Michael Schumacher hat den Paddock verlassen. Um exakt 19:02 Uhr am 22. Oktober des Jahres 2006 ließ der Deutsche seine zweite Heimat der letzten 16 Jahre hinter sich. Ab sofort ist er nicht nur Ex-Weltmeister, sondern auch Ex-Rennfahrer. Zuvor tat er noch ein allerletztes Mal, was er am liebsten macht und am besten kann: er bewies der F1-Welt sein Ausnahmetalent.

Das letzte Mal

Schon BMW sagte: Danke Michael, die Italiener schlossen sich an: Grazie Michael., Foto: Sutton
Schon BMW sagte: Danke Michael, die Italiener schlossen sich an: Grazie Michael., Foto: Sutton

Das Unvermeidliche nahm um Viertel nach Zehn seinen Lauf. Zum letzten Mal schritt Michael Schumacher als aktiver Formel 1-Pilot durch das Drehkreuz in den Paddock, 20 Minuten nach seinem WM-Rivalen Fernando Alonso. Natürlich herrschte ein Riesenauflauf rund um den roten Helden. Danach ging es zu seinem letzten Meeting, dem letzten Mittagsschlaf, der letzten Massage, der letzten Fahrerparade und dem letzten Shakehand-Foto mit Alonso. Eine knappe halbe Stunde vor seinem letzten Start rollte er langsam in die Startaufstellung, Erinnerungen an das vermurkste Qualifying vom Vortag wurden wach. Doch Schumachers 248 F1 hatte ein neues Innenleben erhalten: die Benzinpumpe, der Benzindruckregulator, der Benzinfilter, die Kraftstoffverteilerleiste, der Temperatur-/Drucksensor und einige weitere Kleinteile waren ausgetauscht worden. Gute zehn Minuten vor dem Start bekam Schumacher von Pelé seinen letzten Pokal für die Leistungen in der Formel 1 überreicht. Die letzten 71 Runden in der Karriere des Michael Schumacher konnten beginnen.

"Ich wäre natürlich lieber auf dem Podium gestanden, aber es hat nicht sollen sein", sagte er nach dem abschließenden 4. Platz. "Trotz eines außergewöhnlichen Sieges von Felipe und eines historischen Rennens für Michael, bin ich in der Hitze des Gefechts sehr enttäuscht", bilanzierte Jean Todt. "Wir hätten Michaels Karriere gerne anders enden sehen, aber das Schicksal hatte andere Pläne."

Die entscheidende Szene im Kampf gegen Giancarlo Fisichella wollte er nicht überbewerten, Ross Brawn sagte zwar, dass es Fisichellas Auto gewesen sei, an dem sich Schumacher den Reifenschaden einhandelte, aber hinterher einigten sich die Teams einvernehmlich auf den Rennunfall, der es war. "Ich habe es mitgeteilt bekommen, dass das passiert ist, aber ich kann es nicht beurteilen, weil ich es selbst nicht gesehen und auch nicht gespürt habe", sagte Schumacher. "Ich habe nur gespürt, dass mein Reifen in Kurve zwei nicht mehr funktionierte."

Viel wichtiger war für ihn etwas anderes: "Wir hatten heute ein Wahnsinnsauto. Vom Speed her hätten wir wahrscheinlich alle überrunden können. Auf gewisse Art und Weise haben wir das ja auch gemacht." So machte ihm die letzte Ausfahrt trotz des Ergebnisses viel Spaß. "Diese Rad-an-Rad-Zweikämpfe sind das Hoch der Formel 1, speziell wenn der Weg nach vorne geht, wenn man so ein gutes Auto hat, die Gegner im Griff hat und entsprechend angreifen kann", redete sich Schumacher in einen Fluss. "Meistens wünscht man sich, dass das Rennen irgendwann vorbei ist, aber heute hätte ich mir gewünscht, dass es noch ein bisschen länger geht." Seine Fans sehen das sicher genauso.

Das zweite Mal

Der Weltrekordler hat die F1 verlassen., Foto: Sutton
Der Weltrekordler hat die F1 verlassen., Foto: Sutton

Am Donnerstag war sich Fernando Alonso über seine Gefühle zu Brasilien noch unschlüssig. "Wenn man hier zum zweiten Mal Weltmeister wird, ist das natürlich für immer ein ganz besonderer Ort, aber wenn man hier den Titel im letzten Rennen bei 10 Punkten Vorsprung verlieren sollte, wäre es schwierig, das zu vergessen." Der Renault-GAU blieb dem Spanier in seinem letzten Rennen für die Franzosen erspart. Nach Platz 3 im Vorjahr brachte ihm Platz 2 den Titel und die Ehren des jüngsten Doppel-Champions aller Zeiten.

"Vor diesem letzten Rennen ruhte ein sehr großer Druck auf uns", beschrieb Motorenmann Denis Chevrier die Ausgangslage. "Wir konnten nur alles verlieren. Egal ob Fahrer, Mechaniker oder Ingenieure, wenn wir einen Fehler gemacht hätten, hätten wir damit die WM verschenkt. Wenn Ferrari vorne gelegen hätte, wären wir mit der Maxime angereist alles zu geben. So mussten wir bei den Reifen auf Nummer sicher gehen, eine sichere Strategie wählen und einen sicheren Motor einbauen. Wir mussten versuchen keine Fehler zu machen."

