Flavio, das Renault F1 Team ist nun zweifacher Doppelweltmeister. Zwei bemerkenswerte Jahre liegen hinter euch…
Flavio Briatore: Eine fantastische Zeit. Wir haben uns nach der Rückkehr von Renault 2001 vom hinteren Mittelfeld ganz nach vorn gearbeitet – zu zwei Konstrukteurstiteln in Folge. Und wir haben Fernando zu zwei Fahrerweltmeisterschaften verholfen. Der erste der beiden Titel war ein historisches Ereignis, weil erstmals in der Geschichte der Formel 1 ein Volumenhersteller mit eigenem Auto Weltmeister wurde. Dies zu wiederholen, ist ein Erfolg, den so schnell niemand anders erreichen dürfte. Der Renault Konzern hat sich langfristig zur Formel 1 bekannt – und zwar, weil das Team Top-Ergebnisse abliefert und sich die Investitionen durch Erfolge auszahlen. Der zweite Titel dieses Jahr hat gezeigt, dass unsere erste WM kein Strohfeuer war. Renault F1 zählt endgültig zu den ganz Großen der Formel 1.

Ohne Fernando Alonso wird das Team für Flavio Briatore nicht mehr das selbe sein, Foto: Sutton
Ohne Fernando Alonso wird das Team für Flavio Briatore nicht mehr das selbe sein, Foto: Sutton

Worin sehen Sie das Geheimnis des Erfolgs?
Flavio Briatore: Es stand in Großbuchstaben auf den Seitenkästen des Autos: Team Spirit. Wir verfügen nicht über das größte Budget; wir zahlen nicht die höchsten Gehälter; wir beschäftigen nicht die meisten Menschen; und wir haben auf keiner Ebene Superstars verpflichtet. Wir arbeiten vom Start bis ins Ziel als Team. Die Mitarbeiter tauschen sich offen und direkt aus, sie verlangen Arbeit nach höchsten Maßstäben, und in allen brennt das Feuer für den Wettkampf und der Hunger nach Siegen. Der vergangene Sommer ist das beste Beispiel: Wir kämpften gegen eine ganze Reihe von Problemen, die uns zurückwarfen, aus denen das Team aber stärker als zuvor zurückkam. Ich bin stolz, Teil eines solchen Teams zu sein.

Das technische Paket schien 2006 ähnlich stark zu sein wie 2005…
Flavio Briatore: Und damit standen wir ziemlich allein da. Ferrari hatte Ende 2005 die Entwicklung eingestellt, um sich auf das 2006er Auto zu konzentrieren, das ja auch sehr stark war. McLaren hatte bis zum Saisonende gepusht, aber offenbar darüber die Entwicklung des diesjährigen Autos vernachlässigt. Wir haben vergangenes Jahr bis zum letzten Rennen um den Titel gekämpft und ihn gewonnen – und traten 2006 dennoch am besten vorbereitet an. Dafür gebührt vor allem Rob White und seinem Motorenteam in Viry ein Riesenlob. Sie haben einen brandneuen V8-Motor konstruiert, lange gewartet, bis sie ihn auf der Strecke testeten – und das erste Rennen gewonnen. Selbst zu einem späten Saisonzeitpunkt, als wir unter Druck gerieten, haben sie die Limits von Leistung und Zuverlässigkeit weiter angehoben. Sie haben unglaubliche Arbeit geleistet, genau wie die Mannschaft in Enstone, die in jedem Bereich neue Maßstäbe gesetzt hat.

Das Team erlebte in diesem Jahr einige Ups und Downs – aber das schien euch nicht aus der Bahn zu werfen…
Flavio Briatore: Diese Saison war sehr hart, für das Team und Fernando viel härter als 2005. Wir kämpften gegen Ferrari in Bestform und gegen einen Michael Schumacher, der in seinem letzten Jahr noch einmal absolut alles zeigte, was er kann. Das summierte sich zu einem unglaublichen Fight und war sehr stressig für alle von uns. Es war eine Ehre, Ferrari zu schlagen, besonders, weil viele zwischendurch schon dachten, wir wären besiegt. Aber wir haben es geschafft, und die vielen Herausforderungen auf diesem Weg lassen den Sieg umso süßer schmecken.

Konnte das Team in dieser Hitze des Gefechts seine bekannte Arbeitseffizienz aufrechterhalten?
Flavio Briatore: Eindeutig ja. Wir geben weniger Geld aus als Ferrari und gewinnen trotzdem. Zum Glück macht Geld allein kein Auto schneller. Effizienz, Innovation, Kreativität, Management – all das zählt genauso viel wie das Geld, das du aufwendest. Und wir haben bestimmt mehr aus unserem Budget gemacht als manches andere Team.

