"Nur" sechs GP-Siege, nur vier komplette Jahre in der Formel 1, nie Weltmeister - und dennoch einer der größten Rennfahrer aller Zeiten, bis heute, 25 Jahre nach seinem tödlichen Unfall im belgischen Zolder, unvergessen, von Millionen von Fans immer noch verehrt und geliebt? Ja - denn Gilles Villeneuve ist das beste Beispiel dafür, dass es nicht immer die Statistiken sind, die wahre Größe ausmachen, die einen Superstar der Formel 1 aus der Menge der guten und sehr guten Fahrer herausheben. Dieser kleine Kanadier, der äußerlich eher wie ein schüchterner Junge wirkte, als er 1977 in die Formel 1 kam, der nie Probleme hatte, mit seinem Trick, sich zwei Jahre jünger zu machen, als er eigentlich war, durchzukommen - der verblüffte im Auto sehr schnell alle Beobachter mit schon ewig nicht mehr gesehenem Speed, einer unglaublichen Fahzeugbeherrschung - und einem Siegeswillen, einer Fixierung auf's Gewinnen, ohne Wenn und Aber...

Für Gilles Villeneuve gab es kein taktisches Fahren, Foto: Sutton
Für Gilles Villeneuve gab es kein taktisches Fahren, Foto: Sutton

Auf "Platz" fahren, sichere Punkte mitnehmen, den Blick auf den WM-Titel gerichtet, das war für Gilles Villeneuve nicht vorstellbar, eine völlig fremde Welt, nicht nachvollziehbar, "für mich sind solche Leute Buchhalter, aber keine Rennfahrer", pflegte er zu sagen. Er wollte den Erfolg im direkten Kampf, jetzt sofort - und nicht irgendwann am Ende der Saison, in irgendeiner Punktetabelle. Eine Einstellung, die auch damals schon nicht unbedingt die am Ende erfolgversprechendste war, heute noch undenkbarer in einer weiter professionalisierten und kommerzialisierten Formel 1 - aber eine, die Gilles Villeneuve eben zu dem ganz besonderen Idol machte, das er bis heute ist. Dass er dabei oft größere Risiken einging als die meisten anderen, das war ihm einerseits wohl schon bewusst, andererseits erschien er immer absolut furchtlos. "Ich habe schon Angst: Vor dem Unbekannten zum Beispiel - aber nicht vor einem Unfall. Sicher, ich möchte nicht unbedingt einen Unfall in einer superschnellen Kurve. Ich bin ja nicht verrückt. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ich mich einmal verletzen könnte. Das erscheint mir unmöglich", sagte er einmal, ziemlich am Anfang seiner Karriere - und ausgerechnet in Zolder...

Das erhöhte Risiko spiegelte sich schon wieder - in einer größeren Zahl an Unfällen, aber eben auch in unvergleichlichen Aktionen. Die Highlights, die in Erinnerung blieben, sind da passenderweise auch nicht immer Siege. Obwohl einer natürlich auf jeden Fall dazu gehört. Der von Spanien 1981, als Villeneuve in Jarama in einem deutlich langsameren Ferrari das ganze Rennen über vier eigentlich schnellere, drängende Rivalen kontrollierte, keinen Fehler machte, eine Fahrt, die der damalige Brabham-Designer Gordon Murray als "die beste aller Zeiten" bezeichnete. Im Ziel hätten die fünf Autos von Villeneuve, Laffite, Watson, Reutemann und de Angelis unter das sprichwörtliche Handtuch gepasst - aber Villeneuves Kampfgeist und perfekte Fahrzeugbeherrschung hatten sich durchgesetzt.

Aber da waren auch noch das unvergessene Rad-an-Rad-Duell mit René Arnoux um den zweiten Platz in Dijon 1979, vielleicht der längste und faszinierendste Zweikampf, den die Formel 1 je gesehen hat. Oder die Runde zurück an die Box in Zandvoort 1980, auf der Felge, nach einem Reifenschaden - bei etwas Nachdenken sicher nicht wirklich erfolgversprechend, aber eben so unglaublich spektakulär, so typisch Gilles, dass sie in jeder Erinnerung an ihn immer wieder auftauchen wird.

So wie die an den Menschen Gilles Villeneuve mit seinem unbeugsamen Gerechtigkeitssinn, mit seiner Fairness, die ihn etwa 1979 dazu brachte, widerspruchslos und ohne große Showaktionen den WM-Titel seinem von Ferrari darauf angesetzten Teamkollegen Josy Scheckter zu überlassen - obwohl er der deutlich Schnellere der beiden war, praktisch das ganze Jahr über und speziell an jenem Sonntag in Monza, als er mit einem Sieg seine Titelchancen hätte offen halten können, aber als treuer Leutnant hinter dem Südafrikaner ins Ziel fuhr. "Es wäre falsch gewesen, eine Show zu machen, ihn zwischendurch mal nur so zu überholen, den Leuten zu demonstrieren, dass ich der Schnellere bin. Es wäre einfach nicht nett gewesen. Ich kannte die Regeln, und ich hatte mein Wort gegeben..."

Abmachungen bedeuteten viel für Gilles Villeneuve, Foto: Sutton
Abmachungen bedeuteten viel für Gilles Villeneuve, Foto: Sutton

Sein Wort gegeben - das bedeutete ihm viel. Soviel, das der Wortbruch eines anderen wahrscheinlich einen großen Anteil an seinem Schicksal hatte. Imola 82, die interne Ferrari-Abmachung, dass in den letzten Runden nicht mehr überholt würde, Didier Pironi, der sich nicht daran hielt und dem völlig überraschten Villeneuve, der mit so etwas nie gerechnet hatte, den Sieg wegschnappte, der Ärger, die Enttäuschung, das Gefühl, betrogen worden zu sein - das brachte dann zwei Wochen später in Zolder einen Villeneuve an den Start, der nur eines im Sinn hatte: Es Pironi heimzuzahlen, ihn schon im Qualifying abzuhängen - um jeden Preis. Der Satz über das Risiko und die Unverletzbarkeit, von Zolder 1978, er ging damals noch weiter: "Am Ende eines Qualifyings, wenn es um alles geht, wenn man etwa um die Pole fährt, dann kann man wohl jegliche Angst ausschalten..."

Wenn einen stärkste Emotionen treiben, noch mehr Wille da ist als normal, um ein Signal zu setzen, wenn dadurch das letzte bisschen Vorsicht aus Selbstschutz zurückbleibt, dann allemal. Auch wenn es über eine blinde Kuppe geht. Und wenn hinter der dann ein langsam fahrender Kollege nicht dort ist, wo er eigentlich sein sollte, dann versucht, seinen Fehler im letzten Moment wieder gutzumachen, damit aber dann endgültig das Drama heraufbeschwört, dann ist wohl das Schicksal nicht mehr abzuwenden... "Gilles war ein Gigant, der perfekte Rennfahrer, in jedem Auto schnell, einer der Besten aller Zeiten - und mit Sicherheit der Schnellste und Talentierteste von uns allen", würdigte ihn damals Niki Lauda. "Aber ich habe ihn trotzdem eigentlich noch mehr gemocht, als ich ihn bewundert habe." Dem ist wohl auch heute nichts hinzuzufügen...