Der Circuit de Nevers gilt als Retortenkurs. Als zusammenkopierte, topfebene Strecke ohne eigene Seele. Bei seinem wohl letzten Auftritt in der F1-Welt zeigte der bei den Fahrern durchaus beliebte Kurs noch einmal sein wahres Gesicht. Magny Cours ist kein Kurs aus der Retorte - es ist ein Schachbrett.

Auf diesem überdimensionierten Spielgerät im französischen Niemandsland ereignete sich die erste klassische Taktikschlacht der Saison. Mit Kimi Räikkönen sollte erstmals in diesem Jahr nicht der Fahrer gewinnen, der als Erster aus der ersten Kurvenkombination herauskam. "Ich versuchte mit Felipe mitzuhalten, aber ich wusste, dass ich später stoppen würde", war dem Finnen schon früh klar, dass der Sieg nur über die Strategie führen würde. Beim ersten Stopp kam Räikkönen jedoch nicht an seinem Teamkollegen vorbei. "Ich hatte Verkehr und konnte ihn nicht überholen", sagte er.

Bei Massa sollte es genau umgekehrt laufen. "Im 1. Stint war ich vor Kimi und hatte freie Fahrt", so Massa. "Deshalb bin ich auch vor ihm wieder rausgekommen." Im 2. Stint fuhr Räikkönen drei Runden länger als der Brasilianer. So wurde das erste und wichtigste Duell des Rennens an der Tankstelle gewonnen - und im Verkehr verloren. "Der Abstand hätte gleich bleiben sollen, aber ich habe viel Zeit im Verkehr verloren. Das hat mich den Sieg gekostet", ist sich Massa sicher. "Wenn drei oder vier Autos vor dir sind und miteinander kämpfen, hast du ein Problem."

Dem gleichen Problem sah sich Fernando Alonso gegenüber. Doch der Weltmeister wusste sich einige Male zu helfen. "Alonso hat ein paar tolle Manöver zeigt - davor muss man den Hut ziehen", lobte Christian Danner. Noch mehr Lob gab es für Nick Heidfeld. Der BMW Sauber-Pilot konnte Alonso bei einem von zwei rundenlangen Zweikämpfen hinter sich halten. "Er hat begeisternde Duelle mit Fernando Alonso gezeigt", strahlte Mario Theisen. "Ich glaube, das war das Beste, was wir in den vergangenen Jahren in der Formel 1 gesehen haben."

Hier war Felipes Welt noch in Ordnung: der ganze Verkehr hinter ihm., Foto: Sutton
Hier war Felipes Welt noch in Ordnung: der ganze Verkehr hinter ihm., Foto: Sutton

Bei den Rad an Rad Kämpfen der beiden Duellanten erlebte Theissen zwar einige bange Momente am Kommandostand, "aber es waren zwei Profis am Werk, insofern waren wir uns ziemlich sicher, dass nichts schief gehen würde." Heidfeld hatte jedenfalls seinen Spaß. "Ich hatte alle Hände voll zu tun, ihn hinter mir zu halten", sagte der Mönchengladbacher. "Es war unheimlich spannend, er hat es öfter versucht, ich bin ab und zu Kampflinie gefahren, aber einmal ist er durchgeschlüpft." Dennoch kam Heidfeld zwei Plätze vor Alonso ins Ziel und sicherte sich so trotz eines verlorenen Duells den Sieg im spannendsten Kampf des Tages.

Die sechs Fragezeichen

Was machte Ferrari auf einmal so stark?
Sie sind wieder da. Nach drei Rennen ohne Sieg, ja sogar ohne Siegchance stand Ferrari wieder ganz oben auf dem Treppchen. Wieder da? "Um ein Comeback zu haben, muss man erst einmal weg gewesen sein", bremst Norbert Haug die Spekulationen über die rote Wiederauferstehung. "Ich habe Ferrari nie verkannt", sagt der Mercedes-Motorsportchef, "sie sind hart kritisiert worden, aber meine Analyse war immer: Sie hatten ein Aufwärmproblem mit den Vorderreifen." Deshalb hätten sie in Monaco und Montreal nicht jene Startpositionen erreicht, die notwendig sind, um vorne zu kämpfen. Für McLaren war Ferrari also nie wirklich weg.

