Den Helm nahm er erst gar nicht ab. Lewis Hamilton lief strammen Schrittes durch den Paddock, kein Blick links, kein Blick rechts, vor allem aber kein Blick in sein Gesicht. Erst in der McLaren-Box und am Kommandostand ließ er sich wieder ohne Helm blicken, sprach mit dem Team, machte sich und seiner Mannschaft Mut. Es erinnerte fast an das vorletzte Rennen der Saison 2006. Genau ein Jahr zuvor kehrte ein anderer WM-Leader vorzeitig an die Box zurück, um sein Team zu trösten - für Michael Schumacher war die WM zu diesen Zeitpunkt realistisch gesehen abgeschrieben. Es aber jedoch einen entscheidenden Unterschied: im Gegensatz zu Schumacher führte Hamilton die WM noch immer an.

"Als ich aus dem Auto stieg, war ich völlig am Boden", gestand Hamilton. "Es war mein erster Fehler in diesem Jahr und dann passierte er auch noch in der Boxeneinfahrt, wo ich das normalerweise nicht mache." Doch er habe den Vorfall bereits überwunden, Martin Whitmarsh beschrieb sein Auftreten gegenüber dem Team als Charakterstärke. "Man kann nicht durch das Leben gehen, ohne Fehler zu machen", sagte Hamilton, der von Ron Dennis in Schutz genommen wurde. "Er hat nichts Schlimmes gemacht", sagte Dennis. "Die Boxeneinfahrt war einfach viel nasser als die Strecke. Es lag an den Reifen und den Bedingungen."

Wer zu lange wartet...

Was war geschehen? Im Gegensatz zu Schumacher in Suzuka 2006 war bei Hamilton kein Motorschaden Schuld an der Misere, der erste Ausfall in seiner Formel 1-Karriere war eine Kombination aus Fahrfehler und Teamfehler, so jedenfalls beschrieb Niki Lauda den seltsamen Verlauf der Dinge. "Als ich in die Box kam, war es wie auf Eis, ich konnte nichts tun", erklärte Hamilton. "Wir haben versucht, so lange wie möglich draußen zu bleiben und in meinen Hinterreifen war einfach nichts mehr drin. Ich konnte aber nicht sehen, dass sie so schlecht waren."

Hamiltons Titelträume endeten im Kiesbett., Foto: Sutton
Hamiltons Titelträume endeten im Kiesbett., Foto: Sutton

Fernando Alonso und Kimi Räikkönen nahmen das Geschenk des Briten dankend an. Der Finne siegte, Alonso wurde Zweiter. Ferrari Co-Teamchef Stefano Domenicali war nicht überrascht. "Man kann überall Fehler machen. Das ist die Formel 1. Vielleicht dachte er, das wäre der einfachste Teil des Rennens" Aus Fahrerperspektive sah die Situation genauso seltsam aus. "Ich wäre etwas langsamer in die Box hinein gefahren", analysierte Red Bull-Testfahrer Michael Ammermüller. "Er musste ja nicht gewinnen, sondern hätte nur irgendwie vor den anderen ins Ziel kommen müssen." Ron Dennis unterstützte diese These: "Wir fuhren kein Rennen gegen Kimi, wir fuhren gegen Fernando. Ein Sieg für Kimi und Lewis auf Platz 2 hätte gereicht - das ging leider nicht auf."

... den bestraft der Regen

Der entscheidende Fehler wurde schon vorher gemacht. "Ich kann den Fehler nicht verstehen, es ist für mich völlig unverständlich, sie haben sich verhalten wie ein Hornochsen-Verein", kritisierte Hans-Joachim Stuck. "McLaren sollte sich eine Brille kaufen." Denn der Schaden an Hamiltons Reifen, seine rapide ansteigenden Rundenzeiten, sein rutschendes Auto - all das war schon einige Runden lang zu beobachten, dennoch reagierte das Team nicht darauf, ließ Hamilton weiter draußen, ließ ihn einen hoffnungslosen Kampf kämpfen.

Warum hat McLaren das verschlafen? "Zu diesem Zeitpunkt hatten wir die Vorhersage, dass es weitere Schauer geben könnte", verriet Martin Whitmarsh. "In so einer Situation kann man schnell die falschen Reifen aufziehen, wenn man nur eine Runde zu früh reinkommt." Rückblickend sei dieses Zögern ein Fehler gewesen. "Das Team hat einen Fehler gemacht, aber man sieht es ja bei Massa: sein Stopp war zu früh." Er musste ebenso wie Heidfeld noch mal kommen. Bei den rutschigen Bedingungen hätte Hamilton auch schnell auf Trockenreifen rausfliegen können. "Dann hätten wir es auch falsch gemacht", betonte Whitmarsh. Die Reifen hätten gestimmt: "Wir hatten die richtigen Reifen für die Bedingungen, sie waren nur zu stark abgenutzt."

Manöver im Mittelfeld

Das Rennen hatte relativ unspektakulär begonnen. Trotz der leichten Niederschläge entwickelte sich in den ersten Runden ein typisches Taktikrennen - jedenfalls auf den ersten vier Plätzen. Am Start setzte sich Hamilton problemlos an die Spitze; Räikkönen behielt Platz 2, nur Massa und Alonso tauschten in den ersten Kurven mehrmals die Plätze. Am Ende kam der Brasilianer als Dritter aus der ersten Kurvenfolge heraus.

Der Titelkampf blieb bis zum Finale offen., Foto: Sutton
Der Titelkampf blieb bis zum Finale offen., Foto: Sutton

Bis zur ersten Boxenstopprunde blieb das Bild unverändert: Hamilton führte mit 8,2 Sekunden vor Räikkönen. Der Finne kam in Runde 19 vier Runden nach Hamilton zum Nachtanken an die Box, die Intermediates wechselte er genauso wenig wie die anderen Spitzenpiloten. Dennoch kam er hinter Hamilton auf die Bahn zurück. Das sollte so bleiben, bis der Regen vor der zweiten Boxenstopprunde erneut leicht einsetzte. Plötzlich war Räikkönen formatfüllend im Rückspiegel des Briten. Mehrere Kurven lang duellierten sie sich, Hamilton rutschte wild hin und her, dann fuhr Räikkönen vorbei und auf und davon.

Während es an der Spitze vor und nach dem Hamilton-Zwischenfall gemächlich zuging, wurde dahinter viel Action geboten. Nico Rosberg wurde am Ende der Zielgeraden gleichzeitig links und rechts von den beiden Renault überholt. Der Überholkönig des Rennens war jedoch Ralf Schumacher. Nach einem Dreher am Start musste sich Ralf von ganz hinten wieder nach vorne kämpfen. Button, Kovalainen, Rosberg - der Reihe nach zogen sie gegen einen furios auffahrenden Schumacher den Kürzeren. Bis Tonio Liuzzi an der Reihe war. Ralf zog vorbei, lenkte ein und kollidierte mit dem Italiener. "Ich nehme an, er hat zu spät gebremst und da ist ihm die Straße ausgegangen", beschrieb er den Rennunfall. Später schied Schumacher nach einem Dreher aus.