Nick, eine Woche nach Suzuka, wie lautet deine Analyse des Großen Preis von Japan?
Nick Shorrock: Wir sollten das Rennwochenende in seinem chronologischen Ablauf betrachten. Am Freitag hatte Regen unsere Vorbereitungen beeinträchtigt, erst in den letzten zehn Minuten des zweiten Freien Trainings konnten wir noch im Trockenen fahren. Dabei erwiesen sich unsere Teams als sehr konkurrenzfähig, dies stimmte uns optimistisch - auch wenn wir auf keinerlei Informationen zurückgreifen konnten, wie sich die Performance unserer Pneus über längere Distanzen entwickelt. Deswegen haben wir mit unseren Partnern für den Samstagmorgen eine spezielle Strategie vereinbart und konnten dadurch viele verschiedene Dinge testen. Alle unsere Autos gingen mit hohen Benzinladungen auf die Strecke, darum sahen wir im dritten Freien Training nach außen hin auch nicht sehr schnell aus.

Was hatte sich Michelin für das Qualifying ausgerechnet?
Nick Shorrock: Wir wussten vor dem abschließenden Zeittraining, dass unsere Konkurrenz im Qualifying im Vorteil sein könnte - wenngleich uns nicht ganz klar war, warum. Darum haben wir uns mit unseren Partnern, also auch mit Renault, mehr auf das Rennen konzentriert und hakten das Qualifying ab. Wir sorgten dafür, dass unsere Autos im Grand Prix mit konstant leistungsfähigen Reifen größere Chancen besaßen. Am Samstagmorgen hatten wir erkannt, dass unsere Pneus mit exakt jenen Charakteristiken aufwarteten wie zuvor bei den Testfahrten in Silverstone.

Dann seid ihr am Sonntag optimistisch an den Start gegangen?
Nick Shorrock: Ja und nein, denn gut geschlafen haben wir in der Nacht davor nicht - wir konnten uns einfach nicht erklären, warum die Pneus unseres Wettbewerbers über eine Runde betrachtet schneller waren als unsere. Wie auch immer: Nach dem Start zeigte sich bald, dass wir das Tempo der Ferrari nicht nur mitgehen konnten, sondern dass Fernando Alonso sogar auf Michael Schumacher aufschloss, als der Motor des Deutschen einging. Die Strecke hatte sich um ein paar Grad Asphalttemperatur abgekühlt. Damit arbeiteten insbesondere unsere ,Prime‘-Reifen innerhalb ihrer optimalen Betriebsbedingungen. Zugleich litten die Ferrari-Pneus offensichtlich unter Graining...

Wie bereitet sich Michelin auf Brasilien vor?
Nick Shorrock: Im Moment sind wir damit beschäftigt, die endgültige Auswahl für das Saisonfinale festzulegen. Wie es aussieht, werden wir zehn verschiedene Reifentypen nach Südamerika schicken. Die Region rund um Interlagos hält, speziell was das Wetter betrifft, immer ein paar Überraschungen bereit. Die Asphaltoberfläche ist nicht ganz so rauh und materialverschleißend wie jene in Suzuka, also haben wir uns in puncto Laufflächenmischungen eher für Medium-Sorten entschieden. Noch im September haben wir die Strecke ein letztes Mal in Augenschein genommen und dabei festgestellt, dass sich die Straßenqualität seit dem Vorjahr nicht nennenswert verändert hat. Drei kleine Abschnitte erhielten eine neue Oberfläche, aber das fällt kaum ins Gewicht.

Renault und Michelin führen vor dem letzten Saisonrennen beide WM-Wertungen an. Grund genug für euch, eher vorsichtig an den Brasilien-Grand Prix heranzugehen?
Nick Shorrock: Nein, nicht wirklich. So aggressiv wie zum Beispiel in Magny-Cours legen wir unsere Reifenstrategie nicht aus, aber wir müssen schon sicherstellen, dass wir konkurrenzfähig sind. Dafür haben wir uns im Vorfeld lange mit Renault-Chefingenieur Pat Symonds unterhalten. Unsere Pneus sollten absolut top sein. Sind sie es nicht, werden wir dafür einen hohen Preis bezahlen, was die Rundenzeiten betrifft.

Für Michelin ist das Interlagos-Rennen ein ganz besonderer Grand Prix - nämlich der letzte vor dem Ausstieg aus der Formel 1...
Nick Shorrock: Ja, das stimmt. Rein psychologisch betrachtet stehen wir vor einem ebenso wichtigen wie schwierigen Wochenende. Wir müssen uns noch einmal hundertprozentig konzentrieren, auch wenn wir nach dem famosen Ergebnis von Suzuka etwas ruhiger an die Sache herangehen können. Dennoch: Alles kann passieren, noch ist nichts gewonnen, ganz im Gegenteil sogar. Ich denke, dass wir alle nach dem Rennen sehr traurig über unseren Abschied aus der Formel 1 sein werden - hoffentlich bringt uns das Resultat auf andere Gedanken! Neben unserem Stammteam begleiten uns übrigens 30 zusätzliche Mitarbeiter, die durch ihren außergewöhnlichen Einsatz unseren Erfolg im Grand Prix-Sport maßgeblich unterstützt haben.

Was auch immer in Brasilien passieren wird: Haben wir nicht eine fantastische Saison erlebt?
Nick Shorrock: Absolut. Ich glaube, unsere Partnerteams haben uns noch nie zuvor so angetrieben wie in diesem Jahr - auch Flavio Briatore und Pat Symonds ließen nie locker, uns zu Höchstleistungen anzuspornen. Gewinnen ist immer schön, aber nach einem so intensiven Kampf am Ende ganz vorne zu stehen würde dieses Gefühl nochmals deutlich übertreffen. Wir sind auf jeden Fall fest gewillt, die Formel 1 als Weltmeister zu verlassen.