Das sieht auch Luca Baldisserri so. "In Indianapolis sind wir nicht gestorben, also ist es auch kein Wunder, dass wir heute wieder da sind. Wir haben an allen Bereichen gearbeitet, wir konnten alle Puzzleteile zusammensetzen und hatten ein perfektes Wochenende." Dafür gab es sogar Lob von Mario Theissen. "Das hat mich schon überrascht", sagte er. "Ferrari war bei den Überseerennen enttäuschend. Wir waren schon dran, sozusagen auf gleicher Höhe und plötzlich hat Ferrari hier sogar die McLaren wieder überholt und war ganz klar die erste Kraft. Da kann man nur gratulieren." Aber wie kam es dazu?

Eines der Puzzleteile ist ziemlich groß - der Windkanal. Dort ereignete sich nach dem Spanien GP ein folgenschwerer Unfall. Teile flogen durch die Luft, die Rollbahn wurde beschädigt, der Windkanal stand für mindestens zwei Wochen (so viel gibt Jean Todt offiziell zu) komplett still - eine Ewigkeit in der modernen F1-Aerodynamik, in der rund um die Uhr an neuen Teilen gewerkelt wird. Aber das war nur eines der Puzzleteile. Ein anderes waren die Streckenbedingungen, die in Magny Cours ganz anders als zuletzt waren. Ein weiteres waren die Streckencharakteristiken der letzten drei Kurse, die nach anderen Eigenschaften verlangten als die Kurse davor. Und dann ist es einfach wichtig, ein perfektes Wochenende zu erwischen, was Ferrari wegen kleiner Problemchen zuletzt nie gelang. "Es liegt sicher daran, dass das Wettbewerbsniveau so hoch ist, dass man alle Faktoren im Wettbewerbspaket perfekt hinbringen muss, um vorne zu sein", betont Theissen. "Wenn nur eines nicht passt, dann verliert man gleich ordentlich an Boden."

Rot und Silber liegen wieder fast gleichauf., Foto: Sutton
Rot und Silber liegen wieder fast gleichauf., Foto: Sutton

Warum war McLaren plötzlich eine halbe Minute zurück?
"Die halbe Minute Rückstand im Ziel ist für mich nicht realistisch", sagt Norbert Haug. Ferrari war in Magny Cours schneller, das gibt man bei den Silbernen offen zu. "Keine Strategie hätte uns heute zum Sieg verhelfen können", gesteht Martin Whitmarsh. Aber völlig auf den Kopf gestellt wurde das Kräfteverhältnis auch nicht. Demnach habe Lewis Hamilton hinter den beiden Ferrari relativ früh zurückgesteckt, den Motor geschont und das Rennen nach hause gefahren.

Das glaubt auch Ferrari. "Wir dürfen diese Informationen von Rennen zu Rennen nicht über- oder unterschätzen. Hamilton war auf einer anderen Strategie und im Verkehr ist er zurückgefallen", sagte Stefano Domenicali. "Wir dürfen also nicht zu fröhlich sein, weil wir 30 Sekunden haben, denn in anderen Rennen hatten wir das nicht." McLaren führte als Erklärung für den Umschwung die andere Streckencharakteristik in Magny Cours an. "Diese ähnelt Barcelona, dort waren wir in diesem Jahr nicht so stark und Ferrari hat gewonnen." Außerdem habe man wegen diverser Kleinigkeiten keine perfekte Leistung gezeigt. "Im Qualifying konnten wir das überspielen, aber in der Realität waren unsere Plätze die Ränge 3 und 4."

Was war mit Fernando Alonso los?
Platz 7 - damit war der Weltmeister nicht zufrieden. Selbst das viele Lob für seine "fantastischen" Überholmanöver konnte ihn nicht trösten. Denn teilweise waren diese Zweikämpfe für seine Misere verantwortlich. "Dabei verliert man viel Zeit", sagt Martin Whitmarsh. "Bei freier Fahrt hätte er vielleicht besser sein können." Das Team hatte für ihn eine Zweistoppstrategie ausgeklügelt, allerdings ging man davon aus, dass er aus der ersten oder zweiten Reihe starten würde. Dann kam der Getriebedefekt im Qualifying und Startplatz 10 war die Folge. "Wenn man sich als Zehnter qualifiziert, wird man Verkehr auf der Strecke haben. Beim Boxenstopp werden die Leute dann länger draußen bleiben und dich wieder überholen, also kann man nicht viel machen."

