Auf den ersten Blick war es ein grober Schnitzer. iSport vereitelte einen möglichen Sieg von Timo Glock im Sonntagsrennen, indem man den Titelaspiranten aus den eigenen Reihen nicht unter Gelb zum Pflichtstopp rief - sondern dessen Teamkollegen Andreas Zuber.

Timo fightete danach "wie 26 Runden lang Qualifying" und sicherte sich trotz des klaren Nachteils noch den vierten Rang. Genau das kam im Formel 1-Fahrerlager, wo viele Entscheidungsträger am Samstagnachmittag immer gebannt vor den GP2-Sendungen im Fernsehen sitzen, mächtig an.

Ron Meadows, der Sportliche Leiter von Honda, kann sich mit viel Fachwissen in die Situation eines GP2-Teams hineinversetzen. "Da kann man nicht wie in der Formel 1 oder vielleicht in der DTM Stallregie anwenden und im Hinblick auf die Meisterschaft entscheiden", sagt der Brite. "Denn schließlich steuern beide Fahrer eines Teams ihr Budget dazu bei, damit sie fahren können. Das heißt aber auch, dass der Teamchef nicht einfach so irgendwas anordnen kann - sondern es klare Absprachen gibt, an die man sich hält. Das ist nun mal die Situation in jeder Serie, in der die Piloten fürs Fahren bezahlen und nicht bezahlt werden."

GP2-Titelkampf oder F1-Ersatzfahrer?, Foto: GP2 Series
GP2-Titelkampf oder F1-Ersatzfahrer?, Foto: GP2 Series

Damit ist hinlänglich begründet, warum iSport-Teamchef Paul Jackson die zu Saisonbeginn festgelegte Regel, "unter Gelb stoppt immer der zuerst, der vorm anderen Teamfahrer liegt", in Arabien nicht auf einmal auf den Kopf stellen konnte. Das weiß auch jedes Mitglied der Chefetage im Formel 1-Fahrerlager. Deswegen verlagerte sich das Interesse bei Ausbruch der Gelbphase in vielen Motorhomes sofort darauf: Was kann Timo jetzt noch aus der verkorksten Situation rausholen. Dass er es mit vielen sehr schnellen und dazu noch außerordentlich konstanten Rundenzeiten auf Platz 4 packte, konnte jeder erkennen, der es sehen wollte. Denn in jedem Formel 1-Motorhome hängt neben jedem Bildschirm, über den die Rennbilder flirren, auch ein Zeitnahme-Monitor mit dem Gesamtstand und der jeweils zuletzt gefahrenen Rundenzeiten.

So wurde Timo auch ohne Sieg zum Star des Samstagsrennens. Und nachdem er am Sonntag in eindrucksvoller Manier mit einem klaren und clever herausgefahrenen Sieg zurückgeschlagen und sich die Tabellenspitze wieder erobert hatte, befand sich seine Aktie endgültig wieder im Steigflug. "Schon am Samstag habe ich wahnsinnig viele Glückwunsch-SMS erhalten", verrät Timo. "Und nach dem Sonntagsrennen ging es genau so weiter. Mir haben viele Leute aus der Formel 1 gratuliert; ich kriegte unheimlich viele Anrufe und SMS von Mitgliedern vieler verschiedener Teams. Mir haben viele Leute aus der Formel 1 gratuliert. Und das macht auch noch mal mehr Mut und sorgt für zusätzlichen Ansporn für die nächsten Rennen."

Doch ausgerechnet die Formel 1 könnte ihm dann einen Strich durch die Titelrechnung machen. "Denn nach dem derzeitigen Stand der Dinge kann ich beim GP2-Finale in Valencia nicht fahren - weil ich für das BMW Sauber F1 Team als dritter Mann nach Fuji muss", sagt Timo. Dort findet am selben Wochenende der Große Preis von Japan statt.

Glock bekomt als BMW-Tester viel mit - ausgerechnet das GP2-Finale wackelt., Foto: Sutton
Glock bekomt als BMW-Tester viel mit - ausgerechnet das GP2-Finale wackelt., Foto: Sutton

BMW-Renndirektor Dr. Mario Theissen hat nachgerechnet, dass Timo den Vorsprung von 20 Punkten kaum mehr herausfahren können wird. "Nicht nach dem Resultat gestern", nickte er am Sonntagmorgen von Istanbul. Timo weiß, dass der Meistertitel in seiner Vita wichtig wäre. "Es wäre natürlich schade, wenn ich Lucas di Grassi den Titel einfach so per Handschlag überlassen müsste", sagt er. "Aber auf der anderen Seite bin ich vertraglich an das BMW Sauber F1 Team gebunden. Natürlich respektiere ich es, wenn man dort sagt, ich müsse nach Fuji kommen."

Timos GP2-Teamchef Paul Jackson grübelt: "Wir müssen sehr genau überlegen, wie wir es hinkriegen können, dass Timo doch in Valencia fährt. Aber davor müssen wir erstmal versuchen, möglichst alle Rennen zu gewinnen. Dann erledigt sich das Problem vielleicht von selbst. Und dass Timo jederzeit, egal wo, jedes Rennen gewinnen kann, ist für mich keine Frage." BMW-Rennsportdirektor Dr. Theissen sagt: "Darüber kann ich noch keine Auskunft erteilen, weil wir uns noch nicht intensiv mit dem Thema beschäftigt haben. Das kommt auch auf die Situation in der Meisterschaft an."