In Heikki Kovalainen hofft Briatore, den Anti Alonso gefunden zu haben, Foto: Sutton
In Heikki Kovalainen hofft Briatore, den Anti Alonso gefunden zu haben, Foto: Sutton

Sie haben das Team im Hintergrund gelobt, doch die Fahrer verdienen sicherlich auch besondere Erwähnung…
Flavio Briatore: Fernando fuhr einfach überirdisch dieses Jahr. Er beging die ganze Saison über keinen Fehler. Unser Verhältnis zu ihm war auf einem neuen Höhepunkt angelangt, und wir haben trotz seines feststehenden Abschieds zusammen gewonnen. Auch Giancarlo erreichte neue Höhen. Er holte mehr Punkte als 2005, fühlte sich im Team wohl und kann 2007 wieder einen Schritt nach vorn machen. Von außen mag er kritisiert und angezweifelt werden, doch das Team vertraut ihm und glaubt, dass er ein neues Level erreichen wird.

Auch persönlich hatten Sie im vergangenen Sommer einige Herausforderungen zu bestehen, z.B. einen Verdacht auf Krebs…
Flavio Briatore: Das stimmt, und auch in dieser Sache konnte ich aus unserem Team Motivation ziehen. Dino Toso, unser Chefaerodynamiker, kämpft mit sehr viel Mut seit zwei Jahren gegen den Krebs an. Als ich die Diagnose erhielt, war das ein weiterer Schlag in einem schwierigen Jahr. Aber das ist es eben, was ich 2006 über unser Team gelernt habe: Wenn es schlecht läuft, gewinnt das Team aus sich selbst neue Stärke und kommt besser und vereinter zurück.

Für 2007 haben Sie das Saisonziel ausgegeben, weiter Siege einzufahren. Ist das angesichts des Abgangs von Weltmeister Fernando Alonso ein realistisches Ziel?
Flavio Briatore: Wir werden nächstes Jahr ohne Fernando nicht mehr dasselbe Team sein, doch wir freuen uns auf diese Herausforderung. Alonso erwies sich als der Anti-Schumacher, und wir hoffen, in Heikki Kovalainen den Anti-Alonso gefunden zu haben. Aber der Fahrer ist immer nur ein Teil des Gesamtpakets. Von den drei Topteams sind wir das einzige, das mit unverändertem technischem Stab in die neue Saison geht, und Stabilität fördert in der Formel 1 bekanntermaßen den Erfolg. Auch das Management ist stabil, und wir verfügen über die finanziellen Mittel, unseren Job gut zu erledigen. Wir wurden schon früher für unsere ehrgeizigen Zielsetzungen kritisiert und werden es bestimmt wieder. Aber wir kennen den Weg, den wir zu beschreiten haben – und wir vertrauen darauf, dass es der richtige ist.

Das Team wird ab dem kommenden Jahr als ING Renault F1 Team antreten…
Flavio Briatore: Wir sind sehr glücklich, ING in der Formel 1 willkommen zu heißen. Dass wir einen neuen Partner gewinnen konnten, der das Sponsoring der Tabakindustrie auf demselben Niveau ersetzt, zeigt nach meiner Ansicht, wie stark die Formel 1 im Moment dasteht. Und es beweist die Attraktivität unseres Teams, dass ING uns gegenüber McLaren oder Ferrari vorzog. ING ist ein ehrgeiziges Unternehmen, das an die Formel 1 glaubt. Sie engagieren sich vom ersten Rennen an in großem Maßstab, indem sie als Titelsponsor der Saisoneröffnung in Melbourne auftreten. Ihr Einstieg ist eine gute Nachricht für den Sport.

Stichwort Zustand der Formel 1: Wo steht die Königsklasse nach der Saison 2006?
Flavio Briatore: Sie ist im Moment sehr gesund. Die Strukturen sind gefestigt, denn die Teams haben sich langfristig zur Formel 1 bekannt, und wir haben Regeln vereinbart, die die Show verbessern und die Kosten senken werden. Am allerwichtigsten: Wir haben 2006 einen mitreißenden Kampf geliefert – und die Anzeichen stehen gut, dass es auch 2007 fantastische Duelle geben wird. Das Saisonfinale zog riesiges Interesse auf sich, und alle diese Zuschauer werden auch im kommenden Jahr wieder dabei sein, um die Fortsetzung mitzuerleben. Wir werden eine neue Generation Fahrer sehen, viele Piloten in neuen Teams, kurz: Die Karten werden neu gemischt. Das macht die Sache aufregend und den Ausgang unvorhersehbar – genau das also, was die Formel 1 braucht.