Peter Sauber hat mich vor einigen Jahren im Fahrerlager einmal zur Seite genommen. Ich hatte mit ihm gerade ein TV-Interview zum Thema "Moral in der Formel 1" gemacht. Als die Kamera abgedreht war, sagte er mir in fast väterlichem Ton ein paar Worte, die ich bis heute nicht vergessen habe: "Schauen Sie sich doch nur mal ein bisschen hier im Fahrerlager um", lächelte er mit der Ruhe und Gelassenheit eines alten Indianers. "Ein gutes Dutzend der wichtigsten Menschen hier waren schon mal im Gefängnis." Kurze Pause. Der Gesichtsausdruck wurde ernster. Sauber legte offensichtlich jedes einzelne Wort innerlich auf die Waagschale. Und dann der entscheidende Satz: "Und wissen Sie, mindestens ein weiteres Dutzend gehört noch dort hin."

Die Mächtigen der Formel 1-Welt., Foto: Sutton
Die Mächtigen der Formel 1-Welt., Foto: Sutton

Wer als junger Mensch in die Formel 1 kommt, ist zumeist geblendet von der glitzernden Fassade einer Scheinwelt. Wer es länger als nur ein paar Jahre dort aushält, merkt recht bald, dass die Bezeichnung Haifischbecken sehr wohl zutreffend ist. Ein Fahrer, der vor nicht allzu langer Zeit noch aktiv war, hat mir im Vertrauen ein paar Dinge verraten. Seine Worte waren: "Ich dachte am Anfang wirklich, ich hätte es in die Formel 1 geschafft, weil ich so gut war. Erst als ich die ersten Leistungsabfälle hatte, wurde mir klar, was da alles hinter meinem Rücken gespielt wurde. Ich war fassungslos, wer da alles bestochen wurde, wer erpresst werden sollte und so weiter." Weiter ins Detail konnte und wollte er nicht gehen. Aber er hat mir versprochen, nach dem Ende seiner Karriere ein Buch zu schreiben und über alle diese Dinge auszupacken. Ich werde der erste sein, der es kauft und verschlingt!

Ich möchte auch keineswegs mit dem Finger auf einzelne Personen zeigen. Keiner hat das Recht, über andere zu Gericht zu sitzen. Letztendlich muss man selbst entscheiden, ob die Formel 1 das moralische Umfeld ist, in dem man den Großteil seiner Zeit verbringen möchte. Viele schaffen es, weil sie sich einen Mikrokosmos schaffen und die Augen vor dem großen Gesamtbild verschließen. So wie die lieben italienischen Kollegen, bei denen man immer das Gefühl hat, es handle sich eigentlich um einen Schlachtenbummler-Ausflug. Irgendwann steigen sie alle in Maranello in den Bus, kriegen Espresso und Panini und nach dem Rennen bringt sie der Bus wieder heim. Ich weiß, es ist ein böses Vorurteil, das manchen Unrecht tut. Aber so sieht eben die Überlebensstrategie für manche aus.

Ich habe Max Mosley als sehr korrekten, höflichen und blitzgescheiten Menschen kennen gelernt. Eigentlich ein Gentleman der alten Schule. Ein sehr angenehmer und witziger Gesprächspartner. Letztendlich hat Mosley absolut recht, dass sein Privatleben die Öffentlichkeit nichts angeht. (Da gäbe es auch andernorts noch ein paar gute Schlagzeilen aus der Formel 1).

Mir stößt aber ebenso sauer auf, wie man mit derlei Dingen in der Öffentlichkeit umgeht. Muss man so etwas wirklich veröffentlichen? Muss jedes Kind in England auf dem Weg in die Schule den nackten Hintern des Herrn FIA-Präsidenten vom Titelblatt prangen sehen? Wenn man jemanden weg haben will, reicht es doch auch, ihm eine DVD des Videos mit der Post zu schicken. Max ist seit einigen Jahren gesundheitlich ohnehin nicht mehr auf der Höhe. Ein Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen wäre allemal durchgegangen.

Kommt Max Mosley noch einmal als FIA-Präsident in den Paddock?, Foto: Sutton
Kommt Max Mosley noch einmal als FIA-Präsident in den Paddock?, Foto: Sutton

Aber hier führt jemand einen Vernichtungsfeldzug. Ob die Spur ins Fahrerlager führt? Keine Ahnung. Ich weigere mich, das zu glauben. Auch wenn die Anführerin der Nutten zufällig aus Milton Keynes stammen soll. Als Medienvertreter sage ich nur: Liebe Yellow Press, ihr stinkt mir genauso zum Himmel. Für eine gute Story geht ihr über Leichen. Es gibt Grenzen. Das nächste Mal bin vielleicht ich dran, weil ich zufällig beim Pinkeln gefilmt werde. Und kann mich nie rechtfertigen, weil Ihr Euch die teureren Anwälte leisten könnt.

Und es wäre wahnsinnig schön, wenn sich Formel 1-Fahrer heute trauen würden den Mund aufzumachen. Es kann mir doch keiner erklären, dass man als Familienvater mit 30 Jahren nicht mehr als "no comment" auf Lager hat. Hier wird der gesamte Sport in Misskredit gezogen. Und alle haben die Hose voll, etwas zu sagen. Auch ein Sittenbild. Viele Journalisten-Kollegen haben einfach Angst um ihre Akkreditierung, die ja quasi ihre Existenz begründet. Blöd, dass die ausgerechnet von der FIA ausgestellt wird. Und es wurden schon Menschen wegen harmloserer Vergehen mit dem Entzug des Arbeits-Passes bestraft. Ein bisschen Zivilcourage täte da auch gut. Ich kann mich noch erinnern, wie fast das ganze Fahrerlager vor einigen Jahren gegen die wahnwitzigen Militär-Demonstrationen der malaysischen Luftwaffe vor dem Grand Prix unterschrieben haben. Da waren sich fast alle einig. Der Unfug hatte dann auch wirklich irgendwann ein Ende.

Vielleicht kriege ich ab sofort nie wieder eine Akkreditierung bei der Formel 1. Aber ich kann meinem kleinen Sohn wenigstens guten Gewissens erklären, was man im Leben so alles besser nicht machen sollte. Zum Glück ist er noch zu klein, um zu kapieren, was da wirklich abgeht.

Am 24. Juli 2008 gewann Max Mosley den Prozess gegen die Zeitung "News of the World". Die Richter hielten in ihrem Urteil fest, dass die Privatsphäre durch die Berichterstattung nachhaltig verletzt wurde. Insbesondere die Behauptungen der Zeitung über "Bezüge zum Nationalsozialismus" erwiesen sich als unwahr.