Wild & ungestüm

von Stephan Heublein

Zwei Rennen, null Punkte. Einmal hat es gequietscht, einmal hat es gekracht und einmal geraschelt. Jedes Mal zeigte der Daumen bei Felipe Massa nach unten. Zunächst der erste Fehler in der ersten Kurve der neuen Saison. Massa dreht sich hinter Heikki Kovalainen, beschädigt seinen Frontflügel, alle Siegchancen sind dahin. Gleicher Ort, gleiches Rennen. Diesmal kracht es laut, David Coulthards Red Bull zerfällt in seine Einzelteile, Massa kann nach dem Überholversuch weiterfahren, scheidet später aber aus. Der vorläufige Höhepunkt: ein weiterer Dreher in Malaysia. Diesmal landet er im Kiesbett, bleibt stecken, ein sicher geglaubter Ferrari-Doppelsieg wird im malaysischen Kies begraben.

Massa im Abseits: Nie F1-Weltmeister?, Foto: Sutton
Massa im Abseits: Nie F1-Weltmeister?, Foto: Sutton

Es ist nicht das erste Mal, dass ihm solche Fehler unterlaufen. Auch zu Saisonbeginn 2007 stand er unter Druck, ausgerechnet in Malaysia machte er hinter Lewis Hamilton den entscheidenden Fehler. Er wollte zu viel zu früh, griff an, rutschte ins Kiesbett und verlor zwei Positionen. Damals konnte er immerhin weiterfahren, doch die Kritiker sahen mal wieder den Südamerikaner in ihm durchgehen - wie es auch in so mancher lautstarken Diskussion mit Fernando Alonso in der vergangenen Saison noch geschehen sollte.

Der Ruf vom wilden Brasilianer reicht noch weiter zurück. Schon in seinen ersten F1-Jahren bei Sauber war Massa so gar nicht wie sein Vorgänger - ein gewisser Kimi Räikkönen, der ihm auch heute wieder Kopfschmerzen bereitet. Im Gegensatz zum Finnen in dessen erster F1-Saison beim gleichen Team ging Massa 2002 wild und ungestüm zur Sache, machte Fehler und verschenkte dadurch gute Ergebnisse. Etwas, das man sich als Sauber-Pilot damals nicht so häufig leisten durfte.

Und auch als Titelanwärter müssen Fehler eine Seltenheit bleiben - so wie bei Michael Schumacher, der sie sich meistens nur im Freien Training erlaubte. Oder bei Massas Ferrari-Teamkollege Kimi Räikkönen, der beim Auftakt in Australien überraschend unkonzentriert zu Werke ging. Waren die fehlenden Fahrhilfen schuld - bei Räikkönen wie Massa? Für einen Titelkandidaten darf das keine Ausrede sein. Die Fahrhilfen sind weg, die Besten werden damit klar kommen und weiterhin siegen und Titel gewinnen. Das hat Räikkönen in Malaysia bewiesen. Aber wird Massa zu ihnen gehören?

Er hat das Talent und den Speed, das hat er in der Vergangenheit bewiesen - auch in Malaysia, schließlich war er es, der auf die Pole Position fuhr. Aber hat er die nötigen Nerven und die mindestens genauso wichtige Konstanz? Denn Dreher im Doppelpack, Ausrutscher, Kollisionen und Fahrfehler passen nicht ins Bild eines künftigen Champions. Schon gar nicht, wenn jeder verlorene WM-Zähler über den WM-Titel entscheiden kann. Lewis Hamilton und Fernando Alonso wissen, was es heißt, um einen Punkt das Nachsehen zu haben. Wenn Massa die Fehler nicht abstellt, wird auch er es erfahren - sollte er überhaupt jemals so nah an den Titelgewinn herankommen...

Heiß auf Erfolge

von Nico Schweinzer

Massa im Mittelpunkt: Zukünftiger Champion?, Foto: Sutton
Massa im Mittelpunkt: Zukünftiger Champion?, Foto: Sutton

Wie es im Motorsport eben so ist, drehte sich Felipe Massa in der ersten Kurve von Melbourne im Duell mit Heikki Kovalainen. Auf dem Weg zum kompletten Rennfahrer werden viele Fehler begangen, passieren viele Dreher und müssen viele Verbremser weggesteckt werden. Das liegt in der Natur des Motorsports. Es gilt: Learning by doing. Diese Erfahrung musste nicht nur Massa machen, der von den italienischen Medien umgehend in Fetzen zerrissen wurde. Der in Italien momentan hoch gelobte Kimi Räikkönen verbremste sich in Melbourne kapital und das mehrmals. Trotzdem zweifelt keiner daran, dass der Weltmeister die Fähigkeit besitzt, seinen Titel zu verteidigen.

