Es gibt Länder, deren internationale Bedeutung in krassem Gegensatz zu ihrer Wertigkeit im Top-Motorsport steht. Frankreich zum Beispiel - ein Gigant mit unzähligen Rennstrecken und einer eigenen Automobilindustrie von Weltformat, der seit 15 Jahren durch rein gar nichts mehr auffällt. Einen Chaos-Sieg von Olivier Panis in Monaco mal ausgenommen. Sebastien Bourdais darf sich glücklich schätzen, als erster Franzose seit dem alten Panis wieder in Stammcockpit sein eigen zu nennen, und das nur am hinteren Ende der Boxengasse. Den unglücklichen (obwohl hochtalentierten) Franck Montagny klammere ich da mal bewusst aus. Oder die USA. Der Automobilmarkt schlechthin. Die Erfinder des Nudeltopf-Fahrens und der Quarter Mile. In der Formel 1? Seit Mario Andretti und Eddie Cheever Fehlanzeige. Beide hatten allerdings starke italienische Wurzeln.

Die Finnen sind los., Foto: Sutton
Die Finnen sind los., Foto: Sutton

Und dann sind da die anderen. Jene, die seit Jahrzehnten Formel 1-Champions am Fließband produzieren, obwohl es keine vernünftige Erklärung dafür gibt. Dazu zählen für mich in allererster Linie die Finnen. Eine Nation so undurchschaubar wie keine zweite in Europa, mit einer Sprache, die sich wohl aus drohenden Erfrierungserscheinungen am Polarkreis entwickelt haben muss. Man findet die Finnen und ihre Fans mit den blau-weißen Flaggen überall bei der Formel 1. Auf den ersten Blick sehen sie immer wie eine leicht illuminierte Bande liebevoller Schlachtenbummler aus. (wer übrigens mal ein paar Tage im finnischen Herbst oder Winter verbracht hat, bringt sicher etwas Verständnis für gelegentlichen Vodka-Konsum auf) Beim genaueren Hinschauen blickst du aber oft in die Augen eines alten Indianers. Und genau das macht die Finnen seit Jahrzehnten zum Fixpunkt in der Formel 1.

Leo Kinnunen war ein Pionier. Er fuhr in den frühen 70er-Jahren und schrieb insofern Geschichte, als er der letzte Fahrer war, der noch mit einem offenen Helm einen Grand Prix bestritt. Heute ist er höchst erfolgreicher Unternehmer und besitzt ein Medienunternehmen, das zur Popularität der Formel 1 in der finnischen Öffentlichkeit entscheidend beiträgt.

Keke Rosberg - der erste finnische Weltmeister., Foto: Sutton
Keke Rosberg - der erste finnische Weltmeister., Foto: Sutton

Keke Rosberg gelang dann der große Durchbruch. Er ist für mich einer der allergrößten. Nicht nur, dass du dich kaputt lachst, wenn du mit ihm mal essen gehst. (Zitat: "Heute haben sie alle ihre Weiber dabei. Ich habe meiner Frau damals gesagt, dass sie mir am meisten hilft, wenn sie daheim den Hund füttert.") Keke hat in einer Zeit, als man in der Formel 1 noch sterben konnte mehrfach durch puren Mut und Car Control außergewöhnliches geleistet. Seine Quali-Runde in Silverstone ist noch heute die schnellste aller Zeiten. Und als in Dallas 1984 die Herren Konkurrenten in der Gluthitze reihenweise umfielen wie die toten Fliegen, da fuhr der passionierte Raucher und Lebemann Rosberg zu einem seiner größten Siege. Wie mir überhaupt auffällt, dass die großen Hitzerennen überdurchschnittlich oft von Rosberg, Häkkinen oder Räikkönen gewonnen wurden.

