Selten hat man Mario Theissen so berührt und begeistert zugleich gesehen, wie nach den 13 Runden von Alex Zanardi im BMW-Sauber. Wenn die Formel-1-Saison nicht schon vorbei wäre - man würde denken, dass das deutsch-schweizerische Team soeben den ersten Doppelsieg seiner Geschichte eingefahren hat. Doch die Geschichte, die sich am Samstag in Valencia abgespielt hat, war einfach noch schöner, selbst für den BMW-Motorsportchef. Es war das I-Tüpfelchen der unglaublichen Geschichte des Alessandro Zanardi, den alle nur Alex nennen. Der Rennfahrer, der bei einem Unfall beide Beine verlor, nicht aufgab, wieder Rennen fuhr und sogar gewann und nun - fünf Jahre später - wieder in ein Formel-1-Auto steigen durfte.

Alex Zanardi verlor seine Beine, behielt aber sein Leben, seinen Kampfgeist und seinen Humor., Foto: Sutton
Alex Zanardi verlor seine Beine, behielt aber sein Leben, seinen Kampfgeist und seinen Humor., Foto: Sutton

Zanardi selbst hatte die Idee zu diesem Coup. Anfang des Jahres fragte er Theissen frech, ob er wissen wolle, wie schnell das Auto wirklich sei. "Ich hielt es anfangs für einen Spaß", so der BMW-Mann. "Aber dann dachte ich mir: Den soll er haben." Kurz vor der ersten Boxenausfahrt war es dann aber auch bei Zanardi vorbei mit der Coolness: "Als ich das Visier runtergeklappt habe, waren die Gefühle sehr stark", bekannte er freimütig nach den 13 Runden, die er in Valencia zurücklegte.

Dabei kennt er das Gefühl in einem Formel-1 Wagen zu sitzen, ziemlich gut aus seinem ersten Leben. Von 1991 bis 1994 und 1999 fuhr der Italiener für verschiedene Teams in der Königsklasse. Er war der "Mr Nice Guy" unter den Fahrern - bei allen beliebt, fast immer gut gelaunt. Nur durch Erfolge kann Zanardi nicht auf sich aufmerksam machen. Ein einziges WM-Pünktchen in 41 Rennen steht für ihn zu Buche. Besser läuft es in der amerikanischen ChampCar-Serie. Gleich zweimal nacheinander (1997 und 1998) sicherte er sich den Titel für die Truppe von Chip Ganassi.

Doch die wahre große Stunde Alessandro Zanardis schlug ausgerechnet bei seinem Horrorunfall auf dem Lausitzring. Dass er überhaupt noch lebt, gleicht einem medizinischen Wunder. Es war der 15. September 2001. Zanardi fuhr ein gutes Rennen, lag in Führung. Doch bei der Ausfahrt aus der Boxengasse verlor er die Kontrolle über sein ChampCar und stellte sich quer zur Fahrbahn. Mit Tempo 320 raste sein Kumpel Alex Tagliani in den vorderen Teil von Zanardis Rennwagen, genau dort, wo die Beine saßen. Noch an der Strecke gab ein Pfarrer ihm die letzte Ölung - mit Motorenöl.

Alex verlor so viel Blut, dass die Ärzte in der Berliner Unfallklinik von bleibenden Hirnschäden ausgingen. Zanardis Schwager, selber Arzt, hoffte nur noch auf ein kurzes Leiden. "Das Beste wäre, wenn Alex die Nacht nicht überlebt", sagte er zu seiner Familie. Doch Alex überlebte - ohne Hirnschäden. Als er aus dem Koma erwachte und seine Frau ihm die Nachricht überbrachte, dass er beide Beine verloren hatte, sagte er lapidar: "Schön. Aber das ist gerade mein kleinstes Problem."

Er ist wieder da: Alex Zanardi nahm wieder in einem F1-Auto Platz., Foto: Sutton
Er ist wieder da: Alex Zanardi nahm wieder in einem F1-Auto Platz., Foto: Sutton

Noch 15 Mal wurde Zanardi operiert. Wie die Geschichte ausging, ist bekannt. Sein Kumpel Roberto Ravaglia, Chef des BMW-Tourenwagenteams Italy-Spain versprach ihm, ein Auto für seine Bedürfnisse zu konstruieren. Zanardi gibt jetzt Gas mit einem Ring am Lenkrad und bremst mit der Prothese seines rechten Beines. 2003 absolvierte er in einem umgebauten ChampCar auf dem mittlerweile in EuroSpeedway Lausitz umbenannten Kurs die letzten 13 Runden, die ihm beim Unglücksrennen von 2001 noch fehlten. 2005 gewann er in Oschersleben sein erstes Rennen für BMW in der WTCC. Nun die Rückkehr in die Königsklasse, wenn auch nur für ein Wochenende.

Er habe schon oft in seinem Leben geweint, aber noch nie, weil er seine Beine verloren habe, sagt Alex Zanardi. Er weiß, dass ihm der Unfall eine gewaltige Popularität gebracht hat. Die will er nutzen, will mit seinem Optimismus Vorbild sein für Menschen, die ihren Lebensmut verloren haben. "Jeder hat die Fähigkeit, in einer schlimmen Situation zu sagen: Okay, jetzt muss ich weitermachen mit dem, was mir geblieben ist. Und siehe da: Die Hölle ist gar nicht so hässlich, wie man dachte."

Insbesondere wenn die Hölle in Gestalt eines BMW-Sauber daherkommt. Und so war es verständlich, dass Alex Zanardi nach dem Ende der ersten Testfahrt sogar noch mehr strahlte als Mario Theissen: "Es war fantastisch, einfach unglaublich." Genau wie die Geschichte des Rennfahrers Alessandro Zanardi.