Es ging ganz schnell. Der Regen wurde von allen erwartet, aber nicht in dieser Intensität. Er brach über den Nürburgring herein und alle Hilfe in Form von extremen Regenreifen kam zu spät. Binnen Sekunden mutierte die Auslaufzone der ersten Kurve vom Kiesbett zum F1-Parkplatz. Button, Sutil, Speed, Hamilton, Liuzzi - alle flogen sie an der gleichen Stelle ab.

Danach schien der Europa GP nach zwei Dritteln bereits entschieden, Felipe Massa der sichere Sieger zu sein. Nach einem chaotischen Start setzte sich Massa im trockenen Mittelteil des Rennens immer deutlicher von Fernando Alonso ab. Bis zu sechs Sekunden Polster baute er auf seinen Verfolger auf. Nachdem Massas Teamkollege Kimi Räikkönen mit einem technischen Defekt ausgefallen war, schien der Brasilianer niemanden mehr fürchten zu müssen.

Dann schlug der Wettergott ein zweites Mal zu. "Ich fuhr ein starkes Rennen bis zum zweiten Regenschauer", analysierte Massa. "Sobald ich die Regenreifen aufgezogen hatte, fühlte ich Vibrationen und das Auto war aus der Balance geworfen." Binnen weniger Kurven schloss Alonso zu Massa auf, den ersten Angriff des Weltmeisters konnte Massa noch parieren, beim zweiten war er machtlos, musste den Silberpfeil ziehen lassen und sich über einen verlorenen Sieg ärgern. "Dieser zweite Platz hinterlässt einen bitteren Beigeschmack", gestand Massa ähnlich enttäuscht wie sein Teamkollege. "Ich bin sehr enttäuscht", klagte Räikkönen. "Ich war in einer guten Position hinter Felipe und Alonso, das Auto war sehr schnell und ich war davon überzeugt, dass ich gewinnen konnte." Seine Hydraulik hatte etwas dagegen.

Markus Winkelhock war der Held des Tages., Foto: Sutton
Markus Winkelhock war der Held des Tages., Foto: Sutton

Fernando Alonso kam das gelegen. "Im Trockenen war Ferrari ein bisschen schneller als wir", gesteht er, "aber im letzten Abschnitt waren wir im Regen schneller." Ron Dennis begründete das nicht nur mit den Vibrationen an Massas Auto, sondern auch mit einem beim Boxenstopp veränderten Frontflügelsetup. Nachdem die erste Aufregung verflogen war, bezeichnete Alonso die beiden Berührungen mit Massa als normale Rennzweikämpfe. "Insgesamt ein gutes Wochenende." Eines, das ihn in der Fahrerwertung bis auf zwei Punkte an seinen Teamkollegen heranbrachte. "Bei halbnassen Bedingungen hat man dann gesehen: Wer mehr riskiert, der gewinnt", sagte Marc Surer. "Da hat Alonso bewiesen, dass er nicht durch Zufall zweifacher Weltmeister ist."

Noch mehr Chaos

9 Rennen, 9 Podestplätze: Lewis Hamilton war der Überraschungsmann der ersten Saisonhälfte. Als Rookie führte er die WM an und schwang sich auf, der neue Superstar der Formel 1 zu werden. Doch der Europa GP am Nürburgring war nicht das Wochenende des jungen Briten. Schon am Samstag erlebte er die Schrecksekunde des Tages: fünf Minuten waren noch zu fahren, Hamilton jagte die Pole, plötzlich Rauch aus seinem rechten Vorderrad, Teile flogen, der Reifen platzte, Hamilton schoss ausgerechnet im noch nicht umgetauften Michael-Schumacher-S geradeaus in die Reifenstapel. Erst am Sonntagmorgen bekam er von den Ärzten das Okay - er durfte fahren. Und wie! Schon in der ersten Kurve hatte er drei Plätze gutgemacht, dann der erste Rückschlag: Nick Heidfeld und Robert Kubica kollidierten, der Pole drehte sich und traf den Silberpfeil von Hamilton, der darauf langsamer wurde.

"Eine Kollision unter den Teamkollegen ist das letzte, was man sich wünscht", ärgerte sich Mario Theissen. "Ich hatte den schlechteren Start, hatte in der ersten Kurve eine gute Linie außen herum erwischt, wäre vorbei gewesen, aber Robert hat mich nach draußen in den Dreck geschickt und mir dann auch in Kurve 2 keinen Platz gelassen", erzählte Heidfeld. Kubica wollte nicht allzu viel zu der Situation sagen. "Ich wurde hinten von Nick getroffen, drehte mich und das war es."

Doch jetzt sollte das Chaos erst richtig beginnen: der erwartete Eifelregen setzte ein, die Autos segelten im Sekundentakt durch die Gegend, drehten sich ins Kiesbett, rodelten über die Wiese. Die Teams reagierten sofort: alle kamen nach der ersten Runde an die Box; nur Räikkönen verpasste die Einfahrt. Der Finne rutschte aus der Boxeneinfahrt und musste noch eine Runde auf Trockenreifen auf der nassen Fahrbahn absolvieren. So steuerten Massa und Alonso ihre Boxen als Führende an. Doch als solche kamen sie nicht wieder heraus.

Flugstunde mit dem Bagger

Erst der Qualifying-Unfall, dann die Kranflugstunde., Foto: Sutton
Erst der Qualifying-Unfall, dann die Kranflugstunde., Foto: Sutton

Markus Winkelhock, der Debütant im Spyker, hatte schon vor dem Start den richtigen Riecher bewiesen. Der fünfte Deutsche im Feld fuhr bereits nach der Einführungsrunde an die Box, zog Regenreifen auf und führte in seinem allerersten Grand Prix das Feld an. Obwohl er in diesem Jahr noch nicht einmal genügend F1-Testkilometer für eine Superlizenz gefahren war, fuhr er fehlerfrei durch den Regen zu Füßen der Nürburg. Das Chaos war damit noch lange nicht beendet. Die Teams hatten sich beim Boxenstopp für Intermediates entschieden, doch das war die falsche Entscheidung. Ralf Schumacher beschrieb die Verhältnisse als "Katastrophe". So flogen die Fahrer in der ersten Kurve gleich im Dutzend ab. An anderen Stellen sah es ähnlich aus.

Nur Hamilton hatte Glück im Unglück: er hielt den Motor am Leben, ließ sich vom Bagger aus dem Kiesbett heben und fuhr weiter. Seine Podiumsserie riss trotzdem, obwohl er mit seiner Aufholjagd und dem Kampf gegen alle Widrigkeiten das Beste daraus machte. Dennoch reiste er nicht mit leeren Händen aus der Eifel ab. "Ich habe das Fahren genossen, so hart gepusht wie es ging und wertvolle Erfahrungen gesammelt." Denn bis dahin musste Hamilton in seinen ersten neun F1-Grand Prix nie durch die harte Schule des Mittelfelds gehen.