Ein Doppelweltmeister, ein zweifacher Vizeweltmeister und ein Rookie fliegen nach Brasilien. Das ist nicht der Beginn eines platten Witzes, es ist der Prolog für eines der spannendsten WM-Finals der letzten Jahre. Lewis Hamilton, Fernando Alonso und Kimi Räikkönen besitzen alle noch Chancen auf den Gewinn des WM-Titels. "Auf allen drei Kandidaten lastet ein immenser Druck, am meisten auf dem Führenden", glaubt Flavio Briatore, für den sein Ex-Pilot Alonso noch immer der Favorit ist; obwohl er vier Punkte Rückstand auf den WM-Führenden Hamilton aufweist. "Fernando besitzt die Erfahrung, er weiß, wie man Titel gewinnt und war in Brasilien immer schnell."

Hamilton lässt sich jedoch nicht unter Druck setzen. "Es heißt immer, Kimi ist cool wie Eis, als ob er keinen Puls hätte, aber ich denke, mein Unterbewusstsein ist genauso", betont Hamilton, der sich im letzten Jahr eine Klasse tiefer in einer ähnlichen Situation befand - am Ende gewann er den GP2-Titel gegen Nelsinho Piquet. "Kimi und Fernando haben mehr Erfahrung, aber ich kenne meinen Charakter - ich bleibe cool und habe das überwunden, was in China passiert ist." Dort machte er den ersten entscheidenden Fehler seiner noch jungen F1-Karriere, schied aus und verlor wertvolle Punkte im WM-Schlussspurt. Somit weiß er genau: "Trotz meines Vorsprungs von vier Punkten ist die Meisterschaft offen."

Zum letzten Mal war 1996 ein F1-Neuling in der Situation, um den Weltmeistertitel zu fahren. Es gab nur einen Unterschied: Jacques Villeneuve kam als ChampCar-Meister in die Formel 1. "Er war schon ein Champion. Damon nicht", erinnert sich Patrick Head. "Und damals war ChampCar noch viel größer als heute." Die Herausforderung für Damon Hill gegen seinen neuen Teamkollegen um den Titel zu fahren, war dennoch ähnlich groß wie heute für Fernando Alonso gegen Lewis Hamilton. "Aber Damon hat sich nie beschwert", betont Head. "Er wollte nie, dass wir ihn bevorzugen. Er war ein reifer Gentleman."

Patrick Head erlebte schon ähnliche Situationen. 1986 mit Piquet und Mansell, 1996 mit Hill und Villeneuve., Foto: Sutton
Patrick Head erlebte schon ähnliche Situationen. 1986 mit Piquet und Mansell, 1996 mit Hill und Villeneuve., Foto: Sutton

Bei McLaren Mercedes forderte Fernando Alonso in diesem Jahr mehrmals, dass man ihm mehr Augenmerk schenken sollte. Vor dem WM-Finale kamen sogar Gerüchte auf, dass man Hamilton einen stärkeren Motor geben könnte, weil sein Mercedes-V8 nur noch ein Rennen halten muss, während Alonsos Triebwerk schon in Shanghai im McLaren steckte. "Es ist unwahrscheinlich, dass ein Team absichtlich nicht die besten Teile an beide Autos baut", sagt Head. Bei McLaren betonte man in den vergangenen Tagen immer wieder, dass beide Fahrer gleich behandelt werden und die gleiche Chance auf den Titel besitzen. "Beide Fahrer erhalten exakt die gleichen Möglichkeiten, das Rennen und die Meisterschaft zu gewinnen", so Martin Whitmarsh.

Patrick Head kennt die Probleme mit zwei Toppiloten in einem Team aus erster Hand. "Als Frank Mitte 1985 Nelson Piquet verpflichtete, weil wir wussten, dass Keke Rosberg zu McLaren gehen würde, hatte Nigel Mansell noch kein Rennen gewonnen. Zu diesem Zeitpunkt hat es auch nicht danach ausgesehen", erinnert sich Head. "Dann hat Nigel Ende 1985 einige Rennen gewonnen. 1986 begann er mit dem Speed sowie der Fähigkeit zu gewinnen und der Einstellung in seinem Kopf, dass er die WM holen wollte." Damit hatte Piquet nicht gerechnet. "Es war ein Schock für Nelson." Denn Mansell forderte ihn heraus und es stand nichts in Piquets Vertrag, dass er die Nummer 1 war. "Frank hatte ihm wohl gesagt, dass er die klare Nummer 1 sein würde", verrät Head. "Denn auch er hatte nie erwartet, dass Nigel Nelson herausfordern würde." Doch Frank Williams konnte die Situation nicht lösen. "Also hatte ich es mit einer schwierigen Situation zu tun, weil Frank im Krankenhaus lag und nicht sagen konnte, was er 6 Monate davor in Österreich gesagt hatte." Nelson Piquet war deshalb ziemlich sauer. "Weil er dachte, dass wir ihn nicht unterstützen würden. Es gibt also einige Parallelen zu McLaren heute, auch wenn Nigel erfahrener war als Lewis."