Dass man nie zu einem 100 Prozent perfekten Rennfahrer werden kann, hat schon Michael Schumacher bewiesen. Der Rekordweltmeister und erfolgreichste Rennfahrer aller Zeiten beteuerte immer wieder, dass auch er bei jedem Rennen etwas dazu lernen konnte. Es sollte also selbstverständlich sein, dass auch ein 26 Jahre junger Rennfahrer noch die eine oder andere Erfahrung machen muss. Es war natürlich ein gefundenes Fressen für die italienische Presse, dass Felipe Massa im weiteren Rennverlauf auch noch eine Kollision mit David Coulthard provozierte, der mit einer zerstörten Radaufhängung aufgeben musste. In Malaysia stellte sich heraus, dass Red Bull eine allgemein etwas unstabile Radaufhängung einsetzt... Ein paar Meter später ist auch Massa rechts ran gefahren, der Motor sei ausgegangen. Doch was sagen eigentlich die Verantwortlichen im Team zu Felipes Performance? "Sicherlich wären Punkte sehr wertvoll für Massa und das Team, aber noch sollte man es nicht überbewerten", so Stefano Domenicali.

Es ist nicht einfach in den Formel 1 Zweikampf-Modus umzuschalten, wenn die Piloten in der Winterpause nie richtige Duelle zu bestreiten hatten, sondern lediglich bei Fun-Events oder Testfahrten im Cockpit saß. Die Reflexe müssen erst wieder geölt, die Reaktionszeiten verkürzt werden. Von Vorteil war es zwar nicht, dass Felipe auch im zweiten Rennen der Saison durch einen Fahrfehler ausschied, doch muss man sich vor Augen halten, dass die Formel 1 in dieser Saison erst 2 von 18 Rennen hinter sich hat. In Malaysia konnte sich Massa am Start gegen seinen finnischen Teamkollegen durchsetzen und behauptete sich während des Rennens bis es Zeit zum Nachtanken wurde. Während der Boxenstopps konnte Räikkönen sich an Massa vorbei schieben. Ob dies ausschlaggebend für den Fahrfehler von Massa war, ob sich das auf seine Konzentration ausgewirkt hat, kann man nur vermuten.

Quo vadis Felipe Massa?, Foto: Sutton
Quo vadis Felipe Massa?, Foto: Sutton

Dass es sich um einen Fahrfehler des Brasilianers gehandelt hat, wurde mittlerweile bestätigt. Dass das ein Grund dafür ist, Massa zu feuern, dementierte Teamchef Domenicali. Nur, dass sich Massa für solche Gerüchte anfälliger zeige als Räikkönen störe etwas. Klar, dass der temperamentvolle Brasilianer emotional leichter zu erregen ist als der kühle Finne Kimi Räikkönen. Doch war heißblütige, emotionale Liebe zum Sport noch nie ein Hindernis für Rennfahrer, die Weltmeister werden wollten. Massas Landsmann, der tödlich verunglückte Ayrton Senna, war wohl einer der leidenschaftlichsten Rennfahrer der Geschichte. Senna, der als extrem emotioneller Mensch und Rennfahrer bekannt war, konnte seine unbändige Liebe zum Sport, mit all den Emotionen, egal ob positiv oder negativ, bündeln und sie einsetzen, um sich für das große Ziel zu motivieren: Formel 1 Weltmeister zu werden.

Felipe Massa hat einige, sehr harte Jahre mit viel Druck hinter sich. Er musste in die Fußstapfen eines Kimi Räikkönens steigen, er musste die Nachfolge von Rubens Barrichello bei Ferrari antreten und er musste im traditionsreichsten Rennstall der Formel 1 neben dem erfolgreichsten Rennfahrer aller Zeiten bestehen - Michael Schumacher. Man kann also behaupten, dass der Brasilianer schon schwierigere Situationen als einen verpatzten Saisonstart gemeistert hat. All das zeigt nur zu gut, dass in Felipe Massa ein Rennfahrer steckt, der die nötigen Nerven hat, um Formel 1 Weltmeister zu werden; Iceman hin, Iceman her. Hier kommt der Fireman.