9 Rennen, 9 Podestplätze - Lewis Hamilton war der Held der ersten Saisonhälfte. Als Rookie führt er die WM an und schwingt sich auf, der neue Superstar zu werden. Doch der Europa GP war nicht das Wochenende des jungen Briten. Am Samstag ein heftiger Unfall, erst am Sonntagmorgen bekam er von den Ärzten das Okay - er durfte fahren. Und wie! Schon in der ersten Kurve hatte er drei Plätze gutgemacht, dann der erste Rückschlag: Nick Heidfeld und Robert Kubica kollidierten, der Pole drehte sich und traf den Silberpfeil von Hamilton, der darauf langsamer wurde.

Doch jetzt sollte das Chaos erst richtig beginnen: der erwartete Eifelregen setzte ein, die Autos segelten im Sekundentakt durch die Gegend, drehten sich ins Kiesbett, rodelten über die Wiese. Die Teams reagierten sofort: alle kamen nach der ersten Runde an die Box; nur Kimi Räikkönen verpasste die Einfahrt. Der Finne rutschte aus der Boxeneinfahrt und musste daher noch eine Runde auf Trockenreifen auf der nassen Fahrbahn absolvieren. So steuerten Massa und Alonso ihre Boxen als Führende an. Doch als solche kamen sie nicht wieder heraus.

Markus Winkelhock, der Debütant im Spyker, hatte schon vor dem Start den richtigen Riecher bewiesen. Der fünfte Deutsche im Feld fuhr bereits nach der Einführungsrunde an die Box, zog Regenreifen auf und führte nun in seinem allerersten Grand Prix das Feld an. Obwohl er in diesem Jahr noch nicht einmal genügend F1-Testkilometer für eine Superlizenz gefahren ist, fuhr er fehlerfrei durch den Regen zu Füßen der Nürburg. "Das Team hat mich direkt an die Box geholt", sagte Winkelhock hinterher. "Wir sind das Risiko eingegangen und es hat sich bezahlt gemacht." Der Anblick der Boxentafel machte ihn aber etwas perplex. "Als ich P1 gelesen habe, dachte ich nur: Führungskilometer in der F1, das hat man sein Leben lang, das kann mir keiner mehr nehmen."

Das Chaos war damit noch lange nicht beendet - es begann erst. Die Teams hatten sich beim Boxenstopp für Intermediates entschieden, doch das war die falsche Entscheidung. "Wir haben die falschen Reifen gewählt", gestand Nico Rosberg stellvertretend für alle Fahrer. "Es hieß erst, dass es nur wenig regnen würde, dann kam aber der ganze Regen herunter." Ralf Schumacher beschrieb die Verhältnisse einfach nur als "Katastrophe". So flogen die Fahrer in der ersten Kurve gleich im Dutzend ab. Button machte den Anfang, dann folgten Hamilton, Sutil und Liuzzi. An anderen Stellen sah es ähnlich aus. Nur Hamilton hatte Glück im Unglück: er hielt den Motor am Leben, ließ sich vom Bagger aus dem Kiesbett heben und fuhr weiter. Seine Podiumsserie riss trotzdem, obwohl er mit seiner Aufholjagd und dem Kampf gegen alle Widrigkeiten das Beste daraus machte.

Die Rennleitung konnte nur eines tun: das Safety Car herausschicken. Kurz darauf wurde das Rennen sogar unterbrochen und um 14:35 hinter dem Safety Car erneut gestartet. Für den Helden des Regenteils war das Rennen dann bald zu Ende. "Mein Ziel war es, das Rennen zu beenden", sagte Markus Winkelhock. "Leider hatte ich einen Motorschaden, aber das war zum Glück nicht mein Fehler. Das Wochenende war also trotzdem irgendwie erfolgreich." Ganz anders sah es für Ralf Schumacher aus. Er kollidierte mit Nick Heidfeld, der damit schon die zweite Kollision des Rennens hatte. "Nick ist ein sehr fairer Pilot, das war eine Rennsituation, aber es ist ärgerlich, weil es unnötig war", klagte der angesäuerte Ralf. Die Rennstewards kündigten eine Untersuchung des Vorfalls an. "Ich wusste schon vorher, dass er da sein könnte, aber er war zu keiner Zeit nah genug, um einen Versuch zu wagen", beschrieb Ralf die Situation. "Ich dachte, er schaltet und zieht früher zurück. Da habe ich Pech gehabt." Zumindest gab es eine Entschuldigung vom frisch gebackenen zweifachen Familienvater Heidfeld: er hob bei der nächsten Boxenvorbeifahrt entschuldigend die Hand.

An der Spitze sah derweil alles nach einem Dreikampf der verbliebenen Spitzenpiloten aus: Massa führte vor Alonso und Räikkönen. Dann der nächste Schock: Kimi Räikkönens Ferrari rollte langsam aus. Während Massa seinen Vorsprung auf Alonso ausbaute, musste der Finne aufgeben - aus war der Traum vom Sieg-Hattrick nach Magny Cours und Silverstone. Der Nürburgringfluch des Iceman hatte wieder zugeschlagen. Hinter Massa und Alonso entbrannte ein heißer Kampf um den frei gewordenen Podestplatz. Durch das Eifelchaos waren beide Red Bull von Mark Webber und David Coulthard, Alex Wurz sowie Heikki Kovalainen nach vorne gespült worden.

Kovalainen verabschiedete sich freiwillig aus dieser Gruppe: auf Platz 5 liegend ging er das Risiko ein, wechselte 10 Runden vor dem Ende auf Intermediates, noch bevor es zum zweiten Mal anfing zu regnen. 7 Runden vor dem Ende kamen auch die Führenden zum vierten Mal an die Box; auch bei ihnen waren Intermediates gefragt. Diesmal war das die richtige Entscheidung: der Regen war bei weitem nicht so stark wie in der Anfangsphase. Deswegen kam es zum Duell um den Sieg: Alonso machte nach dem Stopp den Vorsprung wett und attackierte Massa im Eifelregen am Nürburgring. Den ersten Angriff konnte Massa noch abwehren, beim zweiten Versuch kam es zur Berührung, Rauch stieg auf, aber Alonso schnappte sich Massa und ging fünf Runden vor Schluss in Führung!

Sah es im Trockenen noch so aus, als ob Felipe Massa der sichere Sieger sei, wendete sich das Blatt mit den zweiten Regentropfen des Tages. Aus sechs Sekunden Vorsprung wurde ein steigender Rückstand für den Brasilianer. Für Alonso war es der dritte Saisonsieg nach Malaysia und Monaco. Neben ihm standen Massa und Mark Webber auf dem Podium, wobei Webber den Podestplatz fast noch in der letzten Kurve an Wurz verlor. Die Punkteränge komplettierten eben dieser Wurz, Coulthard, Heidfeld, Kubica und Kovalainen. Für den Finnen ging das Glücksspiel mit dem frühen Reifenwechsel nicht auf. Er fiel von Platz 5 auf Platz 8 zurück. In der Fahrer-WM rückten die Top-4 weiter zusammen: Alonso (68 Punkte) liegt nun nur noch zwei Punkte hinter Hamilton (70), der am Nürburgring als Neunter leer ausging. Auf Platz 3 liegt wieder Felipe Massa mit 59 Punkten vor Kimi Räikkönen mit 52 Punkten.