Die Saison ist vorbei, doch der Schatten der Spionageaffäre verfolgt McLaren noch über das Jahr hinaus. Noch längst nicht abgeschlossen ist das strafrechtliche Verfahren gegen Nigel Stepney in Italien, das der zuständige Staatsanwalt von Modena, Giuseppe Tibis, auf die McLaren-Verantwortlichen ausgeweitet hat. Gestern wurde in diesem Zuge Testfahrer Pedro de la Rosa als Zeuge vernommen. Gegenüber der Gazetta dello Sport lobte Tibis das kooperative Verhalten des Spaniers. "De la Rosa war sehr gründlich und überzeugend", sagte der Staatsanwalt. "Ich denke, dieser Fall hat jetzt wichtige Konturen bekommen."

Vor de la Rosa war schon Fernando Alonso in Modena interviewt worden. In einem Monat sollen weitere Zeugen vernommen werden, vorher wolle man jedoch das bereits vorhandene Material nochmals untersuchen, sagte Tibis. Lewis Hamilton wird sich die Reise nach Modena aller Voraussicht nach jedoch sparen können. "Seine Position ist etwas sonderbar, wir müssen behutsam vorgehen. Momentan würde ich sagen, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass wir ihn befragen. Das gilt auch für die Verdächtigen, wir gehen nicht davon aus, dass wir sie verhören", so Tibis weiter.

Und auch auf sportlicher Ebene ist der Spuk der Spionage-Affäre für McLaren trotz des Rekordurteils nicht vorbei. Denn bald steht die Überprüfung des Silberpfeils für die nächste Saison an. FIA-Präsident Max Mosley kündigte in der BBC an, dass man auch auf Hilfe von externen Experten zurückgreifen werde, um sicherzustellen, dass kein geistiges Ferrari-Eigentum in die Entwicklung des MP4-23 geflossen ist. Er selbst habe daran jedenfalls Zweifel. "Die Ferrari-Daten waren genau zu dem Zeitpunkt im Besitz des Chefdesigners, als der McLaren für 2008 entwickelt wurde", sagte er.

Trotz der gründlichen Untersuchung werde es aber schwer, dem Team von Ron Dennis etwas nachzuweisen. "Die Schwierigkeit wird darin bestehen, dass wir am McLaren kein Teil finden werden, dass von Ferrari entwickelt wurde. Was wir aber stattdessen finden könnten, sind Ideen", sagte Mosley. "Doch wenn ein Chefdesigner auf diesem Technologie-Level und auf diesem Motorsport-Level eine Idee zugespielt bekommt, wird er sie an einer Stelle einsetzen, die keinen Bezug zu den Stellen hat, wo diese Idee an dem anderen Auto benutzt wurde", führte der FIA-Präsident aus. "Es wird nicht einfach etwas zu finden. Doch auf der anderen Seite werden wir auf Quellen zurückgreifen, die uns die größtmöglichen Chancen ermöglichen, etwas zu finden."

Sollte man tatsächlich nachweisen können, dass im neuen McLaren Ferrari-Technologie Eingang gefunden hat, bedeute das aber nicht automatisch einen Ausschluss des Teams für die kommende Saison. "Es ist wahrscheinlicher, dass sie mit Minuspunkten in die Saison starten müssten", sagte Mosley.

Für McLaren bedeutet die Spionageaffäre also weiterhin jede Menge Ärger. Der Formel 1 als Ganzes habe das Theater jedoch mehr genützt als geschadet, ist sich der FIA-Präsident sicher: "Auch wenn die ganze Sache hinter den Kulissen sehr nervtötend für uns und die involvierten Personen gewesen ist, in der Öffentlichkeit hat es das generelle Interesse verstärkt."