Mika Häkkinen hat in seiner Karriere vorgezeigt, worauf es ankommt. Zum einen auf den richtigen Moment warten, und zum anderen nicht den Zeitpunkt zum Aussteigen verpassen. Über 100 Rennen musste Mika auf den ersten Sieg warten. Aber dann ging's so richtig los und er darf mit Fug und Recht behaupten, als erster Mensch Michael Schumacher mit gleichen Waffen besiegt zu haben. Bei seinem Entschluss aufzuhören war ich live dabei. Ausfall in Monaco 2001, Mika emotional am Limit. Die McLaren-Presseabteilung versuchte ein geordnetes Interview für Dutzende Journalisten zu organisieren, doch dazu kam es nicht. Mika erschien, einer der üblichen Vordrängler startete einen Domino-Effekt in der Wahnsinnsenge des Fahrerlagers von Monte Carlo. Und plötzlich klebte der finnische Weltmeister mit dem Rücken am Zaun und eine Horde von Menschen drohte ihn zu erdrücken. Da zog er die Reißleine, wie er später zugab. Diese Respektlosigkeit und Gier der Journaille steht in krassem Gegensatz zu der inneren Ruhe, die den Finnen in die Wiege gelegt ist.

Heikki Kovalainen könnte der nächste siegreiche Finne werden., Foto: Sutton
Heikki Kovalainen könnte der nächste siegreiche Finne werden., Foto: Sutton

So blieb es auch bei einem recht kurzen Gastspiel von JJ Lehto als TV-Reporter. Am Höhepunkt der Häkkinen-Mania hatte jemand die gute Idee, den armen JJ als Interviewer im Nahkampf zwischen Kai Ebel und Konsorten aufzubieten. Zu seinem Glück war die Menschentraube bei den finnisch-sprachigen Interviews nicht ganz so groß.

Und dann kam eben Kimi. Der coolste Hund von allen. Ein absoluter no-nonsense Mann. Und einer, der am meisten missverstandenen Piloten. Was wohl an seiner sprachlichen Ausdrucksform liegen dürfte. Alle Finnen, die ich kenne, schwören Stein und Bein, dass Kimi ein echt witziger Typ mit viel Humor ist. Oder zumindest, was man in Finnland dafür hält. Das heißeste Gerücht in Barcelona war natürlich die Ansage, Kimi könnte viel früher zurücktreten als alle glauben. Das wurde natürlich postwendend dementiert, wie es den PR-Regeln entspricht. Wenn ich mich an Mika Häkkinen am Zaun von Monaco erinnere und so wie ich Kimi einschätze - warum eigentlich nicht?

Räikkönen liebt es, zu leben. Was ihm vom Boulevard als Sauforgie angedichtet wird, ist doch nichts anderes als die typisch finnische Art, den viel zu kurzen Sommer zu genießen und dabei die Füße immer am Boden zu behalten. Und wenn man vielleicht zweifacher Weltmeister ist, wäre das ein idealer Zeitpunkt, 2009 noch eine gut dotierte Ehrenrunde zu drehen und dann ab dem nächsten Sommer fischen zu gehen. An Nachfolgern wird es nicht mangeln.

Heikki Kovalainen hat viel bessere Karten als alle glauben. Bei McLaren hat er in wenigen Wochen alles Eis gebrochen und mittlerweile lieben sie ihn. Wie seine Vorgänger zeichnet ihn eines aus: Mentale Stärke, die für zwei reicht. Ich glaube, es gibt da eine Art Suomi-Gen. Das muss sich über die Jahrtausende in langen kalten Polarnächten entwickelt haben. Damit lässt sich auch der offene Vernichtungsschlag des eigenen Teamchefs beim Debüt ertragen. In die Formel 1 kommst du heute, wenn du schnell bist, aber an die Spitze kommst du nur, wenn du es im Kopf auch aushältst. Und nicht umsonst sind die Finnen in allen Bildungsbelangen weltweit führend. Auch dort schlagen sie den Rest der Welt um Längen. Und auch dort gibt es eigentlich keine logische Erklärung dafür.