Genauso ging Alonso das Rennen an. "Fernando musste von Beginn an seine Performance verwalten." Für ihn lief aber alles nach Plan. "Mein Start klappte gut, und schon nach ein paar Runden bat mich das Team, die Drehzahl etwas zurückzunehmen", sagte der glückliche Weltmeister. "Darüber habe ich mich zunächst gewundert, aber dann sagte man mir, dass Michael nach einem Reifenschaden nur auf Rang 19 liegt." Bis zur Zieldurchfahrt rechnete er aber noch mit dem Schlimmsten. "Ich musste unter die ersten Acht kommen. Das klingt einfach, aber es gab jede Menge möglicher Stolpersteine. Die vielen Kohlefasertrümmer auf der Fahrbahn hätten zum Beispiel jederzeit einen Reifenschaden auslösen können." Der Defektteufel war jedoch, wie schon in Suzuka, in einem roten Auto am Werk...

Rennanalyse: One Man Show

Ja, Felipe Massa hat das Rennen von der Pole weg dominiert, überlegen gewonnen und dem Druck des Heimrennens standgehalten. Ja, Fernando Alonso hat dem Druck des Titelkampfes und dem Fehlerteufel getrotzt und seinen zweiten WM-Titel geholt. Aber der Mann des Rennens war ein anderer. Ein Fahrer der noch nicht einmal auf dem Podium landete, ein Fahrer, der nach 9 Runden am Ende des Feldes war, dort aber nicht bis zum Ende des Rennens und seiner Karriere bleiben wollte und sollte. Michael Schumacher blieb der standesgemäße Abgang als Sieger oder gar Weltmeister verwährt, "aber er hat heute wieder einmal gezeigt, wie stark er fährt", lobte nicht nur Mario Theissen. "Er ist nach wie vor die Nummer 1."

Schumacher kletterte zum letzten Mal aus seinem Cockpit., Foto: Sutton
Schumacher kletterte zum letzten Mal aus seinem Cockpit., Foto: Sutton

Der BMW-Motorsportdirektor sprach wohl allen F1-Fans aus dem Herzen: "Er hätte es verdient gehabt dieses letzte Rennen zu gewinnen. Leider hatte er in den letzten beiden Rennen so viel Defekte und Pech wie sonst in mehreren Jahren nicht. Es hat einfach nicht sollen sein. Ich hätte ihn gerne noch einmal auf dem Podium gesehen."

Trotzdem war der Brasilien GP ein würdiges Abschlussrennen für den erfolgreichsten Rennfahrer aller Zeiten. Schumacher zeigte ebenso spektakuläre wie harte Überholmanöver, gab niemals auf und kämpfte sich von einer Beinaheüberrundung bis auf Platz 4 nach vorne.

Ausblick: Der König ist nicht tot, aber in Rente

"Jetzt schauen wir in die Zukunft, egal was sie bringen wird." Mehr wollte Michael Schumacher nicht über seine Zeit nach der Formel 1 sagen. Vielleicht weiß er wirklich noch nicht, was er jetzt machen wird. In irgendeiner Form wird er den Fans aber sicherlich bei Ferrari oder in den Medien erhalten bleiben.

Grund zur Trauer ist es aber nicht. "Es war eine super Saison, sehr spannend", freute sich Alex Wurz. "Es war ein super Showdown, bei dem schlussendlich Alonso das bessere Ende für sich hatte. Schumacher hinterlässt große Fußstapfen, aber diese werden schnell gefüllt. In Deutschland durch viele tolle, junge Fahrer und international durch Alonso, der schon im letzten Jahr der Herr im Ring war. Also, bitte liebe Formel 1-Fans: Es braucht sich niemand Sorgen zu machen, es wird auch 2007 spannend!"

Mit Nick Heidfeld, Nico Rosberg und Ralf Schumacher mischen drei Deutsche sicher in der F1 mit und dann sind da ja noch die jungen Wilden Sebastian Vettel Adrian Sutil, Timo Glock, Michael Ammermüller und Markus Winkelhock. Ganz zu schweigen vom einzigen aktiven F1-Weltmeister Alonso. "Mit zwei WM-Titeln hat die Ära Alonso eigentlich schon begonnen", betonte Wurz. "Er wird es aber im nächsten Jahr nicht einfach haben. Er muss sich bei McLaren an ein neues Team gewöhnen, dort muss sich erst alles einspielen... Kimi Räikkönen geht zu Ferrari, das Auto ist momentan überlegen, aber wir wissen, dass so eine Überlegenheit über den Winter schnell verflogen sein kann. Ich freue mich schon drauf." Michael Schumacher auch, denn er mag die Formel 1 verlassen haben, aber die F1 wird er trotzdem weiter vor dem Fernseher verfolgen, aus dem gleichen Blickwinkel wie Sie zuhause...