Bis zur 43. Runde schien der Türkei GP ein typisches Taktikrennen zu sein. Felipe Massa und Kimi Räikkönen eilten dem Feld ohne Mühe davon, entschieden über die Positionen 1 und 2 bei den Boxenstopps und fuhren einem sicheren Doppelsieg entgegen - also dem erklärten Ziel der Scuderia. Doch dann die Schrecksekunde des Rennens: Lewis Hamilton humpelte mit einem Reifenschaden um den Kurs. Kurz vor seinem zweiten Stopp gab sein rechter Vorderreifen auf, die Lauffläche schlug wild durch die Luft.

Für die WM hätte es nicht besser kommen können: der WM-Leader fiel von einem sicheren 3. Rang auf Platz 5 zurück; alle drei Verfolger holten mehr Punkte. Das Ergebnis: Hamilton führte nur noch mit 5 Zählern Vorsprung vor seinem Teamkollegen Fernando Alonso, der in Istanbul sechs Punkte für Rang 3 einfuhr. Hinter dem Silberduo lagen die Ferrari in der WM-Tabelle genauso eng zusammen wie auf der Rennstrecke: 69 Zähler für Massa, 68 für Räikkönen.

"Es ist Wahnsinn", freute sich Massa über seinen zweiten Sieg in Istanbul. "Ich habe hier zum zweiten Mal von der Pole gewonnen. Das ist fantastisch - ich liebe diese Strecke. Hier hat meine Karriere im letzten Jahr mit meinem ersten Sieg die entscheidende Wendung genommen. Es ist ein ganz besonderer Ort für mich." Da störte ihn auch ein kleiner Zwischenfall mit der Kühlung nicht. "Ich hatte einen Riss am Kühlsystem an meinem Helm, das hat starke Turbulenzen verursacht, mein Kopf wurde nach oben gezogen", verriet er. "Deshalb habe ich es weggerissen."

Zwei Rote in Front: so sollte es in Istanbul bleiben., Foto: Sutton
Zwei Rote in Front: so sollte es in Istanbul bleiben., Foto: Sutton

Kimi Räikkönen hatte keine Chance, seinen Teamkollegen zu attackieren. "Das Rennen wurde gestern im Qualifying entschieden", betonte Räikkönen. "Ich wollte bei den Boxenstopps etwas probieren, aber wenn zwei Teamkollegen kämpfen, dann wird derjenige, der Erster ist, normalerweise auch dort bleiben." Deswegen konnte er trotz seines guten Autos nichts ausrichten.

Das Hamilton-Pech produzierte noch einen Nutznießer: Nick Heidfeld rutschte zwischen die Silberpfeile auf Platz 4 vor. Bereits am Start hatte Heidfeld den McLaren von Alonso überholt. Danach lag er bis zu seinem ersten Stopp vor dem Spanier, der mal wieder keinen Weg an ihm vorbei fand. Zwar verlor Heidfeld seine Position nach dem Stopp an Alonso, dafür gewann er aber einen Platz gegen seinen Teamkollegen Robert Kubica, der am Start auf Position 4 vorgefahren war. Das Rennende war nicht nach dem Geschmack des Polen: er fiel bei seinem zweiten Stopp nicht nur hinter Heikki Kovalainen zurück, sondern auch noch hinter Nico Rosberg. Mehr als Platz 8 und ein WM-Zähler waren für ihn nicht drin.

Spannung durch Langeweile

Einmal ist immer das erste Mal - auch für die hoch gelobten neuen Superkurse von Hermann Tilke. Nach zwei spektakulären Rennen mit Überholmanövern, Duellen und reichlich Action lieferten die 22 Protagonisten beim dritten Türkei GP im Istanbul Park eine Prozession vom Stil eines Magny Cours oder Imola Rennens ab. So wurde nicht nur den Fahrern bald langweilig. Kimi Räikkönen hatte jedoch andere Möglichkeiten als die gelangweilten Zuschauer, um sich abzulenken: er fuhr in der 57. von 58 Runden die schnellste Rennrunde - einfach so zum Spaß.

"Es ist langweilig, hinter anderen Autos herzufahren", sagte der Finne. "In der F1 sind die Rennen dieser Tage nach dem Qualifying einigermaßen entschieden. Ich wollte aber pushen wie die anderen. Dadurch hat man etwas zu tun." Die Rennentscheidung fiel schon früh, keinesfalls auf der Strecke, aber auch nicht an der Box. Laut Jean Todt fiel sie am Start oder besser gesagt schon bei der Reifenwahl. "Wir haben uns entschieden, mit den weichen Reifen zu fahren, denn wir glaubten, dass sie über die Distanz genau so gut sind wie die harten, aber dass sie uns beim Start helfen können. Und wir hatten einen großartigen Start." Im Gegensatz zu den McLaren-Piloten, die mit den harten Reifen auf der schmutzigeren Seite starten mussten. Aber auch mit dieser Argumentation war Räikkönen nicht ganz zufrieden: er verlor das Rennen durch kleine Fehler, die ihn die Pole und damit einen möglichen Sieg kosteten.

Massa feierte seinen zweiten Sieg in Istanbul., Foto: Sutton
Massa feierte seinen zweiten Sieg in Istanbul., Foto: Sutton

"Ein super-aufregendes Rennen war der Türkei GP nicht", bilanzierte Christian Danner, "aber das Ergebnis und die daraus resultierende Spannung in der WM ist doch wirklich kaum zu überbieten." Für die WM waren der Ferrari-Doppelsieg und der Reifenschaden von Lewis Hamilton Gold wert. "So sind an der Spitze alle noch enger zusammengerückt und in den letzen fünf Rennen ist wirklich noch alles möglich." Zuletzt gab es einen solchen Vierkampf um den Titel in den Achtzigern - mit Senna, Prost, Mansell und Piquet. Allein die Erinnerung daran vertrieb die einschläfernde Langweile von Istanbul.

Nick Heidfeld hatte ohnehin seinen Spaß. "Das war einer der geilsten Starts, die ich bis jetzt gemacht habe", erfreute sich Heidfeld auch nach dem Rennen noch an seinem Start, bei dem er auf der dreckigen Seite gar nicht so gut weggekommen war. "Aber dann konnte ich in Kurve 1 außen an Alonso vorbei." Das fand auch sein Chef Mario Theissen klasse. "Nick hat das ganz clever gemacht. Er ist sofort auf die saubere Seite rübergeschwenkt und hat so auch Alonso packen können - das war schon genial."