Der R27 - Das Auto der Wahrheit für Fisichella

Es ist immer wieder das gleiche - alle F1-Jahre wieder: Alle wissen, dass Saisonvorhersagen zu Jahresbeginn unmöglich sind und dennoch prasseln die Prognosen nur so auf uns herab. "Es gab in diesem Jahr so viele Veränderungen bei den Teams, so viele wie seit vielen Jahren nicht mehr, dass eine Vorhersage schwieriger denn je ist", bestätigte Renault-Chefrenningenieur Pat Symonds vor wenigen Tagen diese Theorie. Obwohl Pat nicht zu den Fans von Pre-Season-Prognosen gehört, musste aber auch er einräumen, dass er "ziemlich optimistisch" in die neue Saison geht - vor allem, da man die Zuverlässigkeitsziele bislang erreicht habe.

Bei den ersten Tests mit dem neuen R27 streikten zwar hin und wieder der Motor, das Getriebe und die Elektronik, dennoch konnte man bereits zwei volle Renndistanzen mit den beiden neuen Autos abspulen. "Solche Probleme sind bei einem komplett neuen Auto normal", betonte Cheftestingenieur Christian Silk. "Da wir schon zwei Autos zur Verfügung hatten, konnten wir mehr Probleme finden und mehr Setuparbeiten durchführen als bei jedem bisherigen ersten Test mit einem neuen Wagen."

Trotzdem ist Symonds nicht so euphorisch wie vor 12 Monaten. "Das sollte man aber nicht so interpretieren, dass wir niedergeschlagen wären", wehrte er ab. "Wir müssen einen Fahrerabgang und einen Reifenwechsel verkraften, aber ansonsten nichts." Giancarlo Fisichella sieht Renault deshalb sogar im Vorteil - da sich im Vergleich zu vielen anderen Teams nur wenig geändert hat. "Das Team ist stabil und wir wissen, in welche Richtung wir gehen", so Symonds. "Wir können nicht so optimistisch sein wie im letzten Jahr als wir ein unverändertes Team hatten, aber es ist nicht das Ende der Welt."

Schafft er's oder schafft er's nicht?

Für Fisichella könnte die Saison 2007 dennoch zu etwas ähnlichem wie dem Ende seiner F1-Welt werden. 2007 wird ein wichtiges Jahr für den Italiener. Nach dem Wechsel von Fernando Alonso und der Verpflichtung von Heikki Kovalainen ist er die neue Nummer 1 im Weltmeisterteam. Entsprechend verlangt nicht nur er selbst von sich den WM-Titel. "Ich bin zuversichtlich, dass ich die WM gewinnen kann", verriet Fisichella bereits im letzten Jahr. "Zusammen mit Räikkönen und Alonso gehöre ich zu den Hauptanwärtern."

Er wisse, dass er ein tolles Auto und ein ebenso tolles Team zur Verfügung habe, das er bereits seit zwei Jahren kenne. Es gibt also keine Entschuldigungen mehr: Fisichella muss 2007 auf der Strecke beweisen, dass er zu den Top-Piloten gehört. Die Kampfansage ist allerdings nicht unbekannt. Vor ziemlich genau einem Jahr kündigte Fisichella das gleiche an...

"Wenn er es dieses Jahr nicht schafft, dann bezweifle ich, dass er es jemals schafft," lautet die wenig Vertrauen erweckende Schlussfolgerung seines Technischen Direktors Bob Bell. "Wir werden ihm das beste Material und jegliche Unterstützung geben, die wir ihm geben können und dann werden wir sehen, wohin uns das bringt." Flavio Briatore geht jedenfalls mit dem Gedanken in die neue Saison, dass Fisichella die Weltmeisterschaft gewinnen kann. Aber was will sein Teamchef sonst sagen? "Nachdem ich mit ihm während der letzten Monate gesprochen habe, denke ich, er hat genug Charakter, um zurückzukommen, aufzustehen und den Job zu machen", gab sich Symonds zum Fall Fisichella zuversichtlich.

Bereit zum Senkrechtstart

Andererseits steht mit Heikki Kovalainen bereits der nächste Nachwuchsfahrer in den Startlöchern, dem das Potential zugetraut wird, einer der Schnellsten im Feld zu werden. Symonds hält jedenfalls viel von seinem neuen Schützling. "Ich habe in meinen vielen Jahren mit vielen Weltmeistern wie Michael Schumacher, Ayrton Senna und Nelson Piquet gearbeitet", sagte er. "Wenn ich Heikki ansehe, erkenne ich vieles von ihnen in ihm wieder." Dabei benötigt ein Fahrer heutzutage nicht nur das Talent, ein Auto auf der Geraden und vor allem in den Kurven schnell zu bewegen. "Das war schon immer nur ein Teil des Ganzen." Man benötige auch eine gewisse Rennintelligenz, um ein Rennen zu verstehen und das Auto auch einmal zu schonen, um zu einem anderen Zeitpunkt besser attackieren zu können. "Bei Heikki sehe ich verdammt viel dieser Rennintelligenz."

Er mag vielleicht in seinem Testjahr bei Renault etwas eingerostet sein, aber er sei auch ein Naturtalent. "In einem Jahr werden wir sicherlich auf einige fantastische Rennen von ihm zurückblicken können." Sogar einen Sieg möchte Symonds nicht ausschließen. "Das könnte passieren. Gleichzeitig werden wir aber auch auf einige spektakuläre Fehler zurückblicken können. Und uns fragen: Wie um alles in der Welt konnte das nur passieren?" Aber genau das gehöre zum Lernprozess eines jungen Piloten dazu. "Langsam zu sein und keine Fehler zu machen, ist nicht wirklich aufregend. Langsam zu sein und Fehler zu machen ist ein Desaster. Schnell zu sein und auf dem Weg einen eigenartigen Fehler zu haben ist ziemlich akzeptabel."

Kovalainen selbst spürt keinen zusätzlichen Druck als Nachfolger von Doppelchampion Alonso. "Es ist eine große Chance, im ersten Jahr mit einem Top-Team konkurrenzfähig zu sein, die nur sehr wenige Fahrer bekommen", sagte er. "Das Team wird stark sein und das Auto wird schnell sein. Ich muss ruhig bleiben und kühlen Kopf bewahren."

Die ersten Rennen werden nicht einfach sein. "Meine Philosophie wird sein, sich auf das Schlimmste vorzubereiten. Vielleicht wird es ein paar schlechte Rennen geben, aber ich werde mich auf die Dinge Schritt für Schritt konzentrieren - das erste Rennen beenden, dann das zweite und so weiter." Die Außenwelt interessiert ihn nicht. "Ich hoffe, dass meine Saisonkurve steil nach oben geht, und dass ich gute Resultate erziele. Denn mir ist klar, dass die Erfolge irgendwann da sein müssen." Die Messlatte wird Fisichella sein. "Ich weiß, dass ich mit gleichem Material und mit gleichen Möglichkeiten in die Saison gehe wie Fisichella, und da versuche ich sofort meinen eigenen Platz zu erobern. Aber ich fühle mich nicht als Titelkandidat. Mit solchen Gedanken zerbreche ich mir erst gar nicht den Kopf." Fisichella muss das. Vorteil Kovalainen?