahrzeug nass war, dann war noch so ein Minivan auf der Strecke, als das erste GP2-Training begann, dann die Hunde..."

Wobei zu diesem Thema noch dazu kommt: Die beiden Hunde, die während des GP2-Rennens auftauchten, waren nicht die ersten... Schon am Samstag vor dem freien Training der Formel 1 flimmerten Bilder von vergeblichen Versuchen eines Streckenpostens, so ein Tier einzufangen, über die Bildschirme... Konsequenzen: offenbar keine. Noch erschreckender, was dann Fotografen am Sonntag berichteten: Bevor das Drama seinen Lauf nahm und der eine Hund Senna ins Auto lief, waren die beiden Tiere schon eine ganze Zeit in der Auslaufzone unterwegs gewesen - beobachtet von darüber deutlich amüsierten Streckenposten... Eine Warnung an die Rennleitung unterblieb offenbar ebenso wie an die Fahrer. "Da war eine einzige stillgehaltene gelbe Flagge", empörte sich Senna zu Recht, "keine zwei, nicht geschwenkt, kein Hinweis auf eine besondere Gefahr." Und das an einer Stelle, an der die Autos mit 280 km/h blind über eine Kuppe kommen...

In Brasilien wurden Freie Trainings schon unterbrochen, um streunende Hunde einzufangen., Foto: Moy/Sutton
In Brasilien wurden Freie Trainings schon unterbrochen, um streunende Hunde einzufangen., Foto: Moy/Sutton

"Natürlich ist das saugefährlich, so was darf einfach nicht sein", stellte Niki Lauda fest, nicht ohne vorher allerdings erst einmal den Spruch "am meisten tut mir natürlich der Hund leid", abzulassen - typischer Lauda-Galgenhumor halt. Auch Marc Surer äußerte sich in der F1-Übertragung von Premiere erstaunlich humoristisch über den Zwischenfall...

Was ein bisschen in diese Tendenz passt: Der an vielen Stellen recht locker gewordene Umgang mit dem Thema Sicherheit - es ist ja schon so lange nichts Gravierendes mehr passiert. Von den derzeit drei Erstplatzierten in der Fahrer-WM sind Kimi Räikkönen und Lewis Hamilton der Fahrergewerkschaft GPDA, die sich um diese Belange kümmert, nie beigetreten, Felipe Massa ist gerade ausgetreten. Zum Teil auch aus finanziellen Gründen: Die 2.000 Dollar Jahresbeitrag plus 200 Dollar pro WM-Punkt, aus denen die laufenden Kosten des GPDA-Büros in Monaco und das Gehalt einer Sekretärin finanziert werden - eventuelle Überschüsse gehen am Jahresende an eine karitative Einrichtung - sind einigen der Formel-1-Millionäre zu viel... Da können die "Altgedienten" wie David Coulthard oder Jarno Trulli noch so mahnen, sich auch Fernando Alonso öffentlich über seine Kollegen wundern bis ärgern, "weil es die Durchsetzungskraft der Fahrer natürlich nicht gerade stärkt, wenn ausgerechnet die Top-Leute fehlen" - es sind nicht mehr alle, die sich voll hinter den Kampf um mehr Sicherheit stellen.

Nico Rosberg allerdings schon, er ist sich auch sicher, dass die GPDA die Vorfälle von Istanbul ansprechen wird, "denn so etwas ist alles andere als lustig." Christian Danner, der zugab, "bei den Bildern schon einen gewaltigen Schreck bekommen zu haben," sieht als Lösung nur, "hier rund um diese Strecken, die so neu irgendwo mitten in der Landschaft sind", eben auch alles neu zu machen: "Entsprechende Zäune, gesicherte Tore - und eine bessere und effizientere Überwachung und Kontrolle." Generell sei in Fragen der Sicherheit eben wichtig, "dass der da von Max Mosley vorgegebene Weg wirklich mit aller Konsequenz und Härte weiter durchgezogen wird. Denn eines muss man sagen: Wenn er das nicht so diktatorisch durchgedrückt hätte, würden wir heute noch mit den Autos und unter den Bedingungen von vor 1994 fahren."

Von den jungen Fahren haben offenbar einige in dieser Hinsicht noch nicht viel begriffen. Antwort von GP2-Sieger Romain Grosjean auf die Frage, ob nicht das Safety-Car viel früher auf die Strecke gemusst hätte, sofort beim ersten Auftauchen der Hunde: "Für mich war es gut, dass sie eine Weile länger gewartet haben..." Leichter Unterton: So hat wenigstens einer meiner Hauptkonkurrenten um den Titel keine Punkte geholt. Man kann das jetzt den notwendigen Egoismus nennen, um im Rennsport nach vorne zu kommen. Angesichts der potenziell fatalen Folgen könnte man aber auch - wohlwollend - jugendlicher Leichtsinn oder - härter - arrogante Dummheit sagen...