Whitmarsh gesteht jedoch, dass man mit einer Dreistoppstrategie vielleicht den einen oder anderen Platz hätte gutmachen können. "Möglicherweise hätte er dann mehr freie Fahrt gehabt. Aber wir hatten beim ersten Stopp Sorgen, dass er hinter eine Fahrzeuggruppe zurückfallen könnte." Dann hätte er noch mehr mit Verkehr zu kämpfen gehabt. "Durch die Verwirbelung verlierst du in den schnellen Kurven zu viel Abtrieb", sagt Christian Danner. "Selbst wenn einer langsamer ist und dich vorbeilässt, kostet es dich zwei, drei Zehntel pro Runde. Wenn das ein paar Mal passiert, bist du geliefert."

Für einige war das Rennen schnell vorbei., Foto: Sutton
Für einige war das Rennen schnell vorbei., Foto: Sutton

Was ist bei den Startunfällen passiert?
Zweimal krachte es am Start. Das erste Opfer war Heikki Kovalainen. "Jarno hat offensichtlich zu spät gebremst", analysierte der Finne. "Ich habe ohne Probleme in die Kurve eingelenkt. Ich hatte auf der Geraden sogar nach hinten geschaut und Nick war mit etwas Abstand hinter mir. Jarno hat hinter Nick gebremst - aber zu spät und zu tief und dabei hat er mein rechtes Hinterrad erwischt."

Der Italiener nahm den Vorfall klar auf seine Toyota-Kappe. "Das Feld war dicht gedrängt in der ersten Runde und wenn ich ehrlich bin, habe ich mich in die Haarnadel hinein verschätzt. Ich habe niemanden angegriffen, sondern einfach zu spät gebremst und Kovalainen getroffen." Damit hat er aber nicht nur sein Rennen und jenes von Kovalainen verdorben. Auch sein Teamkollege Ralf Schumacher musste dem Unfall ausweichen und hat so einige Positionen verloren.

Das Rennen von Tonio Liuzzi dauerte nicht viel länger "Ich fühlte einen Schlag von hinten, wahrscheinlich von Davidson und drehte mich - dann sind wir wieder kollidiert." Davidson sah eine Gruppe von Autos vor sich bremsen. "Wurz ging außen an Liuzzi vorbei, weswegen er stark bremste und das hat eine Kettenreaktion ausgelöst." Die beiden Autos berührten sich und Liuzzi drehte sich. "Ich glaube, jemand anderes hat ihn dann noch einmal getroffen und in mich hineingeschickt."

Warum hätte es am Start beinahe noch mal gekracht?
Nick Heidfeld war einer der Racer des Rennens, aber beinahe wäre es gar nicht zu den heißen Zweikämpfen mit Alonso gekommen. "Ich hatte einen sehr guten Start, wollte links an Fisichella vorbei, dort hat er geblockt, also bin ich nach rechts, dann hat er mich aufs Gras gedrückt", schilderte Heidfeld den Beginn seines Rennens. "Das fand ich nicht ganz in Ordnung, denn es waren zwei Richtungswechsel."

Was ist bei Christijan Albers' Stopp schief gegangen?
Die Szenen wirkten surreal: Ein oranges Formel 1-auto zieht einen Benzin spuckenden Tankschlauch hinter sich her, bevor es ausgangs der Boxengasse ausrollt. "Er machte einen Fehler - fuhr los, als der Lollipop noch unten war und riss den Tankschlauch heraus", fasste Mike Gascoyne den Zwischenfall zusammen. "Ich dachte, dass der Lollipop hochgehen würde", sagte Albers. "Der hat wohl holländische Zuchttomaten auf den Augen", kommentierte Christian Danner die Szene. "So weit ich informiert bin, darf man nicht fahren, wenn der Lollipop unten ist. So etwas habe ich überhaupt noch nicht gesehen."