Der schwere Trainingsunfall von Lewis Hamilton am Samstag verdrängte auf dem Nürburgring erst einmal das Thema "Spionageaffäre" ein bisschen aus den Schlagzeilen - und ließ sogar die schon fast traditionelle Feindschaft zwischen Ferrari und McLaren, die durch "Stepneygate" natürlich neuen Auftrieb erhielt, für einen Augenblick in den Hintergrund treten. Ferrari-Chef Jean Todt ließ es sich am Samstag nicht nehmen, in seinen offiziellen Erklärungen erst einmal seine Sorge um Hamilton und seine Erleichterung, dass es dem Briten gut gehe, kundzutun, ehe er die Pole Position von Kimi Räikkönen gebührend feierte. Lange hielt die Ruhe freilich nicht. Denn als endgültig klar war, dass Hamilton dem Horrorcrash völlig ohne Verletzungen entkommen war, da musste sich McLaren-Chef Ron Dennis dann doch noch einmal etwas zu den in den letzten Tagen in den Medien aufgetauchten weiteren Anschuldigungen gegen sein Team äußern, die vor allem auf angeblichen Zitaten aus der eidesstattlichen Erklärung von McLaren-Designer Mike Coughlan beruhten.

Am Donnerstag wird in Paris getagt, Foto: Sutton
Am Donnerstag wird in Paris getagt, Foto: Sutton

Ihn störte es massiv, dass diese Dinge überhaupt in die Öffentlichkeit gelangt waren - noch vor der Anhörung von McLaren am Donnerstag vor dem FIA-Weltrat. Tatsächlich waren die angeblichen Äußerungen Coughlans, nach denen er auch andere McLaren-Mitarbeiter über die erhaltenen Ferrari-Dokumente informiert habe, zunächst in zwei italienischen, dann von dort aus in einer englischen Zeitung aufgetaucht. "In verzerrter Form" - wie Dennis betonte... Um die Gerüchteküche nicht noch mehr anzuheizen, wollte er sich nicht weiter im Detail zu dem Fall äußern, bestätigte jedoch, dass das Team am Freitag ein Dossier mit Informationen an die FIA übermittelt hat. Bei McLaren-Mercedes gibt man sich weiter sicher, alle Vorwürfe gegen das Team entkräften zu können. "Wenn es unbeantwortete Fragen gibt, dann werden wir Antworten liefern", sagte Dennis - und auch Norbert Haug betonte ja immer wieder, "ich schlafe da ganz ruhig, wir haben uns absolut nichts vorzuwerfen."

Eines zeigt sich bei genauerer Betrachtungsweise ja zumindest im Moment schon: Viele als Tatsachen vorgebrachte "Beweise", dass McLaren sich in der Affäre unkorrekt verhalten oder sogar profitiert habe, sind eigentlich bis jetzt nicht wirklich belegt, teils auch leicht widersprüchlich. Da berichten zwei verschiedene Fachmagazine etwa, aus sicherer Quelle zu wissen, dass Coughlan von Nigel Stepney schon im März Informationen über den möglicherweise illegalen Ferrari-Unterboden erhalten habe. Aber einmal ist von einer e-mail die Rede, dann wieder von einem Telefongespräch. Den Copy-Shop, in dem Coughlans Frau die Unterlagen kopiert und dabei einen Angestellten misstrauisch gemacht haben soll, der dann Ferrari informierte, hat bis jetzt anscheinend noch kein Reporter ausfindig gemacht, genauso wenig wie besagten Mitarbeiter...

Der Eindruck, dass in dieser ganzen Affäre im Schneeball-System des gegenseitigen Zitierens und Abschreibens aus - vielleicht auch gezielt gestreuten - Gerüchten - sehr schnell quasi Tatsachen wurden, lässt sich nicht ganz verleugnen. Genauso wenig wie der Verdacht, dass gerade Ferrari sehr viel daran gelegen ist, immer wieder mal was Neues in die Öffentlichkeit zu tragen, kaum, dass sich der Aufruhr etwas gelegt hat. Nur, um dann Oberchef Luca di Montezemolo ganz besorgt verkünden zu lassen, wie schädlich die ganze Affäre doch für die Formel 1 sei... Der Donnerstag sollte da hoffentlich ein bisschen mehr Klarheit bringen, wenn die tatsächlichen Fakten auf den Tisch müssen.

Wobei in diesem Zusammenhang noch etwas interessant ist. Es gab ja vor einigen Jahren schon einmal einen Fall von Industriespionage in der Formel 1: Als Ferrari-Mitarbeiter bei ihrem Wechsel zu Toyota Unterlagen mitnahmen. In diesem Fall sprachen inzwischen ordentliche Gerichte rechtskräftige Verurteilungen zu Freiheitsstrafen auf Bewährung aus. Einen Grund zum Eingreifen, auch nur zu einer Untersuchung, geschweige denn zu einer Bestrafung von Toyota als "Empfängerteam" sah die FIA damals nie...