Die Erfahrung spricht in diesem Jahr für Alonso. In den letzten beiden Jahren holte er sich an Ort und Stelle in Interlagos seine beiden WM-Titel. "Ich habe viele gute Erinnerungen an die Strecke", sagt er. "Ich bin zwar nur vier Punkte hinter Lewis, aber es muss schon einiges zusammenkommen, damit ich den Titel gewinnen kann", bleibt Alonso realistisch. "Das kann ich nicht beeinflussen. Aber ich werde alles Mögliche tun, um meine Chance zu nutzen. Ich erledige meinen Teil und hoffe, dass sich alles andere ergibt."

Zum Beispiel indem die Wetterfrösche recht behalten, denn sie sagen ein verregnetes Finalwochenende vorher. Flavio Briatore würde so ein Finale gefallen. "Viele Faktoren können in die Entscheidung hineinspielen: das Wetter, Felipe Massa oder auch andere Teams", sagt der Italiener. "Auf jeden Fall erwarte ich ein dramatisches Rennwochenende, an dem Brasilien noch einmal eine tolle Formel 1-Show erleben wird." Nur Martin Whitmarsh möchte ungern erleben, wie seine Fahrer vielleicht im letzten Rennen noch alles verlieren. "Für alle drei Titelaspiranten und unsere Nerven hoffe ich, dass es diesmal keine Wetterkapriolen oder Unfälle gibt." Seit zwölf Rennen liegen Hamilton und Alonso an der Spitze der Gesamtwertung und dennoch könnte am Ende Kimi Räikkönen der lachende Dritte sein.

Massa könnte bei seinem Heimrennen eine wichtige Rolle spielen., Foto: Sutton
Massa könnte bei seinem Heimrennen eine wichtige Rolle spielen., Foto: Sutton

"Wir konnten zwar in China und Japan nicht das Maximum holen, aber wir haben gezeigt, dass wir in der Lage gewesen wären, beide Rennen zu gewinnen", gibt sich der Finne forsch. "Wir haben neue Hoffnung, den Titel zu gewinnen." Dafür braucht er die Hilfe seines Teamkollegen Felipe Massa, denn nur ein Doppelsieg verspricht unter normalen Umständen eine erhöhte Titelchance für Räikkönen. Massa hat jedoch eigene Pläne für sein Heimrennen. "Mein Ziel ist der Sieg, aber wenn wir eine Möglichkeit sehen, dem Team zu helfen, dann werde ich natürlich tun, was ich kann", kündigt er an. Aber mit diesem Gedanken gehe er nicht ins Rennen. Der beste Weg das Rennen anzugehen, sei es, auf Sieg zu fahren. "Wenn ein Wunder passiert und beide McLaren im Niemandsland fahren, dann könnten ich und Kimi mit einem Doppelsieg Ferrari immer noch das gewünschte Resultat liefern." Ferrari ist auf alles vorbereitet. "Es gibt so viele mögliche Kombinationen, was passieren könnte, dass es nicht wert ist, darüber nachzudenken. Aber natürlich hat unser Team jede mögliche Situation durchgerechnet."

Wer wird wann Weltmeister?

Lewis Hamilton wird Weltmeister...

  • … wenn er gewinnt oder Zweiter wird, gleichgültig wie seine beiden Titelrivalen abschneiden.
  • ... wenn er bei einem zweiten Platz von Fernando Dritter oder Vierter wird.
  • ... wenn er Fünfter wird und Fernando nicht besser als Dritter; gleichgültig wie Kimi abschneidet.
  • ... wenn er Sechster oder Siebter wird und Fernando nicht unter die ersten Zwei kommt und Kimi nicht gewinnt.
  • ... wenn er Achter wird und Fernando nicht aufs Podium kommt und Kimi nicht unter die ersten Zwei kommt.
  • ... wenn er keine Punkte erzielt und Fernando höchstens Fünfter sowie Kimi maximal Dritter wird.

Fernando Alonso wird Weltmeister...

  • ... wenn er gewinnt und Lewis allenfalls Dritter wird.
  • ... wenn er Zweiter wird und Lewis höchstens auf Platz sechs ins Ziel fährt.
  • ... wenn er Dritter wird, Lewis höchstens einen Punkt holt und Kimi nicht gewinnt.
  • ... wenn er Vierter wird und Lewis keine Punkte erzielt und Kimi bestenfalls Dritter wird.

Kimi Räikkönnen wird Weltmeister...

  • ... wenn er gewinnt und Fernando höchstens Dritter und Lewis maximal Sechster wird.
  • ... wenn er Zweiter wird und Lewis höchstens einen Punkt erzielt und Fernando nicht unter die ersten Drei kommt.